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 zurückzubringen.  Der  Geist  gehorchte  und  schleppte  trotz  der  
 Mühe,  die  es  ihm  machte,  die  Kiste auf den Berg und brachte  
 sie  darauf  zu  Tuha  zurück.  Auf  der  Hälfte des Weges ruhte er  
 eben  aus  und  da  hörte  das  Kind  in  der  Kiste ihn sagen: „was  
 kümmert  mich  die  Anstrengung,  wenn  ich  das Kind von Frau  
 Buruti  nur  behalten  kann.”  Darauf  gab  Tuha  die  Kiste  der  
 richtigen  Mutter  und befahl ihr dieselbe Aufgabe zu vollbringen.  
 Auch  sie  ruhte  sich  auf  der  Hälfte  des  Weges  aus  und  sagte  
 dabei  laut  zu  sich  selbst:  „ Es  ist  doch  wirklich  a rg ,  dass ich  
 mich  so  anstrengen  muss,  um  mein  eignes  Kind  zurückzubekommen. 
   ’  Nachdem  auch sie die Kiste zurückgebracht hatte,  
 bat  Tuha das Kind ihm zu erzählen, was es gehört habe. Das Gehörte  
 sagte  ihm  deutlich, wer  die rechte Mutter des Kindes sei.” 
 Diese  niassische  Anekdote  interessiert uns wegen ihrer Aehn-  
 lichkeit  mit  der  bekannten Erzählung aus der Bibel „das Urteil  
 Salomo’s ”;  man  findet überhaupt in der niassischen Mythologie  
 noch  eine  ganze Beihe anderer Erzählungen, die uns durch ihre  
 Übereinstimmung mit biblischen Geschichten in Erstaunen setzen.  
 Wir  hören  von  einer  Sündflut, welche  die Erde überströmte; es  
 giebt  auch  eine  Legende,  die der Geschichte von Simson gleicht. 
 Die  grosse  Flut  is  eine  bedeutsame  urelementare  Mythe.  
 Brevsig  (Die  Entstehung  des  Gottesgedankens  und  der  Heilbringer. 
   Berlin,  1905)  betrachtet  sie  als ein wirkliches Ereignis  
 der frühesten Menschheitsgeschichte, als ein furchtbares Ergebnis,  
 das  sich  als  Fall  äusserster  Herzensnot  und  Seelenangst  den  
 jungen  Völkern  einprägte. 
 Die  „ grosse  Flut ”  gehört  zu  den  am  meisten  umstrittenen  
 Fragen  der  Mythen  und  Beligionsgeschichten.  Eine  allgemein  
 gültige, alle Züge ihrer unzähligen Varianten erklärende Deutung  
 gibt  es  nicht  und  ist auch kaum zu erwarten. Nur über folgende  
 Punkte  ist  nach  Ehrenreich  (Götter  und  Heilbringer, Zeitschr.  
 f.  Ethnologie,  38  Jhrg.  1906)  ein  Einvernehmen  wenigstens  
 bei  den  ethnologisch  vergleichenden  Autoren  erzielt  worden. 
 1.  Die  Flutsage  ist  nicht  universell,  fehlt  z.  B.  im  grössten  
 Teile  Afrikas und ist bisweilen, wo sie vorkommt, der biblischen  
 Tradition  entlehnt. 
 2.  Ihre  verschiedenen  Fassungen  lassen  sich  nicht  auf  das  
 gleiche  Ereignis  beziehen. 
 3.  Die  Sintflut  im  eigentlichen  Sinne  ist  zu  unterscheiden  
 von  der  Urilut.  Erstere  ist,  wie  auch  Breysig  richtig  bemerkt,  
 ein  Schicksal, das die schon fertig erschaffene Erde überkommt,  
 häufig  im  Sinne  eines  Strafgerichts  oder  den  Abschluss  einer  
 Weltperiode  bezeichnend.  Letztere  ist  ein  kosmogonisches  
 Moment,  ein  Weltzustand. Mit dem Herausfischen der Erde aus  
 diesem  Urmeer  beginnt  die  Weltschöpfung  im  engeren Sinne. 
 Ich  möchte  noch  eine  niassische Anekdote erzählen, aus der  
 hervorgeht,  dass  die  Niasser  ebenso  sehr  an  ihren  weiblichen  
 als  an  ihren  männlichen  Nachkommen  hängen:  „Grossvater  
 Bola  fuhr  einmal  mit  seinen  beiden  Enkeln,  einem  Ivnabeh  
 und  einem Mädchen über den Fluss. Er hatte auch ein Kästchen  
 mit  Schmucksachen  bei  sich.  Wie  sie  mitten  auf  dem  Flusse  
 waren,  fing  das  Boot  an  zu  sinken.  Seine  Frau  Torosi,  die  
 vom  . Ufer  aus  alles  s a h ,  rief  ihm  z u :  „ Lass  eins  von  dreien  
 (zwei  Kinder  und  das  Kästchen)  lo s ! ” Böla hörte es w o h l, liess  
 aber  nichts  los  und  es  gelang  ihm  auch das Ufer zu erreichen.  
 Als  er am  Lande  in  Sicherheit war, fragte er seine Frau, warum  
 sie  das  gerufen  h ab e , wie er denn eins von dreien habe loslassen  
 können ?  Hätte  er  den  Knaben preisgegeben, so würde er seinen  
 Augapfel  verloren haben, hätte er das Mädchen geopfert, würden  
 sie  das  Kind  verloren  haben,  das  für  sie  den  Weg  im  Lande  
 bahnt (d. h. das später durch seine Verheiratung neue Verbindungen  
 anknüpft).  Hätte  er  das  Kästchen  mit Schmucksachen losgelassen, 
   würde  er  sein  Herzblut  hergegeben  haben”  *)• 
 Diese  Geschichte  ist  ausserdem  ein  Beweis,  wie viel sich die  
 Niasser  aus  Schmuckgegenständen  machen,  nicht  einmal  für  
 ihre  allernächsten  Angehörigen  wollen  sie  dieselben  opfern. 
 Nach  von  Kosenberg 2)  soll  übrigens die Kinder- und Elternliebe, 
   wenigstens  in  Bezug  auf  das  weibliche  Geschlecht,  nur  
 ein  schwaches  Band  sein. 
 1)  Sundermann,  H.,  Kleine  niassische Chrestomathie.  Bijdr.  tot  
 de  T.  L.  en  V.  K.  von  Ned.  Indie.  Deel  XLI.  1892. 
 2)  Nieuwenhuisen  en  von  Rosenberg, Verslag  omtrent het eiland  
 Nias  en  deszelfs  bewoners.  Versl.  van het Batav. Gen. Deel 30.1863.