
 
        
         
		auch  die  Adern  auf  der  Stirn  und  die  Blutgefässe  auf  dem  
 Bauch  sind  je  nachdem  von  dunklerer  oder  hellerer  Farbe.  
 Ein  sehr  umfangreicher  Leib,  der  auf  der  rechten  Seite  am  
 dicksten  ist,  deutet  auf  einen  Knaben.  Die  Mädchen  haben  
 weniger Platz nötig und entstehen in der linker Hälfte des Leibes. 
 In  Nord-Nias (Lahewa) beschrieb man mir den Befruchtungs-  
 process,  die  Entstehung  und  Entwicklung  der  Frucht  in  derselben  
 Weise,  wie  in  Lölöwua.  Auch  die  Nordniassermeinen,  
 dass  die  Hoden  n u r  dazu dienen, die Erektion zu ermöglichen. 
 Sie  glauben  jedoch,  dass  der  weibliche Samen in der Gebärmutter  
 gebildet,  während  der  männliche  von  dem  ganzen  
 Körper  geliefert  wird.  In  dem  Samen  der  Frau  befindet  sich  
 weder  nosso  noch  sumange. 
 Nach  der  Annahme  der  dortigen  Eingeborenen ist die nosso  
 die  Seele,  während  die  sumange  die  luma,  den  Schatten  der  
 nosso  vorslellt.  Erst  wenn  sich Arme und Beine bei der Frucht  
 entwickelt  h ab en ,  wird  ih r  von Lowalangi nosso zuerteilt; dies  
 geschieht  im  fünften  Monat  der  Gravidität. Die sumange erhält  
 das  Kind  erst  nach  der  Geburt. 
 Der  Sitz  der  nosso ist bei dem Fötus auf das Herz beschränkt,  
 erst  nach  der  Geburt  verteilt  sie  sich  über den ganzen Körper,  
 das  Herz  bleibt  aber  auch  dann  ih r  Hauptsitz. 
 Dies  erklärt  die  grosse  Bedeutung,  welche  die  Niasser dem  
 Herzen  beimessen. 
 „Das  Herz” —  schreibt  Chatelin  ])B L , i s t   nach  der  Anschauung  
 der  Niasser  ein  Mensch  für  sich  oder  lieber  der  
 Mensch  in  Person  und  der  übrige  Teil  des  Körpers  ist nichts  
 mehr  als  seine  Umhüllung. 
 Im  Menschen  giebt  es  nichts,  das  nicht  im  Herzen  seinen  
 Ursprung  hat.  Darum  spielt  das  Herz  (dödo) in ihrem Sprachgebrauch  
 eine  so  grosse  Bolle.  Man  d en k t,  fühlt  und begreift  
 mit  dem  Herzen  und  nicht  mit dem Kopf. Das Herz empfindet,  
 versteht,  lacht,  freut  sich  und  ist  betrübt;  es  weint,  ist  mitleidig, 
   zornig,  böse,  geizig,  verschwenderisch, in sich gekehrt, 
 1)  Chatelin,  L.  N.  H.  A.,  Godsdienst  en  bijgeloof  der  Niassers.  
 Tijdschr.  van  Indische  T.  L.  en  V.  K.  Deel  XXVI. 
 durstig,  m ü d e ,  schnell,  langsam,  fau l, freundlich, zuvorkommend  
 tot  etc.  etc.  Den  moko-moko  hält  man  für  die Fortsetzung  
 des  Herzens,  also  des  ganzen  Menschen;  man nennt ihn  
 auch  noso-dödo,  d.  h.  Seele  des  Herzens.” 
 Nach  Sundermann  *)  ist  das  Herz  bei  den Niassern der Sitz  
 der  Gedanken,  des  Verstandes  und  Gefühles.  Es  ist  omuso,  
 wenn  man  sich  freut;  es  ist  abu  (sparsam),  wenn man traurig  
 is t,  es  ist  afochö  (es  tut  weh)  wenn  man zornig is t; es ist ebua  
 (gross)  wenn  man  jemand  gern  h a t,  ide-ide  (klein) wenn man  
 jemand  nicht  leiden  mag.  Das  Herz  ist  ebolo  (breit) wenn der  
 Mensch  geduldig  und  nachgiebig  ist,  tetutu  (gestossen)  wenn  
 e r  beleidigt  is t;  es  ist  ahachö  (geschlossen)  wenn  er Mitleiden  
 hat;  es  ist  atulö  (gerade)  wenn  er  gerecht  und  abila(krumm)  
 wenn  er  ungerecht  ist.  Das  Herz  ist  mate  (tot)  wenn  er  sich  
 sehr  verwundert;  es  ist  möi,  wenn  er  eine  Sache  begreift etc.  
 Der  Niasser  sagt:  u’era’era  tödögu,  d.  h.  „ ich denke nach mit  
 meinem  Herzen” ;  u ’alu’alui  tödögu  =   ich  sinne  nach  mit  
 meinem  Herzen. 
 Das Herz wird im Zusammenhang m 't Ausdrücken gebraucht,  
 bei  denen  die  Bede  .ist  von  Freude,  Zufriedenheit,  Weisheit,  
 Verstand,  Begreifen,  Schmerzgefühl,  Widerwillen, Heuchelei,  
 Gerechtigkeit, Sittlichkeit, Ehrlichkeit, Verdacht, Vermutung etc. 
 In  einem  ändern  Beitrag  erzählt  Sundermann  eine hübsche  
 Anekdote  vom  Streit  der  Körperteile  um  den  Vorrang 2). Der  
 Mund,  die  Augen,  die  Nase,  die  Ohren, die Hände, die Füsse  
 und  auch  das  Herz  stritten  sich  um  den  Vorrang  und  jeder  
 glaubte  der  Vornehmste  zu  sein.  Das  Auge  sprach:  „ich  bin  
 der  erste  unter  Euch,  denn  ich  nehme  alles  früher  wahr  als  
 Ih r.”  Darauf  antwortete  das  Ohr,  dass  dies  unrichtig  sei,weil  
 das  Ohr  alles  zuerst  bemerkte.  In  derselben  Weise  äusserten  
 sich  die Nase, der Mund, die Hände und die Füsse und glaubten  
 die  bedeutendsten  Teile  zu  sein.  Während  sie  mit  einander  
 stritten,  schwieg  das  Herz.  Neun  Tage  und  neun  Nächte 
 1)  Sundermann,  H.,  Die  Insel  Nias  und  die  Mission  daselbst.  
 Allgem.  Missionszeitschr.  Bd.  XL 
 2)  Sundermann,  N.,  Niassische  Texte mit deutscher Übersetzung.  
 Bijdragen  tot  de  T.  L.  en  V.  K.  v.  N.  Indie.  Bd.  LVIII.