zweite sich im hellen Lichte sonnet und üppige Früchte trägt. Aehnliclies Schicksal traf auch jenen
Zweig der Naturwissenschaft, den wir heute unter der Benennung Anatomie und Physiologie kennen.
Wenn auch die Naturforscher des grauen Alterthums durch die Gebrechlichkeit der Menschen,
durch die gesellschaftlichen Verhältnisse und zufälligen Ereignisse der mannigfaltigsten Art, auf die
leidende Menschheit aufmerksam gemacht, und zur Beobachtung, ja zur Abhilfe vieler Gebrechen
genöthiget wurden, und so ihre Handlungen selbst in den Epochen der rohesten und einfachsten
Begriffe für ärztliche Hilfe sich auf die dem Menschen eigentümliche Natur stützen .mußten, — wenn
gleich mit der ersten rationellen Auffassung und Deutung der Symptomengruppe, gleichzeitig auch
die erste Morgenröte für eine wissenschaftliche Kenntnifs der menschlichen Organisation ersteigen
mufste, so blieb dennoch dieser Zweig der Wissenschaften lange ein Kind der Wiege, an welchem
Aberglaube, herrschende Sitte, Weichlichkeit und träumende Verirrung des Geistes sich wechselweise
versuchten, und dessen Bildung atrophisch hintanhielten.
Erst als ein neues Leben die Naturwissenschaften durchglühte, die Menschheit vom Drucke der
Barbarei und des Aberglaubens befreit, die freie Wirksamkeit ihrer natürlichen Anlagen entfaltete, und
durch den richtigen Gebrauch der gesunden Werkzeuge des Menschen Gehirn die Nebelgestalten durchdringen
und verscheuchen konnte, die dasselbe umgaukelten, da ward es im Kreise des menschlichen
Wissens licht, und der dem Erlöschen nahe Säugling— die Anatomie — sog nun kräftig an den Brüsten
der Natur und stand bald in Jünglings-Blüthe und Fülle in der Mitte der übrigen Wissenschaften.
Doch wufste auch der lebhafteste Eifer und Fleifs, das vorliegende Material für den Bau eines
mächtigen Werkes sorgfältig zu sammeln, und ein den Altvätern unserer Wissenschaft eigenes,, kräftiges
Forschungsvermögen, die verborgensten Quellen zur schnellen Emporbringung der Kenntnisse
aufzufinden; so war dennoch das Licht, das damals sich über die Anatomie verbreitet hatte, noch viel
zu matt, um mit Klarheit selbst auch die gröbere organische Anordnung zu durchblicken, und
Ahnung trat an die Stelle der über allen Zweifel erhabenen Ueberzeugung,
In diesem dunklen Bewufstseyn, bei dem Mangel an klarer äufserer Anschauung und Auffassung,
schuf sich der menschliche Forschungsgeist aus Bruchstücken^ die er halb wahr, halb vom Truge
umhüllt zur Beurtheilung übernommen hatte, Bilder, die weniger das Werk einer höhern Synthese
des Erfahrnen, als das seiner kräftig wirksamen Fantasie war, und so nahm die Spekulation schon in
jenen Zeiten den Platz der Erfahrungen in einem Zweige der Naturwissenschaften ein.
Fehlte es auch in den nachfolgenden Perioden nicht an Männern, die der Wissenschaft eine
zweckmäfsigere Richtung gegeben und neues Leben - eingehaucht haben, so wechselte dennoch fantastische
Spekulation mit der Erfahrung, und selbst noch in den Zeiten eines Sylvius und Descartesj
finden wir das Feld der Hypothesen mit manchen bunten Bildern geschmückt. Erst durch Baco wurde
der Naturforschung eine richtigere Bahn vorgezeichnet, und das wahre Ziel gesetzt.
Indefs läfst es sich nicht in Abrede stellen, dafs eben durch den* oft bittern Kampf der Meinungen,
und den schnellen Wechsel der Systeme, die Unzureichlichkeit dei; reinen Spekulation im
Gebiete der Naturwissenschaften anschaulich gemacht, und der echte und einzige Weg zur Wahrheit
scharf bezeichnet, somit auch während jener Epoche für die Wissenschaft viel Gutes geliefert wurde.
