
Unmittelbare Umweltwirkungen.
Der ganze eben arigedeutete Vorgang der Ausmerzung bestimmter
Bastardelemente, als nicht angepaßt an eine neue Umwelt,
ist, wie man sieht, nur erschlossen, nie oder wenigstens nie in
völliger Exaktheit und in genügendem Umfang tatsächlich beobachtet.
Der Schluß scheint mir allerdings für viele Fälle auf so
vielen und festen Unterlagen zu ruhen, daß ich ihn für absolut
bindend halte. Ab e r wir müssen uns klar bewußt bleiben, daß ein
sehr ähnliches, ja gelegentlich ein gleiches Endergebnis nach einer
Mischung eintreten könnte, w en n d ie d u r c h d ie B a s t a r d ie r u n g
e n t s te h e n d e n M e rkm a le a u f dem fü r s ie n eu en B o d e n
d u r c h d i r e k t e E in f lü s s e d e r U m w e l t m o d i f iz ie r t w e rd e n
k ö n n te n . Die Modifikation — durch Klima, Boden — geschähe
ganz sicher in d e r Richtung, in der die Merkmale der anderen
bodenständigen Stammrasse liegen, die eben durch dasselbe Milieu
seit Jahrtausenden schon modifiziert sind. Wir würden dann in
den Bastarden die Merkmale der, kurz gesagt, „neuen“ Rasse als
solche gar nicht mehr erkennen und als solche der alten ansprechen.
Dann wären die neuen ebenfalls n ic h t m eh r vorhanden, sie fehlten,
aber sie wären nicht e lim in ie r t , sondern m o d i f iz ie r t ! Nicht
durch E rbgang und Ausmerze wäre die alte Rasse rein „restituiert“,
sondern durch direkte Einwirkung der Umwelt wären zwei in
Mischung befindliche Rassen in derselben Richtung durch dieselben
Faktoren, die eine seit lange, die andere seit kurzem „modifiziert“,
umgewandelt, nicht mehr voneinander unterscheidbar! Au ch dieser
V o rg ang steht also in engstem Zusammenhang mit der Bastardierung,
er ändert ihr Resultat gewaltig ab!
Kommt der V o rg ang tatsächlich zur Beobachtung? Ich
halte die Bearbeitung dieser Frage zurzeit fast für das wichtigste
anthropologische Problem. Es ist unmöglich, daß die Anthropologie
an diesen allerdings sehr schwierigen Fragen vorbeigeht,
die in letzter Zeit durch die hochinteressanten Arbeiten W a l c h e r s
über die Schädelbeeinflussung durch die Bettlage des Säuglings
und durch die noch sehr zu prüfenden(!) Angaben von B o a s über
die Veränderung der Schädelform von in Amerika geborenen
Kindern gegen die ihrer Eltern neue Anregung bekommen haben.
Da fehlt sonst noch jede Vorarbeit. Heute, wo wir die Wirkung
von Drüsensekreten, von „innerer Sekretion“ auf das Wachstum
kennen, wo wir die Einwirkung von Jod, von Eisen, von Arsen
auf den Körper ahnen, wo wir in das Wesen der pathologischen
Knochenbildungsvorgänge und des Ka lk- und Salzhaushaltes des
Körpers allmählich eindringen, dürfen wir schon an äußere Einflüsse
denken, die mit dem Wort Klima noch lange, lange nicht
umfaßt sind; Feuchtigkeit, Hitze, Höhenlage usw. sind höchstens
ganz grobwirkende Faktoren, die anderen, wirklich und stärker
einwirkenden — chemische und physikalische — ahnen wir erst.
A b e r sie zu leugnen, weil wir sie nicht kennen, geht nicht länger
an. Hier hat also die Anthropologie reichliches, wenn auch sehr
schwieriges und dornenvolles Arbeitsfeld. Immer mehr erhellt
ja das Wesen der Modifizierbarkeit durch botanische und zoologische
Arbeiten; wir müssen folgen.
Auch die Anthropologie muß endlich zwischen der wirklich
angeborenen Eigenschaft und deren äußerer Manifestation unterscheiden!
Da muß gründliche Arbeit einsetzen, aber mit Einzeluntersuchungen
und faßbaren Tatsachen; allgemeine Ausführungen,
wie etwa R i d g e w a y s 1), der alle Rassenunterschiede zwischen
Europäern nur auf direkte Umweltwirkung zurückführt, bringen
uns zunächst nicht weiter. Ebensowenig natürlich die entgegengesetzte
Ansicht, so lange sie nicht Beweise bringt. Ihr konsequentester
Vertreter ist K o llm a n n (1902 und mehrere bekannte
Abhandlungen). Er bezeichnet die „Modifikationen“ der heutigen
Biologen als „fluktuierende Merkmale“, sie seien niemals imstande,
die eigentlichen Rassenmerkmale, also vor allem Schädelform,
Gesichtsform usw. zu ändern. Er nimmt das Konstantbleiben der
Schädelformen an gegebenen Örtlichkeiten trotz Einwanderungen
als Beweis für die Nichtmodifizierbarkeit an, eingangs dieses K a pitels
wurde gezeigt, daß es ebensogut durch stets g l e i c h g e r i c h t
e t e Modifikation bedingt sein kann. Auch andere Autoren,
V i r c h o w z. B., stehen auf diesem Standpunkt. R a n k e ( IQ12)
dagegen betont deutlich und stark die M ö g l i c h k e i t solcher
Wirkungen, die eine Menge von Erscheinungen in der geographischen
Verteilung anthropologischer Merkmale in Europa erklären
würden. Und F r i t s c h (Anthr. Korrespbl. 1899) sagt geradezu:
ich konstatiere, daß sich „eine gewisse Abänderung des Typus vor
meinen Au g en vollzogen hat“, solange er — in etwa einem
Menschenalter — Äg ypten kennt. Der Beweis für derartig schwerwiegende
Behauptungen ist aber noch zu erbringen! Au ch H a g e n
neigt zur Annahme starker direkter Modifizierbarkeit. Dagegen
lehnt sie T o i d t 2) ab, und zeigt, daß bei der betr. Bevölkerung
(Kärnthen, Tirol usw.) in der Tat Umweltwirkung die Formverschiedenheiten
der Schädel keinesfalls allein bewirkt haben kann.
Es ist aber unmöglich, hier auf diese Frage im allgemeinen
einzugehen — dagegen ist sie auch für unsere Bastards von Be1)
The Influerice of Environement on Man. Journ. R . Anthr. Inst. 40, 19.10.
2) T o ld t , Die Schädelformen in den österreichischen Wohngebieten der Altslawen
— einst und jetzt. • Mitt. anthr. Ges. Wien 1912, Bd. XL II.