auftreten, so ist dann das Vorhandensein einer alveolaren Prognathie bei der schon
längst eingetretenen Reduktion des alveolaren Kieferteiles wohl eine erklärliche Erscheinung.
Dieser merkwürdige Kiefer ist jedenfalls eine interessante Übergangsform, da
er primitive Charaktere zeigte, wie es eben jene dicke ebene Kieferbasis ist, welche
nun bei einer Reduktion seines alveolaren Kieferteiles und den noch relativen Zähnen
notwendigerweise einen alveolar-prognathen Kiefer ergeben mußte. (Anmerkung 2.)
c) Der Ast des Unterkiefers.
Es liegen drei isolierte gut erhaltene Unterkieferaststücke vor, wovon einer noch
mit der hinteren Körperpartie und dem halben letzten Molaren, ein ebensolcher jedoch
mit dem Körper bis zur Alveole des letzten Mahlzahnes reichender und endlich ein
dritter Ast erhalten ist, der uns bloß die obere Hälfte des Ramus darstellt. Die ersten
zwei dürften ziemlich gleichaltrigen, der dritte einem jüngeren Individuum angehört
haben. Alle diese Äste insgesamt demjenigen an dem beschriebenen Unterkiefer be-
■ Fig. 30. — Obere Ramushälfte des Homo von Krapina K und eines rezenten Menschen Re.
T = Tiefe, der Incisura. a = Winkel, den die Verbindungslinie der beiden Endpunkte des Ramus mit der Linie,
welche den Proc. coronoideus mit der tiefsten Stelle der Incisura verbindet. B — Tangente von Proc. coronoideus
an die konkavste Stelle des vorderen Ramus-Randes.
findlichen zeichnen sich durch gewisse Eigenheiten aus. — • Die Incisura mandibulae
ist flach in den Ramus eingeschnitten und dabei befindet sich der tiefste Abschnitt
zumeist nahe beim Kapitulum, wodurch der Proc. coronoideus breit wird. Das äußere
Ende des Kapitulum steht, analog dem des inneren Endes, vom Ramus ab, sodaß
beim Kapitulum an der äußeren Ramusfläche wiederum eine Fovea — die ich Fovea
lateralis nenne — entsteht (Siehe Textbild: Fig. 28 — Fl.), was bei den modernen
Unterkiefern nicht, soviel mir bekannt ist, zu beobachten ist. Außerdem ist der g an z e.
Proc. coronoideus an seiner Außenfläche eingesenkt. Was die Größe des Kapitulum
anlangt, so ist dasselbe im allgemeinen größer als beim rezenten Menschen. Dasselbe
mißt beim Menschen von Krapina — je nach Alter des Individuums S 22 29 mm
im Längsdurchmesser.
Einige der hier besprochenen Eigentümlichkeiten der oberen Ramuspartie lassen
sich graphisch gut veranschaulichen. Beistehende Figuren (Fig. 30) werden uns diese
Verhältnisse an einem Krapina (K) und einem rezenten Unterkieferaste erklären. Falls
wir die beiden oberen Endpunkte des Ramus Co und Cd miteinander verbinden und
von der tiefsten Stelle der Incisura auf jene Verbindungslinie eine Senkrechte — T —
ziehen, so gibt uns- einerseits die Länge dieser Linie und andererseits die Größe des
Winkels a , welcher sich aus der Verbindung des Co mit der tiefsten Stelle der Incisur
ergibt, die Tiefe der Incisur an. Die Tangente des Co an der konkavsten Stelle des
vorderen Ramus - Randes — B — schließt wiederum mit der vorigen Verbindungslinie
einen Winkel—- y — ein, der uns die Breite des Ramus ausdrückt. Es ergibt eine
einfache Vergleichung unserer beiden Textbilder den Satz: daß, je tiefer und je weiter
die tiefste Stelle des Inzisur-Einschnittes dem K a p i tu lum liegt, desto breiter der
Processus coronoideus wird. Bei den fossilen Kiefern, wie ich dies nach dem vorliegenden
Materiale beurteilen kann, ist die Incisura — wie schon oben erwähnt wurde flach
und der Proc. coronoideus breit.
Zur Bildung1 des Kinnes beim Homo p r im ig e n iu s .
Prof. Dr. C . T o l d t hat in seiner Schrift: „Die Ossicula mentalia und ihre Bedeutung
für. die Bildung des menschlichen Kinnes1)" auf Grund eines umfangreichen
Materiales die Entstehung des menschlichen Kinnes dargelegt. Aus diesen Untersuchungen
haben — wie ich dies zu zeigen versuchen werde — zur Beurteilung der
Verhältnisse am Unterkiefer des Homo primigenius, zum Teil jene Vorgänge, die man
beim rezenten, reif geborenen Kindern, oder in den ersten Wochen nach ihrer Geburt
1) Sitzungsberichte der Kaiserl. Akademie der Wissensch. math. naturw. Kl. Wien CXIV.
Abt. III. 1005. Seite 1—36.