Bei A. B. M ey er1) liest man: „Das Spitzfeilen scheinen nur
wildere uncivilisirtere und nicht-mohammedanische Völkerschaften
zu üben, die sich damit vielleicht eine Thierähnlichkeit,
etwas Furchtbares geben wollen. Wenn es festgestellt ist, dass
das Spitzfeilen bei den Niassern Sitte sei, so scheint es doch
ebenso sicher, dass nicht alle Bewohner der betreffenden Insel
es üben.”
Diese Bemerkung von Meyer schliesst viele Ungenauigkeiten
ein. Zunächst ist es durchaus nicht richtig, dass man die
Spitzfeilung n u r bei uncivilisierten, nicht-mohammedanischen
Völkern antrifft, sie ist auch bei Jav an en , bei den Redjangs von
Lebong, bei Eingeborenen der 12e Kota in Sumatra und bei
mohammedanischen Bataks festgestellt worden.
Gegen die Auffassung, dass das Motiv der Spitzfeilung der
Wunsch einem Tiere zu gleichen sein soll, wie Meyer vermutet,
spricht, dass gerade die meisten indischen Stämme
einen Widerwillen gegen jede Tierähnlichkeit h ab e n ; sie geben
gerade häufig als Grund für das Feilen der Zähne a n , dass
sie weisse ungefeilte Zähne zu tierisch finden.
Die Minangkabau-Malaien in Central-Sumatra teilten mir
mit, dass sie unsre Zähne nicht schön finden, weil sie den
Zähnen des Hundes gleichen ; sie nannten unsre weissen ungefeilten
Zähne auch wohl Affenzähne.
Dieselbe Auffassung findet man auch bei ändern Stämmen,
so pflegen z. B. die Matonga den heiratsfähigen jungen Männern
die oberen Schneidezähne auszubrechen. Sie sagen, dass an
dieser Gewohnheit die Frauen Schuld sind, weil sie finden,
dass Männer mit einem vollständigen Gebiss Pferden gleichen
sie wollen sie nicht zu Gatten.
Meyer schreibt, dass nicht alle Niasser ihre Zähne spitz
zu feilen scheinen; ich habe unter 1300 Niassern aus verschiedenen
Gegenden der Insel nicht einen einzigen mit spitzgefeilten
Zähnen entdeckt; wenn also trotzdem Spitzfeilung auf
Nias vorkommt, so muss sie zu den grössten Ausnahmen gehören.
1) A. B. Meyer, Notizen über das Feilen der Zähne bei den
Völkern des Ost-indischen Archipels. Mitt. der anthrop. Ges. in
Wien. Bd. VII. No. 7 u. 8.
Auch bei . Schröder J) liest man, dass von Rosenberg
behauptet, die Niasser feilen ihre Zähne spitz: „Nach Waitz
haben die Bewohner der Mentaweiinseln dreieckig zugefeilte
Zähne. Die Quelle für diese Notiz ist von Rosenberg, derselbe,
der auch für Nias die Zuspitzung angegeben h at, deren Vorkommen
auf der letzteren Insel jedoch heute vielfach in Abrede
gestellt wird.”
Dieselbe Bemerkung über von Rosenberg finden wir in dem
Artikel von U h le2): „Für andere Gebiete, für welche die Spitzfeilung
früher
wohl zeitweilig
in Anspruch genommen
wurde
, wird sie
unsicher, oder
ist sie in neuer
Zeit widerlegt.
So hatte Herr
von Rosenberg
angegeben,
dass die Bewohner
von
Männer von der Insel Süd-Pagai aus dem Dorfe Si-Kaulai
mit spitz gefeilten Zähnen.
Nias die Zähne
spitz feilen. Gegenwärtig hat in einer brieflichen Mitteilung
Herr Kleyer das Vorkommen jeder Art von Spitzfeilung auf
Nias in Abrede gestellt. Damit werden auch die ähnlichen
Nachrichten, dass in den Mentawei-3) und Pageh-Inseln 4) die
Zähne spitz zu feilen üblich sei, wieder mehr als fragwürdig.”
Dass jedoch auf den Mentawei-Inseln die Spitzfeilung wohl
1) Schröder, Hermann, Die künstliche Deformation des Gebisses.
Greifswald, 1906.
2) Uhle, Max, Über die ethnologische Bedeutung der malaischen
Zahnfeilung. Berlin, 1887.
3) Von Rosenberg, De Mentawei-eilanden en hunne bewoners.
Tijdschr. Ind. T. L. en V. K. 1853 I.
4) Blunt, Hardwiche und Hunter, Reisen durch Ost-Indien. 1808.