gesammten Gebirgsmasse mit darauf folgendem Einbruch des mittleren
Theils des Gewölbes annehmen sollen, oder, wie mir natur-
gemässer erscheint, mit B enecke und S uess die Randgebirge als
Horste betrachten, die zwischen beiderseits eingesunkenen Schollen
der Erdrinde stehen geblieben sind, das ist für unsere Erdbebenfrage
von geringem Belang. Für diese genügt die Thatsache, dass grosse
und ausgedehnte Verwerfungsspalten, die im allgemeinen der Hauptrichtung
der Gebirge parallel laufen und zu denen sich an vielen
Stellen noch senkrecht dazu stehende Querspalten gesellen, sowohl
an den Innenrändern, wie an den äusseren Abdachungen der oberrheinischen
Gebirge auftreten. Dass auch innerhalb der Rheinebene
selbst noch zahlreiche Bruchlinien vorhanden sein müssen, wenn
dieselben auch durch die darüber lagernden Diluvial- und Alluvialschichten
unseren Blicken entzogen sind, ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte
derselben von selbst. (Sehr übersichtliche Darstellungen
der betreffenden Verhältnisse gaben L e p s iu s , „Die oberrheinische
Tiefebene und ihre Randgebirge,“ Forschungen zur deutschen
Landes- und Volkskunde, Bd. I. 1885, und S chumacher, „Die
Bildung und der Aufbau des oberrheinischen Tieflandes,“ 1890, auf
welche Arbeiten ich hiermit verweise.)
Sehr wichtig ist dagegen für uns die Frage, in welche geologische
Epoche die Einbrüche fallen ; denn von der Beantwortung
dieser Frage hängt es ab, ob wir uns für berechtigt halten dürfen,
Bewegungen längs der vorhandölien Bruchlinien noch gegenwärtig
anzunehmen oder nicht. Ich verweise auch hier lediglich auf die
Arbeiten von L epsius („üeber den bunten Sandstein in den Vogesen.“
D. G. G. XXVII. 1875) und B enecke („Die Trias in Elsass-Lothringen
und Luxemburg,“ 1877), in welchen überzeugend der Nachweis geführt
ist, dass die Einbrüche, welchen die oberrheinische Tiefebene
und ihre Randgebirge ihre Entstehung verdanken, frühestens in der
Kreidezeit begonnen haben, der Hauptsache nach aber erst in tertiärer
Zeit sich vollzogen.
Dass aber auch nach jener Zeit noch bedeutende Senkungen
stattfanden, ist von L epsius (D. G. G. XXXII. 1880) auf das überzeugendste
nachgewiesen worden, indem derselbe zeigte, dass die
diluvialen Sande und Geschiebe innerhalb des Mainzer Beckens östlich
und westlich vom Rhein in Niveaus liegen, welche Differenzen
von mehr als 200 m aufweisen. Um diesen Betrag musste sich also
das Gebiet östlich des Rheins in diluvialer und nachdiluvialer Zeit
gesenkt haben. Die geologischen Verhältnisse berechtigen uns daher
vollständig, anzunehmen, dass die Bewegungen im Gebiet des Oberrheins,
wenn auch in geringer Intensität, noch fortdauern, und dass
wir daher die hier auftretenden Erdbeben als geotektonische, hervorgebracht
durch das Absinken einzelner Schollen der Erdrinde längs
den vorhandenen Bruchlinien, ansehen dürfen.
Wenn uns so der geologische Bau unseres Gebiets auch unmittelbar
auf die geotektonische Natur der Erdbeben hinweist, so
erscheint es doch keineswegs überflüssig, zu untersuchen, inwieweit
die Erdbebenerscheinungen selbst im einzelnen mit dieser Auffassung
übereinstimmen und die Thatsachen zu prüfen, welche seiner
Zeit Dieffenbach für die vulkanische Natur der oberrheinischen Erdbeben
ins Gefecht geführt hat.
Dieffenbach hat in der oben erwähnten Arbeit ein ausführliches
Verzeichniss aller ihm aus den Jahren 1868—1872 bekannt gewordenen
Erdbeben und Vulkanausbrüche zusammengestellt und
glaubt auf Grund desselben einen Synchronismus der rheinischen
mit anderen Erdbeben und mit vulkanischen Erscheinungen, namentlich
den Ausbrüchen des Vesuv nachweisen zu können. „Die Gross-
Gerauer Erdstösse,“ sagt er (S. 13), „waren beinah jedesmal mit
vermehrter Intensität wahrnehmbar, wenn anderwärts, sei es in den
Tropenländern, in Griechenland, Kleinasien oder dem Kaukasus grosse
Erdbeben Furcht und Schrecken verbreiteten, oder wenn der Vesuv,
den man gewissermassen als den Indicator für die Zu- oder Abnahme
der vulkanischen Thätigkeit Europas betrachten kann, kräftigere
Fumarolen ausspie............. Während der Monate November und
December 1869, während welcher in Gross-Gerau auch kein Tag
ohne Erschütterung vorüberging, wuchs daselbst beinah jedesmal die
Zahl und Intensität der Stösse, sobald anderwärts gewaltige Erdbeben
statthatten, so dass man die rheinischen Erdbeben wohl am
richtigsten als den Reflex einer anderwärts in ihrer vollen Kraft
sich äussernden vulkanischen Kraft betrachtet. An einer späteren
Stelle glaubt D ieffenbach sogar eine Uebereinstimmung in der Fortpflanzungsrichtung
der Gross-Gerauer und gewisser südeuropäischer
Erdbeben feststellen zu können.
Weiter führt D ieffenbach zu Gunsten seiner Anschauungen die
von ihm als bewiesen angesehenen Beziehungen der Häufigkeit des
Eintritts von Erdbeben zu der Stellung von Sonne und Mond ins
Gefecht, die er durch die Annahme einer Einwirkung derselben auf
das glutflüssige Erdinnere glaubt erklären zu können. Er nähert
sich damit den in den letzten Jahrzehnten so viel besprochenen Anschauungen
P errey’s und F alb’s. Endlich glaubt er auch in der
geologischen Zusammensetzung der rheinischen Gebirge, in den zahlreichen
Vorkommen vulkanischer und plutonischer Gesteine daselbst
eine Stütze für seine Ansichten zu finden. ^
Es ist nicht gerade schwer, die Beweise D ieffenbach’s zu entkräften.
Wir wissen, dass Erdbeben eine so häufige Erscheinung
sind, dass wohl kein Tag vergeht, an dem nicht an verschiedenen
Punkten der Erde Erschütterungen stattfinden; und selbst stärkere
Erdbeben mit zerstörenden Wirkungen sind leider in vielen Gegenden
unserer Erde keine Seltenheit. Wenn es daher auch Dieffenbach
wirklich gelungen wäre, nachzuweisen, dass mit jeder stärkeren seismischen
Thätigkeit im Rheingebiet heftige Erschütterungen in anderen
Gegenden zusammenfielen, so wäre damit noch wenig für seine
Ansichten gewonnen. In Wirklichkeit ist ihm dieser Nachweis aber
keineswegs geglückt. Wenn ich sein Erdbebenverzeichniss durchsehe,
so. kann ich eigentlich nur zweimal einen solchen Synchronis