mus erkennen. In der zweiten Hälfte des Februar 1870 zeigte die
seismische Thätigkeit bei Gross-Gerau eine Zunahme; in denselben
Wochen fanden mehrere und zum Theil sehr heftige Erdbeben in den
Ostalpen, in Mexico und Californien statt. Während des Februar
1871 war die seismische Thätigkeit im Gebiet der oberrheinischen
Tiefebene ebenfalls sehr lebhaft, namentlich fanden in diesem Monat
die beiden heftigen Erdbeben von Lorsch statt. Gleichzeitig wurden
Chile und die Sandwichsinseln von sehr heftigen Erdbeben betroffen,
und fanden auch in Griechenland, Kleinasien und der Romagna Erschütterungen
statt.
An zwei anderen Stellen scheint aus der Liste ebenfalls ein
solcher auffallender Synchronismus hervorzugehen, in Wahrheit hat
aber D ieffenbach die Thatsachen hier stark nach seinen Wünschen
zugeschnitten. Am 26. December 1869 fanden ziemlich starke Erdbeben
in Ungarn, Tiflis, Nevada und Californien statt. D ieffenbach
führt von demselben Tage einen heftigen Erdstoss in Darmstadt an.
N öggerath, L udwig und F uchs dagegen wissen von diesem Tage nur
von schwachen Erschütterungen daselbst und von ganz leichten
Vibrationen in Gross-Gerau zu berichten, die an Heftigkeit durchaus
nicht die Erschütterungen der vorhergehenden und nachfolgenden
Tage übertrafen. Im November und December 1871 fanden bei Nassenfuss
in Krain eine grosse Anzahl von Erderschütterungen, statt.
In dem ersteren Monat wurden auch im Odenwald wieder zahlreiche
Erdstösse wahrgenommen, während im December im Rheingebiet vollständige
Erdruhe herrschte. D ieffenbach gibt nun an, dass mit dem
24. November, dem Tage an welchem die letzte Erschütterung im
Odenwald stattfand, sich auch in Nassenfuss ein Nachlassen der Erdbeben
gezeigt habe. In Wahrheit aber erreichte die seismische Thätigkeit
in Nassenfuss erst am 3. December ihr Maximum, und noch am
15. December traten dort Erdstösse auf, die an Heftigkeit die meisten
der im November verspürten übertrafen. (F.) Von einem Synchronismus
der Erdbeben, einem Zusammenhang der beiden Schüttergebiete,
kann also absolut nicht die Rede sein.
Das gleiche gilt nun auch sonst. Ich will zum Beweise dafür
nur noch einige besonders auffallende, gegen Dieffenbach sprechende
Thatsachen anführen. Während der Tage der lebhaftesten seismischen
Thätigkeit bei Gross-Gerau in den letzten Oktober- und den ersten
Novembertagen 1869 fanden auf der ganzen Erde, soweit Berichte
vorliegen, stärkere Erdbeben nicht statt. D ieffenbach weiss aus
dieser Zeit überhaupt nur von einer leichten Erschütterung in Krain
zu berichten. Bei einer Durchsicht des Katalogs von F uchs finde
ich noch ein leichtes und, wie es scheint, ganz lokales Erdbeben in
Smyrna am 31. Oktober und einige Erdstösse am Vesuv im Anfang
November, die aber ebenfalls ganz schwach und nur in dem allernächsten
Umkreise des Vulkans fühlbar waren. Man darf daher
wohl sagen, dass zur Zeit der stärksten Erdbebenthätigkeit im
Mainzer Becken in allen übrigen habituellen Stossgebieten der Erde
Ruhe herrschte. Die Umgegend des Ortes Schemacha in Kaukäsien
hatte ferner während derselben Jahre, wie das Mainzer Becken, eine
Erdbebenperiode. Von einem Synchronismus beider Erscheinungen
ist aber nichts zu merken. Während der‘ersten heftigen Erschütterungen
in Schemacha am 21. August und den ersten Septembertagen
1869 herrschte am Rhein vollständige Ruhe, dagegen war in
Schemacha alles ruhig, als im Mainzer Becken jene lebhafte seismische
Thätigkeit sich entfaltete. Dem stärksten der Erdbeben von
Schemacha am 6. December 1869 entsprach in Gross-Gerau nur ein
einzelner leichter Stoss. Im März und Mai 1870 waren allerdings
beide Gebiete in lebhafter Thätigkeit. Während der letzten stärkeren
Erschütterungen in Schemacha im Januar und Juli 1872 herrschte
dagegen am Rhein wieder völlige Ruhe.
Die Behauptung D ieffenbach’s endlich, dass sich zwischen verschiedenen
rheinischen Erdbeben und gleichzeitig an anderen Orten
aufgetretenen eine Uebereinstimmung in der Fortpflanzungsrichtung
nachweisen lasse, wird bei jedem, der sich einmal eingehender mit
Erdbeben befasst hat, nur ein Lächeln hervorrufen. Es ist zu bekannt,
wie die Fortpflanzungsrichtung von Erdbeben durch vorliegende
Bergketten, Richtung der Thäler, Streichungsrichtung der Schichten u. A.
Ablenkungen erfährt, und ebenso, wie unzuverlässig in den meisten
Fällen die Angaben über die Richtung eines Erdbebenstosses sind,
um hierbei noch länger zu verweilen. Ich will hier nur zur Charak-
terisirung der Art, wie D ieffenbach seine Beweise führt, das eine
noch anführen, dass derselbe seine Behauptungen überhaupt nur auf
einige dürftige Zeitungsnotizen gründet, dagegen die sorgfältigen
Untersuchungen von N öggerath und L udwig , welche eine völlige
Regellosigkeit in den Angaben über die Fortpflanzungsrichtung der
Gross-Gerauer Erdbeben darthun, einfach bei Seite lässt.
Nicht besser steht es mit dem von Dieffenbach behaupteten
Zusammenhang der rheinischen Erdbeben mit den Ausbrüchen südeuropäischer
Vulkane, insbesondere des Vesuv. Um überhaupt eine
solche Beziehung nachweisen zu können, muss er eine doppelte Annahme
machen, dass erstens die Vulkane gewissermassen als Sicherheitsventile
der Erde aufzufassen seien, und dass daher der Beginn
. einer Eruption eine Verminderung der seismischen Thätigkeit hervorbringen
müsse, dass dagegen, wenn die vulkanische Thätigkeit sich
ihrem Maximum nähere, wiederum eine Zunahme der Erdbeben eintrete.
Den hierin liegenden inneren und unlöslichen Widerspruch
scheint er gar nicht zu empfinden, wenigstens versucht er gar nicht,
denselben zu lösen oder verständlich zu machen. Aber selbst mit
Hülfe dieser widersprechenden Annahmen gelingt ihm der Nachweis
einer Beziehung zwischen Erdbeben und Vulkanausbrüchen nur sehr
unvollständig. Im allgemeinen zeigen die Beziehungen zwischen
beiden vielmehr eine völlige Regellosigkeit.
In Bezug auf den Zusammenhang der Erdbebenhäufigkeit mit
gewissen Stellungen von Sonne und Mond fehlt es vorläufig noch
immer an dem genügenden statistischen Material, um daraus sichere
Schlüsse ziehen zu können. Auch ich bin geneigt, derartige Beziehungen