Wir treffen also am Skelette des Menschen von Krapina eine ganze Reihe
Variationen von mehr weniger großer Bedeutung; einige derselben wurden durch Anpassung
an geänderte Lebensbedingungen neu erworben, die anderen sind wiederum
ererbte Ahnenmerkmale, auf die wir auch sogleich übergehen wollen.
5. Die pithecoiden Merkmale des Mensehen von Krapina.
Wir haben im Laufe unserer Beschreibungen eine ganze Reihe pithecoider
Merkmale kennen gelernt Es dürfte nicht ohne Interesse sein, dieselben in Kürze
hier züsammenzufassen.
Am Schädel allein sehen wir in den Supraorbital Wülsten den Tori supraorbitales
— in Verbindung mit einer fliehenden Stirn, dann in der fronto-nasalen Profillinie
pithecoide Merkmale, welche mit dem prognathen, mit einer sublingualen Exkavation
versehenen Unterkiefer ohne Spina mentalis interna, zum besonderen Ausdruck
gelangen. Als derartige Merkmale sind ferner jener laterale Außenhöcker am Kapi-
tulum des Unterkiefers und der postglenoidale Processus bemerkenswert. Die zahlreichen
Schmelzfalten der Zähne, die nach gewisseif Schematen angeordnet auftreten,
bekunden uns ebenfalls Analogien mit Anthropomorphen, so auch die in Gestalt von
Schwellungen auftretenden Proc. mastoidei. — Das Fehlen einer ausgesprochenen Fossa
canini, ferner den nach vorn abgebogenen Jochbogen und zwar ersteres als Folge
der starken Prognathie des Oberkiefers, letzteres durch die Verlängerung des '-Os zygo-
maticum verursacht, hat man als pithecoide Merkmale aufzufassen.
An den Gliedmaßen finden sich diese Ahnenmerkmale zumeist bei den Hand-
und Fußwurzelknochen. So kann das Kapitatum des Karpus mit seinem seitlich abgeflachten
großen Kopf als dem Gorilla ähnlich bezeichnet werden. Das Felsenbein des
Tarsus aber, mit seinen beiden verschmolzenen Gelenkflächen, wäre als dem des
Schimpansen analog beschaffen zu bemerken. Die mehrmal hervorgehobene Rinne
für den Obturator am Ischium des Hüftbeines ist beim Menschen von Krapina . auch
ziemlich breit gefunden worden, wie man dies bei manchen Naturvölkern noch ge-,
legentlich bei den Anthropomorphen aber immer beobachtet. Demnach wäre auch
eine solche breitere Rinne als ein beim Menschen bereits im Erlöschen begriffenes
Ahnenmerkmal aufzufassen.
Die Schlankheit der vorderen Extremität, dann die gebogenen Schenkel und
Schienbeine des H. primigenius sind ebenfalls primitive Merkmale, die nurmehr Spuren
der einst stärker ausgeprägt gewesenen diesbezüglichen Merkmale darstellen.
Nachdem ich in aller Kürze das Hauptsächlichste über die spezifischen Merkmale
des Menschen von Krapina vorgebracht habe, auf Grund deren sich einerseits
seine Zugehörigkeit zur Art Homo primigenius auf das Deutlichste ergeben hat; nachdem
wir andererseits einige wichtigere pithekoide Merkmale, die den Menschen an seine
älteren Vorgänger resp. Ahnen binden, genannt haben: so hätte ich nur noch jene
Merkmale in Betracht zu ziehen, auf Grund deren ich behaupte, daß der Homo primigenius
der d i r e k t e V o r fa h r e des rezenten Menschen ist.
6. Homo p r im ig e n iu s als direkter Vorfahre des Homo sapiens.
Ich habe meine diesbezüglichen Ansichten bereits früher deutlich ausgesprochen.
Nur möchte ich noch ganz kurz einige Momente hinzufügen, die sich aus dem Studium
der im Jahre 1905 in Krapina ausgehobenen Menschenreste ergeben haben, und die
mich in meiner Annahme, daß der Homo primigenius der direkte Vorfahre des rezenten
Menschen wäre, bestärken.
Meinem hochverehrten Kollegen Herrn Dr. G. S chwalbe verdanke ich die
Einsichtnahme in seine sehr bedeutende Arbeit „Studien zur Vorgeschichte des Menschen",
welche er mir in liebenswürdigster Weise — da sie noch nicht erschienen ist — in
Korrekturbögen zur Benutzung überließ.
Ich entnehme dem ersten Teile, welcher „Zur Frage der Abstammung des
Menschen" betitelt ist, auf Seite 31 folgenden Satz: „In den fü r Homo p r im i g
e n iu s c h a r a k t e r i s t i s c h e n M e rkm a len zeigt die Krapinaform desselben k e in e
Übergänge zum Homo sapiens!“ Gleich darauf gibt S chwalbe ganz richtig den Entwickelungsgang,
den die Z w is c h e n fo rm e n machen mußten, und der in einer