und doch sollten diese grade die allgemeine Lehre
bilden Man wusste nicht, was Entzündung sei,
und wollte Gesetze für sie auffinden ; man schlug
daher einen irrthümlichen Weg ein. Man machte
entweder Hypothesen über diese iünern Processe,
oder man reducirte die allgemeine Pathologie auf
ein geistloses Namenregister der speziellen Pathologie
Man schlage die reiche Literatur der allgemeinen
Pathologie auf. Bände sind verschrieben
worden mit Hypothesen, was eigentlich Krankheit
sei mit der grössten Beredsamkeit finden wir
etymologisch erklärt, was varix, was aneurisma,
was epidemius, was endemius heisse. Aber hat
auch nur ein Verfasser einer allgemeinen Pathologie
daran gedacht, ehe er an die Verfassung
seines Werks ging zu untersuchen, welche allgemeine
Veränderungen das Blut und jene Behälter
erleide welchen Gesetzen die Ausbreitung epidemischer
Krankheiten folgen? Man übersah, dass
mit der Uebersetzung, was tertiana und quartana
bedeute, man wohl eine pathologische Etymologie,
aber keine allgemeine Pathologie gegeben habe!
Die allgemeine Pathologie bedarf ihr61" Untersuchungen
und Experimente in ähnlicher Kich-
tung, wie die Physiologie, und erst, wenn diese
zahlreich genug sein werden, wird es möglich
sein eine wissenschaftliche allgemeine Pathologie
zu begründen. - Denn eben so falsch, wie die
sogenannte philosophische Behandlung derselben,
is t ihre Constituirung aus den vorhandenen Erfahrungen
der Physiologie, ein Weg, den,mehrere
Pathologen, die das Bessere wollten, eingeschlagen
haben. _ Ich werde dies durch ein Beispiel erlautender
^ €irculation hat der Physiologe besonders
in neuerer Zeit reiche Resultate aufzu-
weisen; man kennt die Bestandteile des Bluts,
seinen gewöhnlichen Gehalt, z. B. an Faserstoff-
In Entzündungskrankheiten, sagten nun die Pathologen,
ist die Coagulabilität des Bluts und der Fa-
serstoffgehalt vermehrt. Nie ist eine mehr aus der
Luft gegriffene Hypothese behauptet worden. Es
hätte neuer Untersuchungen, die die Physiologie
als Lehre von der gesunden Funktion nicht anzustellen
hatte, bedurft, aber sie wurden vernachlässigt,
und so bieten unsere Lehrbücher der allgemeinen
Pathologie ein Gewehe von Hypothesen
auf der einen Seite, auf der andern eine geistlose
Etymologie der speziellen Pathologie. —
Nach des Verfassers Ansichten sind folgende
Ansprüche an eine allgemeine Pathologie zu machen:
Sämmtliche Funktionen mit ihren materiellen Basen,
den Geweben und Flüssigkeiten, müssen einer
Untersuchung unterworfen werden, und zwar auf
rein experimentativem Wege. So müsste die allgemeine
Pathologie z. B. die Störungen der Cir-
culation in grossem und kleinern Gefässen überhaupt,
und die veränderten Mischungen des Bluts
untersuchen. Der speziellen Pathologie fällt es
dann anheim, diese allgemeinen Lehren auf einzelne
Organe anzuwenden. Um mit einem Worte
Alles zu sagen: Die allgemeine Pathologie muss
die Physiologie der speziellen werden! —
Jahrhunderte und Tausende von Beobachtern
werden dahingehen, ehe die allgemeine Krankhcits-
lehre auf gleichem Standpunkte mit der Physiologie
sein wird; denn das Experiment ist schwierig
und unsicherer dort, als hier. Und ein grosses
Feld, was die Physiologie ohne grossen Schaden
unangebaut lassen kann, schliesst sich hier noch
den zahllosen Fragen an, — ich meine das Ver-
hältniss des Menschen zu den umgebenden Krankheitsursachen.
— Auch hier übersetzen uns die ,
Lehrer der allgemeinen Pathologie mit grossem
Scharfsinn, was contagium und miasma heisse,
die Thatsachen bleiben im Schutt vergraben, keine
allgemeine begründete Ansicht, selbst über die
geographische Verbreitung auch nur einer einzigen
Epidemie, und, wenn die Noth da ist, verbirgt
man seine Unkenntniss unter sinnlosen Gesetzen,
die den Verkehr der Völker oft nutzlos lähmen,
— blos weil die, denen ihr Wohl vertraut war,
es bequèmer fanden, Hypothesen zu machen, als
die Natur und ihre Geschichte zu befragen.