Die Heftigkeit der Erschütterungen war trotz der grossen Zahl
der Stösse und der oft weiten Verbreitung derselben nur eine massige.
Bedeutendere Zerstörungen wurden durch dieselben nirgends angerichtet.
Nur bei den heftigsten Stössen, namentlich demjenigen
vom 2. November 9 h. 28 m. p., stürzten in Gross-Gerau und dem
dicht benachbarten Wallerstädten eine Anzahl von Schornsteinen ein,
fielen Bilder und Spiegel von den Wänden und erhielten einige Gebäude,
insbesondere die beiden Kirchen, Risse. Immerhin waren die Erschütterungen
doch so lebhaft, dass die Bevölkerung durch sie mit
Furcht und Schrecken erfüllt wurde. Die Bewohner Gross-Geraus
übernachteten mehrere Wochen lang trotz der gleichzeitig wüthenden
Stürme und heftigen Regens in Nebengebäuden und Schuppen, unter
improvisirten Hütten und selbst in Chaisen oder brachten die Nächte
wachend auf den Strassen zu, weil sie den Einsturz der Häuser
befürchteten.
Ausserhalb der nächsten Umgebung Gross-Geraus scheinen
Zerstörungen fast gar nicht vorgekommen zu sein. Es liegen über
solche nur folgende Nachrichten vor: Bei dem Stoss am 30. Oktober
8 h. 25 m. p. erhielt in Thalfang (Kreis Bernkastel) eine Mauer
einen Riss. Bei dem Stoss am 1. November 4 h. 7 m. a. stürzten
in Schwanheim und Rüsselheim am Main eine Anzahl von Schornsteinen
ein. Nach dem Stoss vom 2. November 9 h. 28 m. p. versiegten
in Wiesbaden die Brunnen, welche von der alten Wasserleitung
von der Platte gespeist werden, so dass man hier eine
Zerstörung der Leitung annehmen muss. In Rhens fiel an einzelnen
Häusern der Bewurf ab; in Bischofsheim schwankte das Stationsgebäude
sehr stark, die Zimmerwände erhielten zahllose kleine Risse,;
in Babenhausen’ entstanden kleine Risse im Bureau des Stationsgebäudes.
Sehr lebhaft äusserten sich die Erdstösse in Mainz.
Namentlich geriethen die Kirchthürme von St. Stephan und St, Quentin
in lebhaftes. Schwanken, das oft mehrere Minuten andauerte. Auch
war die Zahl der wahrgenommenen Stösse in Mainz grösser, als
selbst in manchen Gross-Gerau näher gelegenen Orten. Dagegen
waren in Darmstadt die Erschütterungen sämmtlich nur schwach.
„Keine einzige Erschütterung,“ sagt L udwig, „brachte so starke
Bodenschwankungen hervor, dass bis eine Pariser Linie unter dem
oberen Rande gefüllte Wassergläser zum Ueberfliessen gekommen
wären. An Gebäuden entstand weder auf den krystallinischen oder
primitiven Gesteinen noch auf dem dasselbe umgebenden Alluvium
ein Schaden.“ Fast alle Stösse in Gross-Gerau waren von lebhaftem
dumpfen unterirdischen Rollen begleitet. An einigen Tagen, namentlich
am 31. Oktober und 1. November, hielt dasselbe fast ununterbrochen
an. Auch in Mainz, Darmstadt und vielen anderen Orten
wurde wiederholt unterirdisches Getöse vernommen. Zweimal, am
30: Oktober 8 h. 5 m. p. und am 3. November 11 h. p., wurden
in Gross-Gerau eigenthümliche Lichterscheinungen, wahrscheinlich
elektrischer Natur, wahrgenommen. In den letzten Oktober- und
ersten Novembertagen herrschte ferner im ganzen Rheingebiet heftiger
Sturm und Regen. Sonst boten die meteorologischen Erscheinungen
während der Erdbebentage nichts Besonderes. Auch die Magnetnadel
zeigte während der ganzen Zeit keine Veränderungen.
Wir haben die Erdbebenerscheinungen bis jetzt nur bis zum
6. November verfolgt. Von diesem Tage an machte sich eine entschiedene
Abnahme der seismischen Thätigkeit bemerkbar; die Zahl
der täglichen Erschütterungen wurde geringer; auch machten sich
dieselben meist nur in der nächsten Umgebung von Gross-Gerau
bemerklich. Hier verging allerdings während des ganzen Novembers
noch kaum ein Tag ohne mehrfache Erdstösse. Am 22. und 23. November
wurde die Bewegung wieder lebhafter; man zählte an diesen
beiden Tagen im ganzen 26 Stösse, von denen sich einige auch
über weitere Gebiete fortpflanzten, der Stoss am 22. um 7 h. 8 m. a.
sogar über die Grenzen des Mainzer Beckens hinaus bis Rüdesheim,
Bingen, St. Goar, Worms und Heilbronn. Während des Monats
December dagegen war die seismische Thätigkeit nur gering. Man
zählte im Laufe desselben in Gross-Gerau abgesehen von einigen
ganz schwachen Vibrationen im ganzen nur 15 Stösse, von denen
sich nur drei bis Darmstadt, einer auch bis Mainz fortpflanzte, alle
übrigen auf die nächste Umgebung beschränkt blieben.
In den übrigen Theilen unseres Gebiets fand im Jahre 1869
nur eine einzige leichte Erderschütterung am 14. December am
Isteiner Klotz und in Lörrach im Schwarzwald statt. (F.)
1870.
Ich fahre zunächst in der Betrachtung der Erderschütterungen
im Mainzer Becken fort, wobei ich bis Mitte März der Darstellung
von N öggekath folge. Hier schliesst dessen Arbeit ab. Für, die
folgende Zeit bilden meine Hauptquelle die Tabellen von F uchs.
Einige Ergänzungen derselben fanden sich bei Diefeenbach.
Das eigentliche Centrum der Erschütterungen lag auch in
diesem Jahre unmittelbar unter Gross-Gerau. Hier wurden in diesem
Jahre an folgenden Tagen Erdstösse beobachtet: Am 2. Januar
zwischen 4 und 5 h. a. und 4 h. p .; 6. Januar mehrfache Stösse;
14. Januar 6 h. 30 m. a., 7 h. 30 m. a., 9 h. a., die beiden letzten
auch in Darmstadt; 15. Januar 4 h. a. heftiger Stoss, auch in Darmstadt
und den Rhein abwärts bis Koblenz wahrgenommen; 21. Januar
6 h. 50 m. a. und zwischen 7 und 8 h. a .; 26. Januar 6 h. 58 m. a .;
28. Januar 7 h. 2 m. a .; 29. Januar 7 h. 20 m. a .; 30. Januar
7 h. 50 m. a. und 11 h. 15 m. a .; 14. Februar 8 h. p., auch in
Darmstadt; 18. Februar 10 h. a .; 21. Februar ohne Zeitangabe;
22. Februar 11 h. a .; 26. Februar 12 h. 49 m. a .; 28. Februar
bis 8. März täglich ganz leichte Erschütterungen; 9. März 11 h.
43 m. a. und 4 h. 41 m. p .; 13.f f 15. März mehrere schwache Erschütterungen;
16. März 8 h. a. unterirdischer Donner, der sich
bis 4 h. regelmässig nach 3 ^ 1 0 Minuten wiederholte, dann .10 h.
30 m. a. und 11 h. 41 m. a. ziemlich heftige Erdstösse; 23. März
10 h. 30 m. a .; 25. März ohne Zeitangabe; 26. März 2 h. 45 m. p.,