
 
		von  Baum  zu Baum  auf  der Flucht gleich derjenigen eines  rasch  schreitenden  Menschen  
 und  der  Gibbon  schießt  schneller  durch  die Waldeskronen,  als  ein  Pferd  laufen  kann.  
 Infolge  der  langen Arme  klettern  zwar die Tiere auch  in halb aufrechter Stellung und belasten  
 dadurch  die  hinteren Extremitäten  sehr wesentlich.  Aber die Bäume,  auf welchen  
 sie  sich  immer  bewegen,  bieten  doch  so  unregelmäßig  liegende  Stütz-  und  Angriffspunkte, 
   daß  von  einer  Scharnierbewegung,  wie  sie  beim  menschlichen  Kniegelenk  für  
 seine  heutige  Beanspruchung  ideal  ist,  weit  weniger  die  Rede  sein  kann.  Selbst  das  
 kugelartige  menschliche  Hüftgelenk  wird  beim  aufrechten  pendelartigen  Gange  höchst  
 einseitig  benützt.  Die  funktionelle Gestaltung  der Spongiosa  beim  Affen  entwickelt  sich  
 deshalb  ganz  anders.  Die  gewaltige  Beanspruchung  der  Extremitäten,  welche  bei  den  
 Anthropomorphen  z.  B.  infolge  ihrer  enormen  Sprünge  (gelegentlich  über  io  m)  unzweifelhaft  
 statt  hat,  kommt  in  der  Knochenstruktur  dadurch  zum  Ausdruck,  daß  
 sämtliche Bälkchen  selbst  bei  den  größten Anthropomorphen  s tä rk e r   angelegt  sind  als  
 beim Menschen.  Aber  trotz  der  großen  und  stoßweise  erfolgenden Beanspruchung wird  
 die  Spongiosa  der  Affen  allgemein  mehr  r u n dm a s c h ig   angelegt.  W o   es  wirklich  
 im Femur  der Anthropomorphen  zur Trajektorienbildung  kommt,  tritt  dennoch  die Vielseitigkeit  
 der  Beanspruchung  in  der  Art  der  Ausbildung  der  Trajektorien  sofort  klar  
 hervor.  Der prinzipielle Unterschied  geht  soweit,  daß man  aus j e d e r  Röntgenaufnahme  
 von  einem Frontalschnitte,  ja  selbst  von  einem  g a n z e n   Knochenstücke  analytisch  feststellen  
 kann,  ob  dasselbe  vom  Menschen  o d e r   vom  A f fen   stammt,  mit  anderen  
 Worten,  ob  das  betreffende  Individuum  gewöhnlich  a u f r e c h t   ging  oder  nicht. 
 Gerade  bei  der  hohen Wichtigkeit  einer  eventuellen  Entscheidung  der  funktioneilen  
 Beanspruchung  ältester  menschlicher Knochenreste  für die Abstammungslehre des  
 Menschen  muß  ich  die  Anordnung  der  Spongiosa  des  Femur  in  den  beiden  folgenden  
 Kapiteln  ausführlicher  besprechen  und  alle Teile  desselben  vergleichend  schildern.  Ich  
 kann  hier  von  vorn  herein  nicht  verschweigen,  daß meine Untersuchungen,  welche sich  
 auch  auf die  Nachprüfung  anscheinend  schon  feststehender Tatsachen  der  funktionellen  
 Knochengestalt  beziehen  mußten,  teilweise  andere  Ergebnisse  zutage  förderten,  welche  
 ich  wesentlich  der  exakteren  Festlegung  der  Spongiosastruktur  durch  Radiogramme  
 zuschreibe. 
 IV.  Die  funktionelle  Gestalt  des  tibialen  Femurendes  bei  dem  
 Mensehen  und  den  Anthropomorphen. 
 Die  Krantheorie  von  Meyer  und  Culmann  wurde  von  J.  W olff  nur  für  das  
 o b e r e  Ende  des  menschlichen Femur  ausgearbeitet  und  als  allein  maßgebender Faktor  
 für  die  Struktur  die  s ta tis ch e   Belastung  des  Femur  angesprochen.  W olff  hat  zwar  
 ausdrücklich  angeführt,  daß  das für Kopf,  Hals und Diaphyse des Oberschenkelknochens  
 vorhandene Kurvensystem,  welches die Biegungsbeanspruchung darlegt,  ein einheitliches  
 ist1).  Damit war  die Krantheorie  auch  für  die Diaphyse  angenommen.  In  der  letzteren  
 soll der größte Druck stattfinden.  Meines Wissens haben aber weder Culmann und Meyer  
 noch  W olff  das  tibiale  Ende  des  Femur  bei  dieser  Theorie  berücksichtigt.  Warum  
 dies  geschah,  geht  aus  den  Arbeiten  nicht  hervor.  Diese  Autoren  haben  jedenfalls  
 nur  in  geringerem  Maße  die  physiologische  Funktion  des  Oberschenkels  in  Betracht  
 gezogen,  weil  man  von  mathematisch en Prinzipien  ausging.  Die mathematische Konstruktion  
 des  kranartigen  Oberschenkelknochens  wurde  immer  nur  mit  s e n k r e c h t   
 stehender  Diaphyse,  als  „eingemauerter“  Basis  gedacht,  ausgeführt,  während  die  
 anatomische  Stellung  des  gesamten  Femur  bei  seiner  funktionellen  Beanspruchung  
 zumal  beim  Gange  doch  bekanntlich  eine  andere,  nämlich  eine  s c h r ä g   zu  den  
 benachbarten  horizontalen  und  vertikalen  Teilen  verlaufende,  ist.  Diese  Vernachlässigung  
 kann  nicht  ohne  weiteres  geschehen,  so  daß  man  nur  von  einer  Kraii-  
 belastung  des  oberen  Femurteiles  spricht.  Wenn  die  Krantheorie  richtig  ist,  muß  
 der  gesamte  Oberschenkelknochen  die  Zug-  und  Druckkurven  des  Kranes  aufweisen  
 und  das  Kniegelenk  die  Basis  für  denselben  bilden.  Es  steht  nun  durchaus  nichts 
 >)  Zeitschrift  für orthopädische  Chirurgie,  1898.