genau in der Medianlinie des Femur geführt sind, liegen die starken Bälkchen enger
aneinander und verlaufen nahezu gradlinig. Seitlich geführte Schnitte zeigen eine mehr
fächerförmige Ausbreitung des Trajektoriums gegen die Gelenkfläche. Im Querschnitt
zeigt das letztere annähernd die Form eines Vierecks (Fig. 1,5). In der Natur der
Sache liegt es, dieses gewaltige Trajektorium als Druckb ahn anzusehen.
Durch die Röntgenaufnahmen ganzer Beckenknochen war. es leicht nachzuweisen,
daß das Trajektorium vom Femurkopfe eine weitere F o r t s e t z u n g in die B e c k e n k
n o c h e n hinein besitzt. Trotz der teil weisen Übernahme des statischen Druckes seitens
der beiden Compactaplatten verliert sich derselbe nicht etwa seitlich in ihnen, sondern
setzt sich in nahezu unverminderter Stärke auch durch eine funktionelle Struktur der
Spongiosa im Hüftbein bis zur Facies auricularis fort. Alsdann in kurzem Bogen umbiegend,
strahlen die trajektoriellen Knochenbälkchen hauptsächlich in den ersten Kreuzbeinwirbel
aus. Das Trajektorium der einen Körperseite“ vereinigt sich im Kreuzbein
in höchst zweckmäßiger Weise mit demjenigen der anderen, so daß hier eine mehr
bogenförmige Anordnung der Drucklinien im Gesamtbecken entsteht, auf welcher die
Wirbelsäule in der Mitte ruht. Es ist hier gleichsam der Schlußstein der Gewölbe-
Konstruktion eingesetzt, welche durch die unteren Extremitäten und das Becken gebildet
wird. Der gesamte statische Druck setzt sich somit in einer ziemlich engumschriebenen
Bahn durch eine Anzahl von Knochen fort, in welcher jeder das Widerlager
für den Nachbarknochen bildet.
Auf die Details der funktionellen Struktur im Becken wird in einer weiteren
Lieferung, welche dieses behandelt, näher eingegangen werden. Es sei hier nur bemerkt,
daß die soeben kurz skizzierten Trajektorienbilder im Becken und Kreuzbein für
den Menschen typ is ch sind. Weder die Anthropomorphen noch die übrige Tierwelt
zeigen das geschilderte Verhalten dieser großen Knochenbälkchenbahn. Wenn
wir, wie es z. B. bei den Anthropomorphen der Fall ist, Anklänge an die Struktur des
menschlichen Femur finden, so ist doch bei sämtlichen Tieren, die Q u a n t i t ä t des
Trajektoriums so gering, daß es den übrigen Trajektorien des tierischen Femur gegenüber
niemals so dom in ier t, wie beim Menschen. Gerade der menschliche Oberschenkel
und auch die Beckenknochen sind ja durch ihre eigenartige funktionelle Beanspruchung
für die Ausbildung von statischen Trajektorien hervorragend geeignet..
Je häufiger und kräftiger die Belastung eines Knochens in einer bestimmten Richtung
ist, um so leichter kommt es bekanntlich den Gesetzen der Entwickelungsmechanik
gemäß zur Bildung von Trajektorien in der Spongiosa. Beim Menschen kann es sich
bei der geschilderten, quantitativ so hervortretenden Strukturausbildung im Femur und
Becken nur um die Druckbelastung dieser Konstruktionselemente handeln, welche
durch die a u f r e c h t e Haltung des Menschen bedingt ist. Hierdurch werden jene Vorbedingungen
zur Entstehung der Trajektorien bei den Funktionen des Stehens und
Gehens ausnehmend gut erfüllt. Einerseits wirkt die auf einem sehr geringen Flächenraume
ruhende g r o ß e Last des menschlichen Oberkörpers im hohen Grade konstant.
Die jene Last tragende Wirbelsäule verläßt selbst bei zeitweis a l le in ig e r Funktion
einer unteren Extremität während des Ganges kaum ihre Normalstellung an ihrem
Übergange zum Kreuzbein. Aber auch der Gegendruck vom unteren Ende der
Extremität weicht trotz der Beweglichkeit ihrer konstruktiven Teile nur wenig von
einer gewissen Mittelstellung ab, welche bei den geringen Variationen der Bewegung
möglichst inne gehalten oder doch bald wieder eingenommen wird. Die große Stärke
des Druckes in Verbindung mit seiner großen Einseitigkeit bei der Beanspruchung des
Beckens und der unteren Extremitäten, welche beim heutigen zivilisierten Menschen
nur verhältnismäßig selten zu einer anderen Funktion als zum Stehen und Gehen
herangezogen werden, bewirken die hervorragende Ausbildung dieses Trajektoriums.
Ich möchte dasselbe in seiner Gesamtausdehnung als s t a t is c h es Trajektorium^der
au fre ch ten H a ltu n g des Menschen bezeichnen.
Auf Knochenschnitten tritt eine Differenz in der Spongiosa der Affen und des
Menschen in die Erscheinung. Die Spongiosa der ersteren ist auch im Femur gewöhnlich
gegenüber derjenigen beim Menschen mit an Zahl geringeren aber bedeutend stärkeren
Balken ausgerüstet. Letzteres entspricht einem von S chmidt1) aufgestellten Satze: „Der
Spongiosabau wird relativ um' so gröber, je kleiner das betreffende Tier ist.“ Der
zierliche Gibbon hat z. B. viel gröbere Knochenbälkchen als der Mensch. Trotz dieses
Verhaltens des Spongiosabaues ist bei den einzelnen Gattungen der Primaten die a u s g
e p r ä g t e Art der funktionellen Beanspruchung für die Ausbildung von T r a j e k t
o r i e n der einzig massgebende Faktor. Für die. hintere Affenextremität ist ihre ausgiebige
Verwendung als Greiffuß, besonders für das Klettern, dann für das Springen,
und die aus diesen Funktionen resultierende unendlich w e c h s e ln d e Belastung zu berücksichtigen.
Das Prinzip der d o p p e lte n Bogenbewegung der Extremitäten beim
Quadrupeden kommt beim Affen viel mehr zur Geltung, und die seitlichen. Schwankungen
der Schwerlinie beeinflussen die Konstanz des Druckes der Wirbelsäule auf den Beckengürtel
ganz bedeutend, zumal ersterer natürlich v ie l geringer ist, als beim aufrecht gehenden
Menschen. Der selten ausgeführte und dann noch watschelnde aufrechte Gang eines
Anthropomorphen auf dem Erdboden kommt jenen Funktionen gegenüber kaum in Betracht.
S elenka schildert die Geschwindigkeit eines Orang-Utans in den Laubkronen
1) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, 1899.