keit der Röhrenknochen nicht wohl verständlich. Die Oberschenkelknochen sind, groß
und schwer, die Trochanteren dick und alle Apophysen stark. Um so mehr muß es
auffallen, daß sowohl die Knochen des rechten Vorderarmes als beide Oberschenkel
namentlich der linke, ungewöhnlich stark gekrümmt sind. An den Oberschenkeln kann
man eine doppelte Krümmung unterscheiden: eine, welche der Gegend der alten Epiphysen
entspricht und namentlich am Kniegelenk hervortritt (Krümmung nach hinten),
und eine zweite in der Kontinuität der Diaphyse mehr nach unten. Damit hängt vielleicht
eine ungewöhnliche horizontale Stellung der Calla femoris zusammen. Ich bin
überzeugt, daß jeder Sachverständige, welcher diese Dinge sieht, sich bei der Gleichzeitigkeit
der Veränderungen an den Ober- und Unterextremitäten wird sagen müssen,
daß hier schon im Laufe der Entwickelung der Knochen Störungen stattgefunden haben
müssen. Jedermann wird daran denken, daß diese Störungen mit denjenigen die größte
Ähnlichkeit haben, welche wir englische Krankheit öder Rachitis nennen.“ V irchow
resümiert dann noch aus dem Verhalten aller Skelettteile des Neandertalers folgendes:
„Wir können daher meiner Meinung nach mit voller Sicherheit schließen, daß das fragliche
Individuum in seiner Kindheit in einem geringen Grade an Rachitis gelitten, daß
es dann eine längere Periode kräftiger Tätigkeit und wahrscheinlicher Gesundheit durchlebt
hat, welche nur durch mehrere schwere Schädelverletzungen, die aber glücklich
abliefen, unterbrochen wurde, bis sich später Arthritis deformans mit anderen, dem
höheren Alter angehörigen Veränderungen einstellte, insbesondere der linke Arm fast
ganz steif wurde, daß aber trotzdem der Mann ein hohes Greisenalter erlebte. Es sind
das Umstände, welche auf einen sicheren Familien- oder Stammes verband schließen
lassen, ja welche vielleicht auf eine wirkliche Seßhaftigkeit hindeuten. Denn schwerlich
dürfte in einem bloßen Nomaden- oder Jägervolke eine so viel geprüfte Persönlichkeit
bis zum hohen Greisenalter hin sich zu erhalten vermögen.“
Erst nach drei Jahrzehnten wurden diese Thesen Virchow s ernstlich durch die
Forschungen von S chwalbe und Klaatsch erschüttert. Ersterer hat eine Untersuchung
der übrigen Knochen anläßlich seiner Studien über den Schädel des Neander-
talmenschen mit Rücksicht auf die von V irchow hervorgehobenen pathologischen Veränderungen
gemacht. Über die Krümmung der beiden Femora sagt S chwalbe, daß
sie allerdings bedeutend, aber nicht stärker ist, als sie auch unter ganz normalen Verhältnissen
innerhab der menschlichen Variationsbreite vorkommt. Wie die Schädel, so
stimmen die Femora der Spy- und des Neandertalmenschen überein. Auch die horizontale
Stellung des Schenkelhalses, welche rechts 1190, links 1180 beträgt, befindet
sich nach diesem Autor noch an der unteren Grenze der normalen Variationsbreite des
heutigen Menschen. Au f Grund seiner genauen Untersuchung des S c h ä d e ld a c h e s
schätzt S chwalbe das Alter des Neandertalers bei seinem Tode auf 40 bis 65 Jahre.
Pathologische Erscheinungen hat S chwalbe an den Oberschenkelknochen des Neandertalers
bei seiner kurzen Untersuchung nicht gefunden.
Klaatsch hat in verschiedensten Aufsätzen die äußere Form des Neandertal-
und Spymenschen sehr genau erörtert, so daß wohl in bezug auf die beschreibende
Anatomie für die Femora derselben alles erschöpft ist und verweise ich hiermit auf
diese Publikationen. In seinem ausführlichen Vortrage: „Das Gliedmaßenskelett des
Neandertalmenschen (Verhandlungen der anatomischen Gesellschaft in Bonn (1901)
betont derselbe, daß eine Anzahl von besondern Merkmalen des Neandertalfemurs sich
wohl vereinzelt finden, niemals aber alle zusammen. Damit hat schon Klaatsch einen
gewissen Typus des diluvialen menschlichen Femurs definirt. Als Resultat seiner
Untersuchungen findet K laatsch, daß die alten Femora auf einen Klettermechanismus
hinweisen, welche den Primatenahnen eigen war. „Zuerst erfolgte die charakteristisch
menschliche Umwandlung des Fußes. Damit, daß der aufrechte Gang ermöglicht wurde,
waren keineswegs die übrigen Teile des Beinskeletts den neuen mechanischen Bedingungen
angepaßt; da vielmehr die zur vollen dauernden Aufrichtung des Rumpfes
notwendigen Verstärkungen sich erst allmählich einstellten, so begreift es sich, weshalb
wir noch heute bei niederen Rassen auf eine Anzahl von Merkmalen treffen, die
eine gewisse Schwäche der unteren Gliedmaßen bezeugen. Damit hängt auch die bei
niedern Völkern weit verbreitete Neigung: zur Hockstellung zusammen." (Siehe
Klaatsch in „Weltall und Menschheit“).
Diese Auffassung hat eine große Übereinstimmung mit der Ansicht S chöten-
sAcks (Die Bedeutung Australiens für die Heranbildung des Menschen aus einer niedern
Form. Heidelberg 1901), welcher darauf aufmerksam gemacht hat, daß noch bei den
heutigen Naturvölkern das Erklettern hoher Bäume eine bedeutende Rolle spiele.
Die Röntgenaufnahmen des Neandertalers und der Spymenschen ergaben, daß
die funktionelle Struktur der Oberschenkelknochen derjenigen der heutigen Menschen
näher steht als der Spongiosastruktur der Anthropomorphen. D e r d am a l ig e
M en s ch g in g u n zw e i f e lh a f t a u f r e c h t . Wir können das erkennen durch die
Konstatierung starker und gradliniger Trajektorien in dem tibialen Femurende, von
denen das ä u ß e r e wiederum die kräftigsten Knochenbälkchen aufweist (Fig. 26, 36
u.37). Kräftige Zugfasern ziehen von derFossa poplitaea hauptsächlich in den inneren
Kondylus. Im coxalen Femurende ist ein typisches, alle übrigen Trajektorien an Stärke
überwiegendes Trajektorium des aufrechten Ganges vorhanden. Die gesamte Spongiosastruktur
ist aber überhaupt so a u sn e hm e n d k r ä f t i g angelegt, wie man es
heute kaum noch findet. Sowie die äußere Form des Neandertalers und der Spy