Die am häufigsten erschütterten Orte sind Gross-Gerau, 119mal,
Darmstadt 66mal, Mainz 39mal, die Umgebung von Auerbach und
Reichenbach 12-mal (natürlich sind hier nur Erdbebentage, nicht
einzelne Stösse gezählt, deren Zahl sehr viel grösser sein würde).
Die Zahl der in Auerbach-Reichenbach wahrgenommenen Erdbeben
ist übrigens wahrscheinlich weit grösser, da ich hier die sehr zahlreichen
von der Bergstrasse, aber ohne nähere Ortsangabe aufgeführten
Erdbeben nicht mitgerechnet habe.
Von diesen am häufigsten von Erdbeben betroffenen Orten liegen
Mainz, Darmstadt und Auerbach-Reichenbach an Kreuzungspunkten
mehrerer Stosslinien. Wahrscheinlich wird aber auch in Gross-Gerau
die senkrecht zum Odenwald stehende Querspalte von einer zweiten
nordsüdlich verlaufenden geschnitten. Es zeigt sich nämlich hei Betrachtung
der Gross-Gerauer Erdbeben, dass die unmittelbar südlich
von diesem Orte gelegenen Ortschaften Wolfskehlen, Erfelden, Stockstadt,
Gernsheim häufiger und stärker als andere, zum Theil Gross-
Gerau näher gelegene Orte erschüttert wurden. Stockstadt und Wolfskehlen
treten ausserdem in jener Periode wiederholt als selbständige
Schüttercentren auf, Gernsheim war im Jahre 1767 einmal Erdhebencentrum.
Die Linie Gross-Gerau—Stockstadt—Gernsheim läuft nun
genau der grossen Tertiärspalte Oppenheim—Osthofen parallel und
trifft in ihrer Verlängerung Mannheim, das nicht nur während der
letzten grossen Erdbebenperiode wiederholt von Erschütterungen getroffen
wurde, sondern auch sonst, namentlich im 18. Jahrhundert,
mehrfach als Erdbebencentrum aufgetreten ist. Die Annahme einer
Verwerfung längs dieser Linie ist daher sehr wahrscheinlich. Ich
habe sie auf der Karte als Stosslinie 6 bezeichnet.
Endlich scheint im Inneren des Odenwalds noch eine siebente
Stosslinie parallel der Odenwald-Hauptverwerfung von Lindenfels
nach Oberramstadt zu verlaufen. Doch sind die Nachrichten über
die in dieser Gegend aufgetretenen Erdbeben zu lückenhaft, um
irgend einen sicheren Schluss zu gestatten.
Mainz und Frankfurt wurden besonders in früheren Jahrhunderten
von Erdbeben häufig heimgesucht. Eine sehr heftige Erdbebenperiode
scheint hier namentlich in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts
stattgehabt zu haben. Aus dieser Zeit liegen Berichte von sieben
in Mainz wahrgenommenen Erdbeben vor, bei der ausserordentlichen
Dürftigkeit der Nachrichten aus jener Zeit eine recht grosse Zahl.
Drei derselben, am 1. Januar 856, am 3. December 872 und am
30. December 881 waren sehr heftig und richteten bedeutende Verwüstungen
an. Vielleicht handelte es sich bei denselben um Bewegungen
längs der Stosslinie 2, da von den meisten derselben auch
Worms, sowie Speyer getroffen wurden. Ferner liegen sehr zahlreiche
Nachrichten von Erdbeben in Frankfurt und Mainz aus dem
17. und 18. Jahrhundert vor. Die meisten derselben wurden an
beiden Orten lebhaft gespürt. Die heftigsten waren das im Januar
1681 stattgehabte, durch welches das starke Eis des Mains hei
Frankfurt zerbrochen wurde und dasjenige am 18. Mai 1733, das
in Mainz einige Zerstörungen anrichtete. Aber auch m , gegenwärtigen
Jahrhundert hat hier keineswegs immer Ruhe geherrscht.
Namentlich in den zwanziger Jahren fanden längs der Lime Mainz
Frankfurt wiederholt Erschütterungen statt; dann am 24. Mai 1 »58
das heftige Erdbeben, das in Mainz eine Reihe von Schornsteinen
umstürzte und auch in Wiesbaden, Bieberich, Oppenheim und Mannheim
stark gespürt wurde. Bei diesem letzteren scheint also die
Stosslinie 2 wieder betheiligt zu sein. Die Gross-Gerauer
ferner wurden längs der Linie Mainz—Frankfurt besonders lebhaft
empfunden. Die Orte, an welchen ausser m der nächsten Nahe von
Gross-Gerau durch dieselben Beschädigungen an Gebäuden verursacht
wurden, liegen sämmtlich auf dieser ersten Stosslinie. Auch traten
während jener Periode in Mainz, wie in der Nähe von Frankfurt
mehrfach selbständige Erschütterungen auf. Im ganzen genommen
war aber gegenüber verschiedenen früheren Jahrhunderten in dem
letzten die seismische Thätigkeit auf den Stosslinien 1 uncl 2 gering.
Im Odenwald dagegen und dem ihm nächst benachbarten 1 heile
des Mainzer Beckens erreicht die seismische Thätigkeit erst m diesem
Jahrhundert ihr Maximum und zwar während der grossen mit dem
Jahre 1869 beginnenden Erdbebenperiode. In den Jahren 1869 und
1870 lag das Centrum der Erschütterungen meist bei Gross-Gerau,
zuweilen auch bei Darmstadt. Es handelte sich also hier m erster
Linie um Bewegung längs der Stosslinie 4. In den folgenden Jahren
dagegen ist das Centrum meist auf der Stosslinie 5, Lorsch—Auerbach—
Reichenbach zu suchen. Bei vielen der Erdbeben scheint aber
auch die Stosslinie 3 eine wesentliche Rolle zu spielen. Einige der
Erschütterungen weisen endlich, wie schon erwähnt, aut eine weiter
östlich gelegene Stosslinie Lindenfels Oberramstadt hin.
Gegenüber der grossen Häufigkeit der Erdbeben im Odenwald
und dem östlichen Theil des Mainzer Beckens ist die Seltenheit derselben
im Westen sehr auffallend. Die Tertiärmulde am linken
Rheinufer mit ihren regelmässig gelagerten Schichten ist niemals der
Schauplatz von Erdbeben gewesen. Wohl haben sich einzelne nach
dorthin fortgepflanzt, aber nie ist irgend eins von dort ausgegangen.
Die Br u c h r ä n d e r der Voges en und des Schwa r zwa l d e s .
Wenden wir uns jetzt weiter südlich, so haben wir hier zwischen
zwei Gruppen von Erdbeben zu unterscheiden, die einen welche
von den Bruchrändern der beiden Randgebirge, Vogesen und Schwarzwald,
die anderen, welche von Punkten im Inneren der Rheinebene,
von der eigentlichen Rheinspalte selbst ausgehen. Fassen wir zunächst
die ersteren ins Auge, so finden wir Nachrichten über solche
fast nur aus dem letzten Jahrhundert. Diese Thatsache erklärt sich
sehr einfach aus der Unvollständigkeit der vorliegenden Berichte.
Fast alle Erdbebenberichte aus den früheren Jahrhunderten stammen
von den grossen Städten am Rhein, Basel, Strassburg, Speyer, Mannheim
und daher sind uns naturgemäss von den hier aufgetretenen oder
von hier ausgegangenen Erdbeben vollständigere Nachrichten erhalten.