Versehen unsere eigene warme Kleidung nach Sembälun durchgegangen war, mußten auch
wir in einen braunen, dicken Biberanzug hineinkriechen, und in dieser Bergmannstracht
von anno dazumal sahen wir mit unserer braunen Gesellschaft aus wie eine organisierte
Räuberbande.
Unsere Träger hatten sich mit großer Schnelligkeit Schutzdächer gebaut, wobei
sie das Gelände vorzüglich auszunützen verstanden. Einige krochen unter überhängendc
Felsen, andere benutzten eine durch einen Erdrutsch entstandene Bodenvertiefung, worüber
sie sich ein einseitiges Dach machten. Andere wieder überdeckten eine Felsspalte mit Laub.
In kürzester Zeit war außerdem noch eine Reihe primitiver Hüttchen entstanden (tatarüp),
wie sie die Leute hier zu Lande auf ihren Jagdzügen herzustellen pflegen. Zweige werden
nämlich im Kreise derart in den Boden gesteckt, daß die Enden sich oben zusammen
neigen. Am Eingang dieser Unterschlupfhütten unterhalten sie ein Feuer, um das sie meist
halbhockend liegen. Da die Sasaker niemals ohne einen Schirm ausgehen, so haben sic in
ihm jederzeit Material zum Bau eines solchen Häuschens.
Man findet nämlich bei ihnen zwei Sorten von Schirmen: einen fächerförmigen, der,
aus den Blättern der Lontar- oder Gebang-Palme (sendöng, ojöng) zusammengenäht, zu
jener Schutzstätte benutzt wird, während ein zweiter, viereckiger, bis zu einem Quadratmeter
großer, aus zwei bis vier Hüllblättern der Areng-Palme verfertigt, gelegentlich als
Schlafmatte dient. Wandert der Sasaker im Gebirge, so sind beide Schirme zu einem
Paket zusammengewickelt. Bei Regen ist er sehr darauf bedacht, daß seine Kleider nicht
naß werden. In diesem Falle zieht er trotz der Schirme sein Gürteltuch wie einen Schamschurz
zwischen den Beinen durch, während er Lendentuch und eventuell vorhandene Jacke
zu einem festen Knäuel zusammendreht und in den Gürtel steckt.
An allen Lagerplätzen brannten bald Feuer, die die ganze Nacht unterhalten wurden.
Als abgekocht war, stellte sich heraus, daß 15 Leute wegen Mangel an'Wasser kein Essen
hatten kochen können. Es blieb nichts anderes übrig, als daß diese zur nächsten Wasserstelle,
nämlich 900 m abwärts, kletterten. Sie schliefen dort und waren am anderen Morgen mit
gefüllten Wassersäcken wieder bei uns.
Trotzdem die ganze Expedition unter ein Zelt zusammenkriechen mußte, konnten
wir über schlechten Schlaf nicht klagen, wenn auch Gründier in seinem Schlafsack ein
Stück den Abhang hinunter gerollt war.
Mit Sonnenuntergang verschwindet derNebel, und leise wiegen sich dieTjemara-Tannen
im Hauch der Abendluft. Mit dem langsamen Schwellen der Brise erklingen weiche langgezogene
Töne wie von einer Violine, die bald bis zur Tiefe des Cello sinken und schließlich
im Winde pfeifen, bald anmutig rauschen wie ein Brünnlein, dann wieder sausen und
brausen wie ein Wasserfall. Unter diesem Gesang der Casuarinenbäume schlafen wir ein.
Am anderen Morgen wurde nach Ankunft der Wasserträger schnell das Frühstück
bereitet, zu welchem wir ungewaschen erscheinen mußten, da das Wasser nicht einmal
zum Zähneputzen reichte.
Erst um 101/* Uhr setzte sich unser 87köpfiger Trägerzug in Bewegung, die Abhänge
des Psugulän aufwärts. Meine Frau und ich blieben zurück, um auf einem Felsblock
unser Tagebuch zu Ende zu schreiben.
