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 Nachdem  wir  das  Hügelland  und  die  tieferen  L andstriche  
 durchkreuzt  und  gequert  hatten, war  es  uns  nun  auch  
 darum  zu  thun  auf  dem  Hauptgebirgsstocke  im  Südosten  der  
 Insel  das  gleiche  auszuführen.  F ü r  diesen  am meisten  emporragenden  
 Theil  des  Landes * blieb  der  Besuch  auf  die  zweite  
 Hälfte  des  Maies  verschoben,  indem  wir  hofften  hieher  früh  
 genug  zu  kommen,  um  den  Frühling  noch  in  seinen  Flitterwochen  
 zu  erhaschen,  während  in  den  Thälern  ringsumher  
 der  Glutbrand  der  Sonne  schon  Blüthen  und  Blätter  zu  
 versengen  und  abzustreifen  begann. 
 Ein  Standpunkt  so  nahe  als  möglich  dem  Waldesgrün  
 und  den  höchsten  Spitzen  des  Gebirges  war  uns  in  mehrfacher  
 Rücksicht  erwünscht,  vorzüglich  aber  darum,  weil  hier  
 eine  ganz  vorzügliche  Lese  von  weniger  verbreiteten  und  
 darum  interessanteren  Gewächsen  zu  erwarten  war.  He rr Dr.  
 K o t s c h y   hatte  schon  vor  mehreren  Jahren  das  Gebirgsdorf  
 P r o d r omo   zu  seinem  botanischen  Ruheplätzchen  erkoren  und  
 es  seiner  Lage  und  Einrichtung  nach  kennen  gelernt.  E r  
 richtete  mit  mir nun  nochmals  sein Auge  auf  diese  im  ganzen  
 Lande  zuhöchst  gelegene  Gruppe  von  E rd -  und  Steinhütten,  
 in  der  Absicht  in  diesem  Eldorado  der  Kräuter  ein  paar  
 Wochen  zuzubringen  und  von  da  aus  nach  verschiedenen  
 Richtungen  Streifzüge  zu  unternehmen. 
 Prodromo  hat  seinen Namen  von  dem  Patron  der Kirche  
 Johannes  dem  T äu fe r,  oder  wie  er  hier  gewöhnlich  genannt 
 wird,  dem  Vorläufer.  Auch  für  uns  war  dies  kleine  Dorf  
 gewissermassen  ein  Prodromus  von  Naturgenüssen,  wie  sie  
 den  Reisenden  wohl  selten  zu  Theil  werden. 
 Wir  hatten  eben  die  denkwürdigen  Stätten  einer  uralten  
 Cultur  an  den  südlichen  Gestaden  der  Insel  berührt,  als  wir  
 bei  Paphos  nordwärts  in  die  Hochgebirgsmasse  einbiegend  
 diese  von  dem  westlichsten  Punkte  Chrysocu  über  Chryso-  
 roiatissa,  Wretscha,  Paleomilos  bis  Prodromo  durchstreiften.  
 Der  Gegensatz  von  dem  alterthümlich  -  hinfälligen  aller  
 Menschenschöpfungen  zur  ewig  jungen  nie  alternden  Natur,  
 hatte  uns  für  alle  Genüsse  empfänglich  gemacht,  die  uns  
 hier  im  Mittelpunkte  des  Hochgebirges  und  der  erhabensten  
 Scenerien  zu  Theil  werden  sollten. 
 Mit  frischem  Muthe  und  leichtem  Gepäcke  zogen  wir  
 in  das  kleine  Gebirgsdorf  ein,  reich  beladen  mit  Schätzen  
 aller  Art  und  voll  der  schönsten  Erinnerungen  aus  dem  vertraulichen  
 Umgange  mit  der Natur  schieden  wir  aus  dem  Bereich  
 balsamischer  Lüfte  um  bald  auch  der Insel  selbst  unser  
 Lebewohl  zu  sagen. 
 Es  war  am  9. Mai  um  5 Uhr Abends,  als  wir  auf  unsern  
 schon  zum  Zusammensinken  müden  Maulthieren  die  kleinen  
 halb  in  den  Berg  hineingeschobenen  Hütten  von  Prodromo  
 erreichten.  Ein  halsbrecherischer  oft  sich  verlierender  Pfad  
 hatte  uns  durch  Schluchten  und  steile  Felsgehänge  von  dem  
 Dorfe  Wretscha  hiehergeführt.  Mit  Sehnsucht  blickten  wir  
 wie  unsere  Thiere  wohl  schon  eine  Stunde, vorher  nach  dem  
 letzten  grünen  Feldstreifen  hinauf,  der  die Häusergruppe  von  
 Prodromo  durchwirkte.  Platanen  und  Papeln,  die  sieh  eben  
 zu  belauben  anfingen,  versprachen  uns  manches  schattige  
 Plätzchen.  Endlich  waren  wir  auf  eben  solchen  unnahbaren  
 Pfaden  in  die Hüttenreihen  des  Dorfes  eingerückt,  und  sahen  
 uns  umher,   wo  wir  etwa  ein  freundliches  Dach  fänden,  das  
 uns  und  unsere  wenigen  Habseligkeiten,  vor  allen  die  zum  
 Pflanzentrocknen  bestimmten  Papierpäcke  schützen  sollte.  
 Das  Haus  neben  der  Platane  von  einem  100jährigen  Mütterchen  
 bewohnt,  gewöhnlich  als Hotel der  sich  bis hieher  verirrenden  
 Fremden  benützt,  schien  meinem  Reisegefährten  wegen