menschen schon von verschiedenen Beobachtern für die Femora unter sich als auffallend
ähnlich, ja in vielen Dingen vollständig gleich hervorgehoben ist, so kann ich das auf
Grund meiner Aufnahmen erst .recht von der inneren Struktur sagen. Hervorragend
gilt es von dem großen bogenförmigen Trajektorium. Dieser sehr stark angelegte
Knochenbalkenzug ist in allen diesen Oberschenkelknochen s c h a r f gegen den Trochanter
abgesetzt. (Fig. 33—35). Letzterer zeigt durchaus eine eigene selbständige Struktur
und das spricht w ie d e r durchaus gegen die Krantheorie. Ein solches 'mächtiges
im Innern des Knochens verlaufendes Zugtrajektorium ist, ohne daß im Außenteile
(dem Trochanter) auch nur die geringste Strukturbeeinflussung stattfindet, welche
einer Durchbiegung entspräche, doch kaum denkbar. Die alten Femora aus dem
Neandertal und von Spy stützen meine Theorie, daß jenes Zugtrajektorium in Wirklichkeit
ein Drucktrajektorium sei, ganz ausgezeichnet. R. S chmidt (Zeitschrift für
wissenschaftliche Zoologie 1899) hat den Satz aufgestellt, daß äußere Form Verhältnisse,
welche Veränderungen der Spongiosaarchitektur bedingen, die Gestalt des Kollum
bedingen. „Je mehr dieses ausgebildet ist, um so bogiger verlaufen die Trajektorien,
um so stärker und zahlreicher .werden die Zugkurven. Den weitaus größten Einfluß
hat die Länge des Schenkelhalses und die Öffnung des Schenkelhalswinkels auf die
wichtigsten Trajektorien, nämlich die Richtung der Hauptdruck trajektorien (mein Trajektorium
der aufrechten Haltung. W.). Je länger der Hals, je kleiner sein Winkel, um
so geneigter zur Knochenachse, und um so bogiger müssen diese Bälkchen verlaufen.“
Für die Entwickelung der Trajektorien .nach dem Schema der Krantheorie wären
also diese Femora das denkbar günstigste Objekt. Aber trotz der Länge des Schenkelhalses
und des kleinen Halsschaftwinkels ist nichts Derartiges, was einer Andeutung des
„Zugtrajektoriums" im T r o c h a n t e r ähnlich wäre, zu bemerken. S chmidt hat ebenfalls
in seinem Schema genau wie W olff die Zug- und Druckkurven im Trochanter
gezeichnet: Nun könnte man noch einwerfen,, daß die Struktur des Trochanter durch
eine besondere Beanspruchung auch eine ganz Selbständige wäre und deshalb in ihm
die Zugkurven nicht entstehen. Dem widerspricht nun die Tatsache, daß der Trochanter
bei jedem dieser Femora bis zur S p itz e mit einem starken R a d ia ls y s tem von S treb en
durchsetzt ist, welche ihren Ursprung aus dem in n e rn Halsschaftwinkel nehmen. Damit
ist erwiesen, daß der Trochanter sehr wohl bei einer funktionellen statischen Beanspruchung
des Kollums eine entsprechende funktionelle Struktur zeigt. Das Radialsystem
von Streben wird aber grade gegen die D u r c h b ie g u n g des Femurs aufgebaut,
welche durch diese Versteifung v e r h in d e r t werden soll. N ic h t eine federnde
Stütze, sondern e in e f e s t e S ä u l e für die zu tragende Last soll das Femur sein. Die
normale Funktion schuf hier im Trochanter keine Zugtrajektorien, weil die normale
Belastung keine nennenswerte Elastizität des Femurhalses voraussetzt. So haben wir
hier eine ganz gleiche Konstruktion, wie ich sie in S elenkas Werk Menschenaffen
'»Lieferung IV von den Kiefern des Orangutans nachwies. Der gefährliche Querschnitt
des inneren Kieferwinkels wird durch ein Trajectorium radiatum verstärkt, wenn eine
sehr große funktionelle Tätigkeit dasselbe zum Zweck möglichster Festigkeit und Starrheit
erheischt. Ein federnder Unterkiefer wäre für einen Orangutan mit seinen genau
artikulierenden Zähnen einfach unbrauchbar.
Das Radialsystem gegen die Durchbiegung ist in den prähistorischen Oberschenkelknochen
ein so gewaltiges, daß ein sogenanntes WARDSches Dreieck in der
Spongiosastruktur nicht enthalten ist. Man findet ein WARDSches Dreieck hauptsächlich
allgemein ausgeprägt in jugendlichen Knochen oder als Alterserscheinung also
in Fällen, wo die funktionelle Beanspruchung nicht eine sehr bedeutende ist. Das
Fehlen des WARDSchen Dreiecks bei dem Neandertaler- und Spymenschen deutet gerade
auf eine s t a r k e funktionelle Tätigkeit der Oberschenkelknochen dieser Individuen hin
und widerspricht direkt der Annahme Virchows, daß der Neandertaler ein hohes
Greisenalter erlebt hätte, und auf die Hülfe einer Mitmenschen angewiesen war.
Damit komme ich zur A l t e r s f r a g e dieser Individuen. Wir haben in ihren
Oberschenkelknochen e in g a n z u n zw e i f e lh a f t e s und u n t r ü g lic h e s Mittel, das
Alter dieser Individuen zu bestimmen und zwar in dem Verhalten der E p ip h y s e n -
lin ie n . Die Röntgenaufnahmen des Neandertalers ergaben das Vorh an d en se in derselben
und damit ist die A lte rsgrenze desselben sofort festgestellt.
Die ersten umfangreicheren Untersuchungen über die Epiphysenlinien verdanken
wir Dr. H. Hahn in München (Röntgographische Untersuchungen über das Verhalten
der Epiphysen der Unterschenkelknochen während des Wachstums in der Festschrift
'zum 70. Geburtstag von C. v. K upffer). Hahn sah die Nahtlinien an der Tibia und
Fibula schon im 19.— 20. Jahre bei Frauen verschwinden, während bei Männern ihr-
Fehlen erst später ein selteneres ist; nach dem 24. Lebensjahre muß aber auch hier ein
Vorhandensein derselben bereits als Ausnahme betrachtet werden.
Zu ähnlichen Resultaten kommt C. S ick im „Archiv und Atlas der normalen
und pathologischen Anatomie in typischen Röntgenbildern“. S ick sagt dort: „Die Vereinigung
der Epiphyse mit der Diaphyse tritt ungefähr im 20. Lebensjahr ein". .
Bei der ausnehmenden Wichtigkeit der Altersbestimmung des Neandertalmenschen,
welche überhaupt erst die ganze Frage seiner Stellung zur Deszendenzlehre und diejenige
der Beurteilung seiner persönlichen Eigenschaften lösen kann, habe ich eine
größere Anzahl von Femora unter gleichen Bedingungen wie dieses Objekt radiographisch
aufgenommen. Dabei fand ich, daß man das an dem Neandertalmenschen zu beob