Zu den Fragmenten, die vielleicht dem D-Schädel angehören, dürfte auch ein
linkes S e i t en w a n d b e in (siehe: „Der paläolithische Mensch . . . ." 1902, Taf. I, Fig. 2)
gehören. Dasselbe ist leider nur teilweise erhalten. Man sieht eine Partie der Sutura
coronalis, einen Teil dér Sutura temporalis und Sutura lambdoidea. Ferner sind bemit
rezentem Materiale zu vergleichen. Bei Untersuchungen, welche ich über das Skelett niederer Menschen*
rassen, in erster Linie der Australier, anstellte, prüfte ich mit einem durch den Krapinafund gesteigerten
Interesse das Verhalten des Torus occipitalis. Hierbei bestätigte sich meine Annahme, daß der bei
Krapina, ebenso wie der b e iS p y und Neandertaler ausgeprägte .Typus der Torusbildung in selbständiger
Wiederholung aller Merkmale zwa r nicht beim Rezenten vorkommt, daß aber die niederen Zustände der
gegenwärtigen Menschheit eine direkte Anknüpfung an den altdiluvialen Befund gestatten. Durch die
Kenntnis der primitiven Bildung der betreffenden Occipitalregion ist erst die Möglichkeit gegeben, in das
scheinbare Chaos verschiedenartiger Formzustände der Rezenten Ordnung zu bringen, indem sich nun
Reihen bilden lassen, die von dem alten, primären, niederen Bildungsmodus der Torusregion zu den einzelnen
modernen, sekundären, höheren Formationen hinführen. Attribute der letzteren sind das Zurücktreten
der lateralen Partien und das Hervortreten des mittleren Teiles des Torus in Verbindung mit
Ausbildung der Protuberantia externa. Ferner geht die lokale Beziehung von Windungen des Occipital-
lappens zum-Torus gänzlich verloren. Die Stelle des lateralen W ulstes stellt nicht mehr eine Verwölbung,
sondern eine Wirkliche Verdickung des Schädels dar, und der Sinus transversus liegt durchaus nicht
immer unterhalb des Torus, sondern entspricht oft seiner Innenfläche oder kann noch höher hinaufrücken.
Die Befunde sind darin beim Europäer so variable, daß falls man das Occipitale derselben zum Ausgangspunkte
der Untersuchung nehmen würde, man überhaupt g a r nicht auf den Gedanken an eine Beziehung
des Torus zu Gehirnteilen kommen würde. Anders steht ,es bei niederen Rassen, wie schon
Ecker gelehrt hat. Naturgemäß leuchtete mir sogleich die Ähnlichkeit der Krapinabefunde mit E cker s
Beschreibung ein; da ich damals die Originale Eckers nicht aus eigener Anschauung kannte, so vermied
ich eine Parallelisierung. Ich nahm jedoch alsbald die Gelegenheit wahr, die berühmten Floridaschäde
im anatomischen Museum zu Freiburg mir anzusehen und überzeugte mich davon, daß wirklich eine
Annäherung an den Typus besteht, und daß der Sinus transversus abwärts vom Torus gelegen ist, dessen
innere Aushöhlung von Occipitaflappen eingenommen wird. An Australiern habe ich mich dann von
dem gleichen Verhalten überzeugen können, besonders an Schädeln, welche mir von der Direktion dès
Stuttgarter Naturalienkabinetts gütigerweise auf längere Zeit zur Untersuchung überlassen wurden.
Besonders zu Dank verpflichtet bin ich der Direktion, ebenso wie auch derjenigen des SENCKENBERGSchen
Museums in Frankfurt a. M. für die Erlaubnis der horizontalen Eröffnung des Schädels. Unsere großen
Schädelsammlungen sind erst dann im vollen Umfange wissenschaftlich verwertbar, wenn das Studium
der Innenfläche des Schädels mit dem äußeren Relief in Beziehung gesetzt wird. Welche vortrefflichen
Resultate auf diesem W e ge gewonnen werden, lehrt die schöne neueste Arbeit Schwalbes über die
von Hirnwindungen hervorgebrachten äußeren Reliefbildungen des Schädels. Das hie und da noch anzutreffende
altmodisch ängstliche Vorurteil, daß man doch einen „wertvollen Schädel“ nicht -aufsägen
dürfe, wird hoffentlich bald gänzlich schwinden!