Auf Psugulän bei 2360 m ü. M. öffnen sich die bisher geschlossenen Casuarinenwälder,
während sie sich in den Tälern weiter hinaufziehen und allmählich in das Gebirgs-Nieder-
holz übergehen. Die Habichtskräuter und die graufilzigen Anaphalis, von denen große
Herde die Rücken bedecken, treten nur noch vereinzelt auf. Hin und wieder findet man
Enzian zwischen den dürftigen Schwingelgrasbüscheln und dem üppigen Moosrasen. Ringsherum
sieht der vulkanische Boden hervor, und das Gestein ist mit Flechten überzogen.
Während die Rücken infolge der Porosität der Vulkan-Lapilli nur eine kümmerliche Grasvegetation
tragen, werden die zahlreichen engen Täler der jüngeren Rindjani-Spitze als ein,
wenn auch häufig unterbrochener grünlicher Gürtel von der B u s c h f o rm a t i o n d e r
k a l t e n G e w ä c h s z o n e erfüllt, die sich um den Rindjani-Mantel legt. (Taf.III, Fig. 2.)
Dem Geographen fällt sofort der Unterschied zwischen diesem kanzelartig hervortretenden
Gebirgsstücke und dem eigentlichen Rindjani-Vulkan auf. Dieser zeigt sich besonders
in dem einfach geteilten Rippensystem, das nur gelegentlich einen Ansatz zur zweiten
Gabelung aufweist. Die vielen Täler und Rinnen sind mit senkrechten Wänden und eckigen
Rändern scharf eingeschnitten, und wo sie nach oben mit einem großen kesselförmigen
Loche enden, da tritt nicht selten in halber Talhöhe eine Stufe zutage. Bei manchen hat
die Erosion talwärts bereits einen Rücken ausgesägt, den Anfang zur Bildung des zweiten
Rippensystems. An allen Talwänden aber sieht man die Aschen- und Lapillilagen ziemlich
flach nach Norden hin einfallen.
Es war ein sonnenklarer Morgen, nur hin und wieder zog ein dicker Wolkenballen
um den Berg. Als meine Frau und ich uns zum Aufstiege anschickten, war die Karawane
schon weit voraus; hoch oben auf dem Felsengrate sahen wir den langen Zug der
Träger, deren Silhouetten sich vom Himmel abhoben und deren Schatten geisterhaft auf
den Nebelwänden herumkletterten.
Mit der Annäherung an die Höhe wird der Grat immer schmäler; wir müssen
Stellen passieren von kaum mehr als einem Fuß Breite. Gleichzeitig werden die Abhänge
steiler und fallen gelegentlich mit 37° ab. Westwärts aber in ca. 400 m Tiefe
rauschen die Wasserfälle des Putih-Flusses. Noch vor 1 Uhr sind wir bei 2690 m auf
dem höchsten Punkte, Plawangän, d. i. „Tor“, nämlich zur heiligen Stätte. Dieser Berg
wird auch Plawangän-Sembälun oder Plawangän-daja ( = Nord) genannt, zur Unterscheidung
des auf der Südseite liegenden Plawangän-Selong.
Schon erblickt man von hier den Segare-Anak in einem großen Felsenkessel. Das Blauschwarz
seines Spiegels und das schwere Blaugrün seiner Wände gibt der Stätte etwas
Geheimnisvolles. Nur ein einziges Tor führt durch den himmelan ragenden Mauerwall, das freundliche,
von schlanken Tjemara-Tannen erfüllte Putih-Tal, das wie ein herrlicher Garten der
Semiramis absticht gegen die nur mit Grasbüscheln, Moos und Flechten bewachsenen Berge.
Äm Kratersee Segare-Änak.
Zum Zwecke meteorologischer Beobachtungen nahm ich hier eine Teilung der
Expedition vor. Gründier, mit dem ich eine umfangreiche Telegraphie mit roten, grünen
und weißen Laternen für nächtliche Verständigung, mit Signalschüssen für den Tag
verabredete, sollte mit seinem Zelt und einem Teile der Lebensmittel Zurückbleiben.
Gleichzeitig hoffte ich mit dem dadurch geringer gewordenen Gepäck besser zu dem See
hinabzukommen. Denn schon bei der Verteilung desselben stellte sich heraus, daß die
Hinunterschaffung eine schwierige sein werde, und so vermehrte ich die Träger dadurch,
daß auch die Sammler, Bedienten und die Dorfhäupter gegen besondere Vergütung
eingereiht wurden.