Noch war der Weizen nicht vollkommen re if, allein die gefürchteten
Angriffscolonnen hatten bereits ihre Vorposten bis
zu den noch grünen Halmen vorgeschoben. Man beeilte sich
ihnen zuvorzukommen, indem man die nothreifen Aehren
aus dem Wege räumte und ihnen nur die Stoppeln zur Verfügung
stellte. Diese Thiere hatten in dieser kurzen Zeit O O
unglaublich an Grösse zugenommen und in ihrer Gemeinschaft
in der That ein schrecken- und zugleich ein ekelerregendes
Ansehen gewonnen. Obgleich nur eines halben
Fingers lang aber fast vollends ausgewachsen fehlte ihnen
doch noch der Gebrauch der Flügel und sie mussten sich
bei ihrem Vorrücken lediglich noch auf ihre Beine beschränken,
von denen sie weniger hüpfend als langsam fortschreitend
Gebrauch machten.
We r möchte es glauben, dass selbst die weitläufige von
einer Ringmauer und Festungsgraben umgürtete Stadt sich
dieses ungebetenen Besuches kaum zu erwehren im Stande
ist. Neugierig frägt der ankommende Reisen d e, was es mit
dem weissen Bande an der Bastionsmauer, das auf der halben
Höhe derselben parallel mit dem Rande verlauft, für eine
Verwandtniss habe, bis er erfährt, dass es eine Schutzmass-
regel gegen den Heuschreckenanfall sei. Man h a t nämlich
in Erfahrung gebracht, dass diese Insecten, bevor sie zum
Gebrauche ihrer Flugwerkzeuge gelangen, sehr wohl selbst
hohe senkrechte Mauern zu übersteigen im Stande sind sobald
ihnen diese kleine Rauhigkeiten zur Stütze der Beine
darbieten, dass aber je d e r Versuch eine möglichst glatte
senkrechte Fläche zu überschreiten für sie ein vergebliches
Unternehmen sei. Um demnach die Stadt mit den zahlreichen
zwischen den Häusern befindlichen Gärten vor dem Andrange
jen e r Verwüster zu schützen, hat man nächst dem Thor-
schlusse auch einen auf der ganzen Umwallungsmauer bandförmigen
feinen Mörtelanwurf mit weisser Tünche angebracht.
Durch diesen sich seltsam ausnehmenden Zaubergürtel ist in
der That die Stadt wenn nicht vollständig, doch wenigstens
zum grossen Theile vor -den widerwärtigen Eindringlingen geschützt,
die ihre Schanzarbeiten und Laufgräben allerdings
bis zum weissen Mörtelbande fortsetzen, aber nicht über dasselbe
hinaus zu kommen vermögen.
Wenige Tage später konnten wir am Fusse der nördlichen
Gebirgskette, wo sich eine Reihe ziemlich unfruchtbarer
Hügel ausdehnt, schon die ersten Spuren gewaltsamer Heuschreckenverwüstungen
sehen und zugleich wamehmen, dass
diese Thiere auf ihrem Zuge von Osten nach Westen der
Insel sich keineswegs immer an fruchtbare Landstrecken
und Getreidefelder hielten, sondern mit gleicher Impetuosität
auch die dürrsten und trockensten Gestrüppgegenden überzogen.
Es ist sehr seltsam, wie sie in ihrem Fortschreiten
weder durch Felsen noch durch Häuser und Kirchen mit
ihren senkrechten Wänden aufghalten werden, und wie sie
geschickt und instinctmässig, selbst dort wo sie zahllos den
Boden bedecken, dem Hufe der Lastthiere und dem Fusse
des Menschen jederzeit auszuweichen im Stande sind. Ihr
Fortschreiten ist nach unseren Beobachtungen langsam und
stets massenweise, vereinzelte Nachzügler sind selten.
So hatten wir durch einige Zeit die Heuschrecken auf
unseren Wegen verfolgt, dieselben in der Mesaria und am
südlichen Fusse der Nordgebirgskette überall angetroffen,
ihnen jedoch am nördlichen Fusse desselben Gebirges nur
ausnahmsweise und in äusserst geringer Zahl begegnet.
Es schien als ob dieser 2000 bis 3000 Fuss hohe Gebirgs-
wall der Wanderung dieser Insecten eine ganz bestimmte
Richtung vorschreibe, die, wie wir später sehen sollten, auch
eingehalten wird.
Damit waren abermals zehn Tage verstrichen, als wir
am 22. April wieder an der Südseite der Bergkette eintrafen.
Wie verändert nahmen sich aber nun die langsam fortschreitenden
Wanderer a u s ! Ihre letzte Häutung war vorüber,
und so fingen sie an von ihren Flügeln Gebrauch zu
machen. Da die Getreideernte bereits vollendet war und
ihnen auf den Feldern nichts als dürre Stoppel übrig blieben,
so machten sie sich von dem Nahrungstriebe geleitet an die
an Wegen und Zäunen stehenden Unkräuter und es war
seltsam zu s e h e n , wie ausser dem allverbreiteten Chrysan-
U n g e r und K o t s c h y , die Insel Cypem. gQ