Abgesehen von der tiefen Lage des Sinus transversus (ob dieselbe wirklich bei Australiern die
Regel darstellt, oder ob nicht, wie ich vermute, auch andere an Europäern erinnernde Befunde sich
ergeben werden, kann erst bei'Eröffnung einer noch größeren Zahl von Schädeln entschieden werden),
fand ich bei den bisher untersuchten Objekten noch andere Anklänge an den altdiluvialen Typus. Beachtenswert
scheint mir besonders, daß auch bei Australiern die Gefäßeindrücke in der Gegend des
Konfluens viel schwächer sein können, als bei Europäer.
Auch im äußeren Relief finden sich bei manchen Australiern Anklänge an das Alte. Die
Schädel der acht Australierskelette, die sich im hiesigen GRASSi-Museum befinden (früher dem Godeffroymerkbar
die beiden Linea iemporalis, besonders aber tritt das Tuber parietale hervor.
Die Oberfläche des Knochens ist punktiert und in die hintere untere Knocheneeke tritt
eine leichte Rinne in die Sutur ein. Bemerkenswert ist die innere Knoehenfläche und
zwar deshalb, weil hier außer den kräftigen und verästelten S ü lci arteriosi; bei der
Larribdasutur an Stelle des Sulcus transversus grubenartige Vertiefungen auftreten. Besonders
ist die eine' — die unterste — davon sehr kräftig und besitzt am Boden Eindrücke
zarter Gefäße.
Rekonstruktion des D-Schädels.
Ich habe bereits im 2. Hefte meiner Untersuchungen über den diluvialen Menschen
von Krapina versucht, die soeben besprochenen und wahrscheinlich einem und denselben
Individuum angehörigen Schädelreste mittelst Photographien in natürlicher Größe, zu
einem Ganzen zusammenzufügen und danach die „Norma verticalis“ und „Norma lateralis"
zu konstruieren. Was das Schädeldach und das Occipitale betrifft, so kann daran
nichts geändert und die Zusammenstellung dürfte als feststehend betrachtet werden.
Fraglich blieb bloß die Anfügung der Stirne an das Parietale, weil jene in der Gegend
der Glabella und beim Bregma beschädigt ist. Nachträglich wurde die Stirn seitlich
vergrößert und zwar'insofern, als noch ein Punkt der Koronalnaht durch Ankleben
eines Knochenfragmentes erhalten wurde. Der Durchschnitt der Linea temporalis mit
der Koronalnaht ergab uns nämlich einen, und der nun neu gefundene Punkt auf der-
Museum gehörig) und deren genaue Untersuchung durch das freundliche Entgegenkommen des Herrn
Direktor Dr. Obst mir gestattet worden ist, zeigen zum Teile in der Gestaltung des queren Inionwulstes,
der Fossa supratoralis, dem fast gänzlichen Fehlen, der Protuberantia externa noch Anklänge an die
alten Zustände.
Genaue Darstellungen dieser Befunde sollen bei späterer Gelegenheit erfolgen; ich möchte hier,
nur um eventuellen Mißverständnissen vorzubeugen, darauf hinweisen, wie ich mir die genetischen Beziehungen
der primitiven Formation des Torus zum Occipitalhirn denke. Ich muß vor allem dem Vorbeugen,
daß man aus meinen kurzen Andeutungen den Schluß zieht, ich betrachtete die Torusbildung
überhaupt als eine vom Gehirn bedingte Bildung in dem Sinne, wie es Schwalbe für andere Schädel-
vorragungen gezeigt hat. Davon kann natürlich nicht die Rede sein, denn die im Bereiche des Torus
gegebene Abknickung der Schädelfläche hängt genetisch mit verschiedenen anderen Faktoren zusammen,
vor allem mit der Muskulatur; Etwas anderes aber ist es, wenn man sich die Frage vorlegt, ob nicht
dié bilateralé stärkere Verwölbung des schon vorher gegebenen Torus — also gerade diejenige Eigeiiart
desselben bei altdiluvialen Menschen, durch welche er sieh bezüglich des Occipitals von Pitecanthropus,
niederen Affen und den Jugendformen der Anthropoiden, unterscheidet — ob nicht diese laterale Wulstbildung
mit dem stärkeren Vordrängen des sich ausdehneriden Occipitalhirnes in einen genetischen Zusammenhang
zu bringen ist. Eine solche Annahme ist durch die Tatsachen woh’l gestützt. Es muß den
Physiologen und Hirnforschern überlassen w erden, der Frage näher zu treten, ob der stärkeren Prominenz
der betreffenden Windungen des Occipitalhirnes eine funktionelle Bedeutung beizumessen ist.
Leipzig, 2. Mai 1902. H. Klaastch.'