So konnte in der That nie das, was mit allen ältern ehrwürdigen Erfahrungen im offenbaren Widerspruche
stand, der Pflege und Ausbildung der Wissenschaften im Allgemeinen, und der der Anatomie
und Physiologie insbesondere, lange schaden, oder hinderlich seyn. Die Zeit mit ihren beschwichtigenden
Fittigen, die Vernunft mit ihrem strahlenden, auch das Verworrenste durchdringenden
Lichte, beschied endlich all’ die Irrenden auf die wahre Bahn, und inan erkannte das Falsche
der herrschenden Lehren, indem gleichsam neu erprobt die alte Wahrheit lichter als zuvor glänzte.
So konnte es der Sucht der alten Schulen nie gelingen, die philosophischen Satzungen Plato's und
JEpikur'Sj der Heilkunde anzupassen, und die echt, hippokratische Lehre zu verdrängen; umsonst
waren die Bemühungen der Feinde Harvej'sy die über das.grofse Lebensproblem — die Lehre des
Kreislaufes — ausgesprochene Wahrheit zu verdunkeln, und lächerlich zu machen; und eben so wenig
losophos, sortis humanae miseriam et fragilitatem, ex consortio hominum inter se, et casus fortuiti
potenti dictatura oriundam, cognovisse, et aliqua saltern ratione conatos fuisse, earn pro virium
modo, sublevare.
Sed quid magni poterit jure exspectari, a primis imperfectisque conatibus, qui aliquam omnino
corporis humani ejusque functionum notitiam supponunt, nunquam tamen majorem, quam tempus
et cultura praesens dare possunt.
Quibus omnibus illud accedit, quod hominum superstitio, moris et consuetudinis imperium,
et mille praejudiciorum varietales, suam symbolam contribuerint, vix exclusum tenuis scientiae foetum
novercali more, in evolutione et incremento ulteriori retinere.
Per plura abhinc saecula, triste et exitii plenum erat scientiae nostrae fatum, donee tandem
genus humanum, excusso ignorantiae veterno, ruptisque incultae barbariei vinculis, mascula virtute et
ingenitarum virium strenuo exercitio, vana imaginationis spectra monstrosaque errorum figmenta
exorcismo damnaverit. — Tunc demum novum quoque Anatomiae nostrae illuxit jubar, quae, uti
neglectus atrophicusque pusio, largo haustu vitam viresque novas ex amplis uberibus suxit, quae aima
mater natura ipsi indesinenter praebuit. — Ast tenue rerum initium est, — finis et perfectio serai
Etiamsi enim indefessum veterum studium, intentique labores nihil praetermiserint, quod
scientiae anatomicae vix oriundae augmentum et vigorem ferre possit, imo omni roboi-e eo collabora-
verint, firma eidem et inconcussa sternere fundamenta; tamen non eo perfectionis ab initio promoveri
potuit scientia nostra, ut abdita structurae et conformationis organicae miracula, uno quasi intuitu
omnibus paterent.— Noctem densam, non clara meridies excipit, sed utrique intermedia auroral
E x singulis et invicem separatis cognitionum fragmentis, partira veris, partira obscuris, in-
dustria hominum, non perfectam statim et giganteam scientiae aëdem sibi aedificare potuit, ob unientis
medii defectum, animique ejusmodi laboribus nondum satis exercitati impotentiam. — Observationum
itaque defectum, speculation nimis saepe audaci suppleverunt.
Non defuerunt quidem viri, qui seriori aevo, strictam ad amussim, progredientis scientiae
cursum, moderare contenderunt, sed eorum conamina, utut laude dignissima; tamen insufficientia
erant, impetuoso torrenti, cum successu reluctari.
Speculatio experientiae alternis amplexibus juncta manebat, et hypothesium auctoritas, Sylvli
et Cartesii manibus superstes, ad Verulamium usque, unica erat, quae feroces Apollinis habenas,
potenti manu regeret.
Sed nihil adeo vile, quod non aliquo intuitu proficuum evadere possit. — Errores enim,
etiamsi energicos animi humani motus, firmo compede, justo diutius frenaverint, tamen eo pretium
habuerunt, quod tandem ad cognitionem veri, viam monstraverint.
Temporis tractus, et rationis lumen, novo indies vigore coruscans, errabundos scientiarum
gressus, in veram semitam direxit, et vêtus experientia, abstersis moderni delirii cremoribus, novo
honore condecorata, restituta fuit.
Ita Platonis e tEpicuri ingeniosi errores, medicinae hippocraticae nunquam damna tulerunl, —
ita Ilarvei sententia stat, stabitqüe ueternum contra cavillantium criticorum acres sententias, — ita