
IX.
G r ö n l ä n d i s c h e A n n e l i d e n .
Bearbeitet von
Dr. W. Michaelsen in Hamburg.
Der Aufforderung des Herrn Dr. V a n h ö f f e n , die von ihm während seiner Reise in
Grönland gesammelten Anneliden zu bestimmen, leistete ich um so lieber Folge, als ich die Bearbeitung
dieses Materials zugleich mit der (jetzt seit langem abgeschlossenen) Bearbeitung der
Polychaeten der deutschen Meere ausführen konnte. Das Studium der grönländischen Polychaeten
lehrte mich manche arktische Form kennen, die mir bis dahin nicht zu Gesicht gekommen war,
und erleichterte mir somit auch die Bearbeitung der deutschen Polychaetenfauna, die so manche
Beziehung zur arktischen Fauna aufweist.
Ausgeschlossen von dem mir übergebenen Material war die Familie der Phyllodociden,
deren Bearbeitung später erscheinen wird.
F a s t alle die erwähnten Würmer wurden in der Bucht bei der Karajakstation innerhalb
eines Gebiets von etwa 1 | | Kilometer in Tiefen bis zu 100 m gedretscht. Einige wenige wurden
bei Korne, am Sermitdletfjord und schräg gegenüber der Karajakstation bei Karajakhus, einer
von wenigen grönländischen Familien bewohnten Niederlassung, gefunden. In diesen Fällen ist
der Fundort speziell angegeben.
N y c h ia c ir r o s a (Pall.).
Diese A r t zeigt eine arktisch-boreal circumpolare Verbreitung. Nach Süden reicht ih r
Gebiet bis in lusitanische Meere (N.W.-Frankreich) hinein. Sie wurde in der Umgebung der
Karajakstation reichlich in Dretschziigen mit Tang und Schill im Juli, August, September, November
und Jan u a r gefunden.
H a rm o th o é r a r i s p in a (Sars.).
Diese A rt is t wie die vorige arktisch-boreal circumpolar; scheint jedoch nicht so weit
wie jene nach Süden zu gehen. In lusitanischen Meeren is t sie nicht nachgewiesen worden. Im
Bereich der amerikanischen Ostküste geht sie bis Neu-England nach Süden. Sie wurde von
Dr. V a n h ö f f e n im Oktober und Juli, in 3 Dretschzügen, von denen 2 vom Ufer direkt bei der
Station, eine im flachen Wasser bei der Halbinsel Mikornak gemacht wurden, gefunden.
Harmothoé semisculpta [Johnst.?] (Hansen).1 u. 2.
Diese A rt war in den Dretschzügen vom 13. VIII. 92, 9. IX. 92 und 26. VII. 92 vorhanden,
die alle nahe am Ufer bei der Karajakstation ausgeführt wurden. Da die Zugehörigkeit der
Johnston’schen Exemplare zu der von Hansen beschriebenen Form nicht über jedem Zweifel erhaben
ist, so kann als weiteres Verbreitungsgebiet dieser A rt nur das Isländische Gebiet angefü
h rt werden. Die mir vorliegenden Stücke stimmen zum Teil sehr genau, zum Teil weniger
genau mit Hansens Beschreibung der H. semisculpta Johnst. überein. Die mehr oder weniger starke
Abweichung beruht auf der Ausbildung der kleinen Elytren-Körper. Nach Hansen sollen die
E ly tren , abgesehen von den Rand-Cilien und von den grossen, keulenförmigen Randkörpern, die
auch bei den mir vorliegenden Tieren regelmässig vorhanden sind und keiner weiteren Erörterung
bedürfen, zahlreiche kleine, in zwei divergierende Spitzen auslaufende, über die ganze Fläche
zerstreute Körperchen tragen. Ein E ly tro n vom Vorderkörper eines ziemlich kleinen Exemplares
entsprach fa st genau dieser Beschreibung; aber schon ein Ely tro n vom Hinterkörper desselben
Tieres zeigte eine andere Gestaltung der Körperchen. Die Umformung, der diese Körperchen
unterworfen sind, geschieht nach zwei verschiedenen Richtungen hin. Einmal, wie mir scheint,
in dem weniger häufigen Falle, bildet sich das eine der beiden Hörner zurück und es entsteht
ein einspitziger, gekrümmter hohler Dorn. Das andere Mal trifft die Zurückbildung beide Hörner
gleichmässig. Es h a t den Anschein, als ob die Körperchen mehr oder weniger weit abgestutzt
seien. Die Hörner werden kürzer bis zum vollkommenen Schwinden. Die Körperchen haben
dann die Gestalt eines schlanken, abgestumpften Kegels, dessen äusseres, schmäleres Ende schwach
zusammengedrückt ist. Die Zurückbildung kann noch weiter um sich greifen, so dass schliesslich
nur niedrige, stumpf abgerundete, durchbohrte Stümpfe übrig bleiben. Die Zurückbildung scheint
bei den grösseren Exemplaren im Allgemeinen weiter vorgeschritten zu sein als bei den kleinen.
Das Vorherrschen der zweihörnigen Körperchen fand ich nur bei einem Exemplar. Bei den
meisten anderen fanden sich nur wenige zweihörnige zwischen vielen schlank kegelförmigen.
Bei einigen Exemplaren konnte ich überhaupt keine zweihörnige Körperchen mehr auffinden.
Wenngleich die beiden Extreme bei Ausschluss der Zwischenformen kaum eine artliche Zusammengehörigkeit
vermuten Hessen, so glaube ich bei Betrachtung der ganzen Reihe doch
annehmen zu dürfen, dass die zweihörnige Form der Elytren-Körperchen nur ein jugendliches
Stadium der abgestutzten ist, dass also eine Trennung in verschiedene Arten nicht vorgenommen
werden darf.
H a rm o th o é im b r ic a ta (L.).
Diese Küstenform is t nicht nur arktisch und boreal circumpolar, sondern geht auch ziemlich
weit nach Süden, im atlantischen Gebiet bis Frankreich und Spanien, im pacifischen Gebiet
bis Süd-Japan. Sie is t neben Nychia cirrosa die häufigste der grönländischen Polynoiden und
wurde in zahlreichen Exemplaren stets in Gemeinschaft mit jener gesammelt.
1 Johnston: A Catalogne of the British non-parasitical Worms; London 1865i|i- pag. 116 (als Lepidonotus
semisculptus).
2 Hansen: Annelida in: The Norwegian North-Atlantic Expeditions 1876—1878; Christiania 1882 — pag. 26
(als Polyno'è semisculpta Johnst.?).