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 öfter  vor,  dass,  nachdem  das  Kind bereits geboren i s t ,  die Pla-  
 centa  nicht  ausgestossen  wird.  In  Ost-Nias  bittet  in  diesem  
 Fall  die  gebärende  Frau  ihren  Mann  im  Hause nachzusehen,  
 ob  auch  alles  an  seinem  Platze  liegt.  Hat  er  sich  davon  
 überzeugt  und  alles  in  Ordnung  gebracht,  und  tritt  darauf  
 keine  Veränderung  des  Zustandes  ein,  so  befiehlt  ihm  die  
 Frau  einen  Pfahl  des  Gartenzaunes  heraus  zu  ziehen  und auf  
 die  Erde  zu  legen.  Hilft  auch  das  nicht,  so  stellt  die  dukun  
 die  niru  (Reiswanne)  in  schräger Haltung vor den offnen Mund  
 der Gebärenden  und  giesst  kaltes  Wasser  darauf,  das über die  
 Wanne  in  ihren  Mund  läuft.  Man  hofft  nun, dass die Placenta  
 ebenso  leicht  geboren  wird, wie das Wasser über die niru läuft.  
 Nach  Angabe  der  dukun  versagt  dieses  Mittel  n u r  selten. 
 In  Nord-Nias  wendet  man  Massage  an ,  um  die  Placenta zu  
 lösen;  ausserdem  opfert  man  den  adu  zatua  und bittet sie um  
 Hülfe. 
 Man  steckt  der  gebärenden  Frau  auch  ihr  eignes  Haar  in  
 den  Mund.  Bleibt  dies  alles  ohne  Wirkung,  so  wirft der Gatte  
 einen  Klumpen  Erde  über  das Haus weg in der Hoffnung, dass  
 die  Placenta  ebenso  schnell  aus  dem  Leib  der  Frau  fallen  
 wird,  wie  der Erdklumpen  auf  den Boden. Hat auch dies Mittel  
 keine  Kraft,  so  wird  die  Frau  sterben  müssen. 
 Die  dukun  von  Lölöwau  (West-Nias) tritt in einem derartigen  
 Fall  aktiver  auf.  Wenn  die  Placenta  geraume  Zeit  nach  der  
 Geburt  des  Kindes  noch  nicht  zum  Vorschein  gekommen ist,  
 bringt  sie  Daumen  und  Zeigefinger  an  der  Nabelschnur  entlang  
 in  die  Vagina  und  klopft  gegen  den  Funiculus, w odurch  
 die  Placenta  sich  aus  der  Gebärmutter  lösen  soll.  Sie  gab mir  
 als  Ursache  für  das Zurückbleiben der Nachgeburt an, dass das  
 Kind  sehr  schnell  geboren  worden  sei  und  die  p intu, die Tür  
 oder  Pforte,  sich  wieder  hinter  ihm  geschlossen  habe.  Auch  
 kann  der  Gatte  die  Schuld  tragen,  wenn  er  nämlich  seiner  
 schwangeren  Frau  etwas  verweigert  h a t, wonach sie verlangte,  
 oder  die  Frau  selbst,  wenn  sie  es  gewagt  hat  während  
 der  Schwangerschaft  aus  der  gemeinschaftlichen  Schüssel  zu  
 essen. 
 Rupturen  der  vulva  infolge  der  Niederkunft  sind selten. Die  
 dukun  kennt  kein  Mittel  um  sie  zu  verhüten;  den  Kopf  zu  
 stützen  oder  nach  vorne  zu  drücken ist ih r unbekannt. Grosse,  
 tiefgehende  Rupturen  Kommen  aber  nach  ihrer Aussage nicht  
 vor.  Auch  ernstliche  Gebärmutterblutungen  nach  der  Entbindung  
 sollen  sehr  selten  sein.  In  West-Nias  wird, wenn der  
 Fall  doch  eintritt,  der  Körper  der  Frau  mit warmem Wasser,  
 in  das  man  bulu  golalo  gelegt  hat,  begossen. 
 Descensus  und  prolapsus  uteri  et  vaginae  kommen  nach  
 Durdik  x)  bei  den  niassi sehen  Frauen  häufig  vor,  weil  sie  zu  
 bald  post  partum  wieder  an  die  Arbeit  gehen. 
 Es  scheint,  obwohl  mir  jetzt  überall das Gegenteil versichert  
 wurde,  ursprünglich  in  Nias  die  Vorstellung  bestanden  zu  
 h a b e n ,  dass  aus  einem  Menschen  eine  Pflanze  oder  ein  Tier  
 geboren  werden  kann  und  umgekehrt  aus  einer  Pflanze  oder  
 einem  Tier  ein  Mensch.  Auch  giebt  es  mehrere  Legenden,  in  
 denen  Menschen  in  Tiere  verwandelt  werden.  Eine  derartige  
 Legende  wird  uns  von  Missionar  Thomas  2)  erzählt. 
 Die  Niasser  behaupten  nämlich ,  dass  nicht  nur  die  Affen,  
 sondern  auch  die  Katzen  früher Menschen gewesen sind. Über  
 die  Entstehung  der  Katzen wird  Folgendes erz äh lt: Ein junger  
 eben  verheirateter  Mann  bemerkte,  dass  seine  Frau  in  acht  
 Tagen  nichts  von  dem  gemeinschaftlichen  Gericht  genossen  
 hatte  und  sich  von  Ratten  und  Mäusen  nährte.  Er  bekam  
 einen  Widerwillen  gegen  sie  und  tötete  sie.  Darauf  schnitt  
 er  die  Leiche  in  zwei  Stücke  und  warf  die  eine  Hälfte  vor  
 das  Haus  auf  den  Weg,  die  zweite  hinter  das  Haus.  Aus  der  
 letzteren entstand die wilde Katze, aus der ersteren die Hauskatze.  
 Aus  diesem  Grunde  essen  wohl  die  Männer,  aber  niemals die  
 niassischen  Frauen  in  dieser  Gegend  das  Fleisch  von  Wildkatzen  
 ,  ebenso  wenig  wie  Affenfleisch,  denn  die  Sage erzählt,  
 dass  auch  die  Affen  aus  einer  Frau  entstanden  sind. Als näm- 
 1)  Durdik,  P.,  Genees-  en  Verloskunde  bij  de  Niassers,  Gen.  
 Tijdschr.  voor  N.-Indie.  Deel  XXII. 
 2)  Thomas,  J.  W.,  Drei  Jahre  in  Süd-Nias.  Rhein.  Missionstraktat. 
  No.  46,  1892.