die Oberlippe. Dann werden zuerst die Schneide- und Eckzähne
des Unterkiefers bis zum Zahnfleisch durchgesägt und gefeilt und
darauf kommen die Zähne des Oberkiefers an die Reihe. Zum
Schluss macht man die Zahnstumpfe schwarz, in dem Glauben
sie dadurch zu kräftigen. Nach der Operation muss der Patient
schwarz gekochten Reis (fachaito) essen, das Reiswasser dringt
in die Zahnstumpfe und soll dieselben gleichfalls kräftigen.
Diesen Reis erhält das Kind so lange zu essen, bis die Pulpa
aus der Zahnhöhle gekommen ist, erst dann erhält es wieder
weissen Reis. Nach ungefähr acht Tagen darf das Kind wieder
ubi (dioscorea alata) geniessen, aber erst nach einem Jahre ist
es ihm erlaubt seinen Speisen scharfe Ingredienzien hinzuzufügen.
Manchmal soll die Operation so viel Schmerzen verursachen,
dass das Kind in Ohnmacht fällt oder irre redet.
Der Sachverständige erhält zur Relohnung etwas rohen Reis,
auf den eine kundri und ein Zehncentstück gelegt wird. Die
kundri hat symbolische Redeutung. Der Samen der kundri
(Paternostererbse, Abrus precatorius L .; Mal. Kenderi, Minangk.
Kundi, Lamp. Kunderi) hat an der Stelle, wo er an der Schotte festsitzt
einen schwarzen Fleck, während der übrige Teil korallenrot
ist. Man giebt nun mit diesem Geschenk den Wunsch zu erkenn
en , dass der Mund des Kindes nach dem Feilen der Zähne
dem Kundri-Samen gleichen möge, die Zähne von aussen
schwarz und das Zahnfleisch von schöner roter Farbe.
Ausserdem bekommt der Operateur und diejenigen, die ihm
beim Feilen behülflich gewesen sind-, eine Schüssel Reis. E r
spricht darüber eine Reschwörungsformel aus, in der er die
höheren Mächte für die Genesung des Kindes anruft.
Bei den Südniassern scheinen Zahnentzündungen häufiger
vorzukommen. Als obat gegen Zahnschmerzen wird auch hier
der schwarze Farbstoff, mit dem die Vorderzähne eingerieben
werden, gebraucht. Hilft das nicht, so nimmt man in ein
Sirihblatt gewickelten lombok (Spanischer Pfeffer) in den Mund
und kaut darauf.
In West-Nias (Lölöwau) wird die Operation ungefähr in derselben
Weise ausgeführt. Man will durch das Feilen v erhüten,
dass die Vorderzähne zu lang werden, was als sehr unästhetisch
gilt. Ebenso wie die Beschneidung wird hier auch das Feilen
der Zähne durch den Vater des Kindes ausgeführt, oder wenn
derselbe nicht mehr am Leben oder sonst unfähig dazu ist,
durch den Onkel mütterlicherseits. Nach der Operation darf das
Kind vier Tage lang kein Sirih kauen und n u r wenig Speise
zu sich nehmen; vor der Operation muss es tüchtig essen,
weil es in den darauf folgenden Tagen n u r wenig Nahrung erhält.
Nach der Operation wird ein kanduri gefeiert, wozu man ein
junges Schwein schlachtet.
In dieser Gegend wartet man mit dem Feilen der Zähne
bis der Reis in die Erde gebracht ist. Vor dem Pflanzen der padi
pflegt man nämlich den ladang zu brennen ; man glaubt, weil
der Boden dann warm ist, dass sich diese Wärme auf den
menschlichen Körper überträgt, und da man es für schädlich
hält an einem erhitzten Organismus die Operation vo'rzunehmen,
wartet m a n , bis der Reis in die Erde gepflanzt und der ladang
abgekühlt ist. Man feilt stets bei abnehmendem Mond, weil man
meint, dass die Operation bei Vollmond oder zunehmendem
Mond eine starke Anschwellung des Zahnfleisches zur Folge
haben wird.
Manche Niasser verbieten kleinen Kindern von der Kinnlade
des Schweines zu essen, weil dadurch später, wenn ihre
Zähne gefeilt werden, das Gesicht stark anschwellen wird.
Nach L e tt1) ist es auf Nias keine Seltenheit, dass Kinder
nach der Operation wochenlang mit geschwollenem Gesicht
umherlaufen und n u r flüssige Nahrung zu sich nehmen können.
Es sind also nicht, wie von Rosenberg 2) mitteilt, n u r die
oberen Schneidezähne, die von den Niassern gefeilt werden,
sondern in der Regel auch die Eckzähne und die unteren
Vorderzähne.
Bei verschiedenen deutschen Schriftstellern findet man über
die Niasser die Angabe, dass dieselben nach von Rosenberg
ihre Zähne auch drei-eckig zu feilen pflegen.
1) Lett, Aug., Im Dienste des Evangeliums auf der W. Küste
von Nias. Missionstraktat. Barmen, 1901.
2) Nieuwenhuisen en von Rosenberg, Verslag omtrent het eiland
Nias en deszelfs bewoners. Verh. Batav. Gen. Dl. 30. 1863.