Bemerkungen zu den Unterkiefern des Homo p r im ig e n iu s
aus Krapina.
a) Die Kieferhöhe und die Basisdicke.
Der Unterkiefer des Homo primigenius und zwar des Spy I-Typus zeichnet
sich wohl durch eine bedeutende Symphysenhöhe aus, doch gehört dieselbe in die
Variationsbreite des rezenten Menschen hinein, ja, es wird dieselbe sogar vom letzteren
noch übertroffen. Diesbezüglich erwähne ich den bereits genannten Unterkiefer aus
K r a d o v ec in Mähren, welcher von einem 32 jährigen Manne herrührt und sich in .der
prähistorischen und anthropologischen Sammlung des K. K. Hofmuseums in Wien unter
Nr. 313 aufbewahrt findet. Dieser Kiefer nun, den wir noch erwähnen werden, besitzt
ein relativ nur schwach entwickeltes Kinn und einen sehr bemerkenswerten Zahnbogen-
Doch wollen wir vorerst seine Höhe mit derjenigen der höchsten Krapina-Kiefer vergleichen.
(Siehe Anmerkung 1.)
U n t e r k i e f e r v 011
I Krapina J: I fa
1. Kieferhöhe aus der Symphyse ohne Zähne
2. „ beim M2 .........................................
3. Entfernung der Berührungsstelle der mittleren
J von der distalen Seite des M3
4. Entfernung der Außenränder des M2 .
d h
Fig. 29. — Unterkieferbasis eines rezenten oder
neolithischen Menschen in natürl. Größe.
K = Kinnplatte, d d‘ = Ansatzstelle der Mus. diga-
strici. gh. = M. geniohyoideus.
liehe Ausbildung, wie wir sie an der des
43.0 mm 42,3 mm 38,0 mm
33.0 „ I 32,2 „ I 31,6 „ (Gipsabg.)
57.4 » | 64,° .. 60.0 '
59,2 74,0 „ 68,0 „ (Gipsabg.)
Ziehen wir aber die Länge der Bißfläche
und die Breite des Zahnbogens in
Betracht, wie wir dies im Punkte 3 und 4
unserer Tabelle getan haben, so fällt uns
sofort der grosse Unterschied sowohl in der
Breite des Zahnbogens, als auch der Bißlänge
der fossilen Unterkiefer gegenüber der
des rezenten sonst so hohen Kiefers auf.
Aber auch die Kieferbasis des rezenten
Menschen erlangt hie und da eine ähn-
'Homo primigenius so typisch und allgemein
ausgeprägt finden. Ich erwähne in dieser Beziehung den Unterkiefer eines modernen
oder neolithischen Menschen unbekannter Herkunft (siehe Anmerkung 2), der uns
eine Dicke der Basis an der Symphyse mit 14,5 mm aufweist und damit der basalen
Kieferdicke des Homo primigenius fast gleichkommt (Spy. Ls= 15» Krapina 15— 15.4-)
Es fällt demnach die basale Kieferdicke als auch die Kieferhöhe — wie wir eben gesehen
haben — noch in die Variationsbreite des modernen Menschen hinein und kann
hier als Atavismus der einst allgemeiner verbreitet gewesenen diesbezüglichen Verhältnisse
angesehen werden.
Auch bezüglich der absoluten Kieferbreite, ich meine die Entfernung der Außenränder
der Unterkiefergelenkköpfe mit 150,5 mm, schließen sich einige Unterkiefer von
rezenten Menschen (mit 142—150 mm) an, sodaß der Homo primigenius sich auch in
dieser Beziehung an den rezenten Menschen anlehnt.
b) Gestalt und Größe des Zahnbogens.
Was die Gestalt und die Größe des Zahnbogens anlangt, so beobachten wir
an den Unterkiefern des Homo primigenius keine einheitliche-typische Gestalt. Vielmehr
sehen wir da hufeisenförmige, U-förmige, parabolische, vorn eingeengte Zahnbögen
und auch lange affenartig verlängerte. Alle diese Gestaltungen des Zahnbogens beobachten
wir aber auch an rezenten Kiefern, doch ist da überall gleichzeitig auch eine^
Reduktion in der Größe der Zähne resp. des ganzen Gebisses zu konstatieren. Ich
habe im vierten Hefte meiner Untersuchungen über den paläolithischen Menschen von
Krapina (Mitteilungen der anthrop. Gesellsch. in Wien 1905. Bd. X X X V pg. 211, Taf. II.
Abb. 2 c|. einen Unterkiefer beschrieben (vergleiche den Kiefer F.) der, wie wir dies
gesehen haben, in ganz hervorragender Weise durch die Einengung des Zahnbogens
beim an den bereits erwähnten Kiefer von K r a d o v e c erinnert. Derartiges wird
auch an Unterkiefern von Naturvölkern beobachtet und ich glaube, daß man nicht
fehl gehen wird, wenn man diese Gestalt des Zahnbogens als; eine primitivere betrachtet,
die noch heutzutage hie und da atavistisch auftaucht. Natürlich finden wir bei
diesen modernen Rekapitulationen der einst allgemeinen Zahnbogenform stets eine
Reduktion der Zahngröße. Wenn aber bei modernen Unterkiefern, wie uns dies abermals
unser Unterkiefer von unbekannter Herkunft zeigt, die immerhin bedeutenden
Zahngrößen wie:
Länge des Mt = 11
,, ,, Ms ^ #,s
. . M3 = 10,0
mm Breite — 10,0 mm