auch die Tibia an ihrer äußeren Seite eine verstärkte funktionelle Struktur, wie der
äußere Kondylus des Femur aufweist.)
Der stärkere funktionelle Druck, welcher einseitig im tibialen äußeren Femurende
erzeugt wird, pflanzt sich durch die Diaphyse zum in n e r e n Halsschaftwinkel des koxalen
Femurendes fort. Dies geschieht infolge der Schrägstellung des Femur zu seiner Basalfläche
und der Krümmung seines oberen Endes, indem der statische Drück durch die
feste, röhrenförmige Diaphyse in möglichst kürzester Richtung auf dem Punkte gesammelt
wird, von welchem er sich wiederum auf geradestem Wege als Trajek-
torium der aufrechten Haltung in das Becken zum Kreuzbein fortsetzen kann. Für
diese Ansicht spricht nicht allein die ganze Spongiosa des tibialen Endes, sondern auch
schon äußerlich das Labium, welches vom äußeren Kondylus zur Linea aspera zieht.
Es ist bei normalen Oberschenkelknochen immer stärker als das Labium internum.
Wenn die Labien auch Muskeln zum Ansatz dienen, so'sind diese doch nicht so stark,
um derartige ausgebildete Leisten allein oder gar den „Pilaster“, in welchem jene übergehen,
zu stände zu bringen. Die Labien sind vielmehr, wie ich später auch noch
teilweise für den Pilaster erörtern werde, der ä u ß e r e Ausdruck für den gesammelten
Maximaldruck auf der Oberfläche des Knochens, welcher von Kondylen ausgehend in
en g um s c h r ie b e n e r Bahn sich zum Collodiaphysenwinkel fortpflanzt. Je einseitiger
und gleichmäßiger diese Beanspruchung erfolgt, um so stärker werden diese Labien
erscheinen, um so mehr kann aber auch in ihrer Umgebung mit dem Baumaterial gespart
werden. Beim Gange des heutigen Menschen ist das hervorragend der Fall,
während bei den Anthropomorphen nur eine sehr geringe Leistenbildung vorhanden
ist, so daß die Regio poplitaea und sogar der Körper des Femur rundlich erscheint.
Wenn meine Auffassung von der Entstehung der Labien richtig sein soll, so
muss es die Knochenstruktur beweisen. In der Tat zeigen sagittale Längsschnitte des
tibialen Femurendes, daß selbst der statische Druck von der v o r d e r e n Fläche der
Kondylen zum größten Teil zur Rückfläche des Schaftes übergeht, und zwar ziehen
die hierdurch in die Erscheinung tretenden Knochenbälkchen schräg aufwärts steigend
hauptsächlich zu den L a b ie n (Fig. 5a, 6a, 23a). Eine zweite Druckbahn, welche von
der h in te r e n Fläche des Kondylus zum Planum poplitaeum zieht, zeigt nahezu gradlinig
aufsteigende Knochenbälkchen (Fig. 5 c, 6 c, 23 c). Diese verstärken nur die Com-
pacta an jener Fläche, ohne, sich an der Labienbildung direkt zu beteiligen, sind aber
gleichfalls Ausdruck von starkem Druck auf der Dorsalseite. Zwischen diesen beiden
Druckbahnen und besonders in der ganzen Epiphyse liegt mehr rundmaschiges Gewebe,
ein Zeichen der sehr wechselnden Belastung dieser Teile. Der äußere Kondylus
(Fig. 6) weist auch im Sagittalschnitt eine viel stärkere Ausbildung der Trajektorien
und damit eine größere funktionelle Beanspruchung auf als der innere (Eig. 5).
Allerdings geht nicht der ganze Drück der Vorderseite der Kondylen zur hinteren.
Denn man sieht auch an der ersteren einige gradaufsteigende Bälkchen (Fig. 5 b).
Dass jedoch das Maximum des Druckes von der vorderen Fläche zur Dorsalseite
überführt wird, zeigen sagittale Längsschnitte in der Fossa poplitaea. In Fig. 22,
welche demselben Präparat entstammt, wie Fig. 5 und 6, zieht einzig ein stärkeres
Trajektorium in der erwähnten Richtung. Gleichzeitig erkennt man die überwiegende
Ausbildung der Compacta an der Dorsälseite bei diesem zart gebauten Femur
ebenfalls infolge der stärkeren Belastung der Rückfläche. Diese besprochenen Knochenbälkchen
sind in nach unten schwach konvex verlaufenden Bogenlinien angeordnet
und haben ihren Ursprung in der Belastung des Femur bei der S t r e c k u n g des dann
immobilisierten Kniegelenkes während des menschlichen Ganges, wobei die Kraftbahn
durch die Vorbewegung des Oberkörpers hauptsächlich auf die hintere Fläche im
Moment der größten statischen Beanspruchung übergeht. Von diesen Bälkchen sind
diejenigen wohl zu unterscheiden, welche in annähernd horizontaler Richtung die vordere
und hintere Fläche des tibialen Femurendes verbinden (Fig. 22 d). Diese Bälkchen
sind als einfache Verbindungsfasern in der unteren Diaphyse aüsgebildet und finden
sich hauptsächlich im größten sägittalen Durchmesser, also oberhalb der Fossa
poplitaea in der neutralen Achse, welche zwischen den beiden großen statischen
Trajektorien auf einem Frontalschnitt sichtbar ist. Jene treten mit den letztgenannten
an der Berührungsstelle gelegentlich in Verbindung und erscheinen dann verstärkt.
Bedeutungsvoller sind Fasern, welche aus dem Planum poplitaeum entspringend in
nach unten konvexen Bogen zur Vorderseite der Diaphyse aufsteigen. Sie sind
verhältnismäßig stärker und zahlreicher in schlankeren Oberschenkelknochen ausgebildet
und repräsentieren wohl reine Biegungsfasern (Fig. 6 b), welche statisch bei
gebogener Kniestellung beansprucht werden.
Welche weiteren Schlüsse lassen sich nun aus der beschriebenen Struktur des
menschlichen tibialen Femurendes in bezug auf seine funktionelle Beanspruchung ziehen?
Wenn das tibiale Ende und dje Diaphyse des menschlichen Femur unzweifelhafte
Merkmale eines größeren statischen Druckes aufweisen, welcher vom äußeren
Kondylus zum inneren Halsschaftwinkel geht, so kann eine Krantheorie für das gesamte
Femur keinesfalls geltem Das Maximum des statischen Druckes w e c h s e l t d ie S e iten
und dieser Wechsel kompensiert offenbar leicht eine Durchbiegung des gesamten Femur
nach aüßen, wie sie unzweifelhaft stattfinden müßte, wenn das ganze Femur kranartig
belastet würde, die äußere Seite also nur Zug-, die innere nur Druckseite wäre. (Gelegentlich
findet man sogar nicht nur keine nennenswerte seitliche Durchbiegung nach
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