
 
		2  Von Jena  nach  Singapur 
 dem  er  kürzlich  sein  anatomisches  Lehramt  niedergelegt  hatte,  
 noch  in  rüstiger  Geistestätigkeit  an,  beschäftigt mit  dem Abschluß  
 seines  großen  und  grundlegenden  Lehrbuches  der  „Vergleichenden  
 Anatomie  der  Wirbeltiere“ .  Von  Heidelberg  wandte  ich  mich  zunächst  
 nach  S t r a ß b u r g ,  wo  ich  einen  Tag  bei  meinem  lieben  
 Neffen  G eo rg  H a eckel  zubrachte.  Die  neue,  stolze  Stadt  mit  
 ihrem  erweiterten  Straßennetz,  ihren  glänzenden Universitätsbauten  
 läßt  das  alte,  winkelige  Straßburg  nicht wiedererkennen,  das  seine  
 Bezeichnung:  „Du  wunderschöne  Stadt!“  wirklich  nicht  verdiente. 
 Von  Straßburg  machte  ich  einen  Abstecher  nach  P a r is ,  um  in  
 fünf  Tagen  ein  allgemeines  Bild  von  der  großen  internationalen  
 Weltausstellung  zu  gewinnen.  Im  allgemeinen  bin  ich  kein  Freund  
 von  großen  Ausstellungen  und  behalte  keinen  bleibenden  Eindruck  
 von  den  zahllosen  interessanten  Kulturprodukten,  die  dort  zusammengehäuft  
 erscheinen.  Allein  in  diesem  Falle  muß  ich  doch  gestehen, 
   daß  die  ungeheure  Ausdehnung  des  Ausstellungsgebietes,  
 die  sehr  geschickte  und  geschmackvolle  Anordnung  des  gewaltigen  
 Stoffes  (wenigstens  in  der  Mehrzahl  der  Gruppen)  und  der  erstaunliche  
 Reichtum  der  modernen  Kulturerzeugnisse  dem  großen  
 Völkerjahrmarkt  ein  besonderes  Interesse  verliehen.  Man  erhielt  
 selbst  bei  der  flüchtigen  Übersicht,  welche mir  die  kurze  Zeit meines  
 Aufenthaltes  gestattete,  eine  lebendige  Vorstellung  von  der  erstaunlichen  
 quantitativen  und  qualitativen  Höhe,  zu  welcher  sich  
 die  moderne  Industrie  und  Technik  am Ende  des  19. Jahrhunderts  
 erhoben  hat.  Daß  dabei  das  Deutsche  Reich  in  würdigster  Weise  
 vertreten  war,  gereicht  uns  Deutschen  ebenso  zur  besonderen  Genugtuung, 
   wie  die  unparteiische  Anerkennung,  welche  deutsche  
 Kunst  und  Gewerbefleiß,  deutsche  Technik  und  Wissenschaft  in  
 vielen  einzelnen  Gruppen  der  Ausstellung  gefunden  haben.  Die  
 deutschen  Erzeugnisse  der  Malerei  und  Skulptur,  der  Porzellanfabrikation, 
   der  Chemie  und  Phyfik,  der  Heeres-  und  Marineausrüstung  
 usw.  glänzten  in  erster  Linie. 
 Von  Paris  fuhr  ich  am  3o. August  nach  Basel,  wo  ich  am  folgenden  
 Tage  die  Gastfreundschaft  meines  verehrten  Freundes  und  
 Gönners  Dr.  P au l  von  R it te r   genoß,  des  hochherzigen  Gründers  
 der  „Paul  von  Ritterschen  Stiftung  für  phylogenetische  Zoologie  
 an  der  Universität  Jena“ .  Wie  die  Erträgnisse  dieser  Stiftung  seit  
 1886  nicht  nur  das  zoologische  Studium  höchst  fruchtbar  gefördert, 
   sondern  auch  die  Mittel  zu  zahlreichen  wissenschaftlichen  
 Reisen  geliefert  haben,  so  verdanke  auch  ich  ihr  einen  Teil  des  
 Aufwandes  für  diese  kostspielige Reise  nach  Insulinde;  ein  anderer  
 Teil  desselben  wird  durch  den  Bressapreis  gedeckt,  welchen  mir 
 die  königliche  Akademie  der  Wissenschaften  in  Turin  1899  zuerkannt  
 hatte. 
 Die  beiden  ersten  Tage  des  September nahm  die  Reise  von  Basel  
 nach  Genua  in Anspruch.  Die Fahrt über  den Gotthard wurde mir ,  
 abgesehen  von  den  zahlreichen  großartigen  und  wechselnden  Bildern  
 dieser  schönsten  aller  Alpenbahnen,  diesmal  dadurch  besonders  
 interessant,  daß  der  Zufall  auf  der  Strecke  von  Flüelen  bis  
 Lugano  eine  philosophische  Reisegefährtin  in  Gestalt  einer  barmherzigen  
 Schwester mir  gegenübersetzte.  Bemerkungen,  welche  sie  
 über  die  seltsamen  Faltungen  der  Gebirgsschichten  an  der  Axen-  
 straße  und  den Wechsel  der  Vegetation  auf  beiden  Seiten  des  Gotthardpasses  
 machte,  führten  uns  zu  einem  Gespräche  über  die  natürliche  
 Entwicklung  dieser  Erscheinungen  und  deren mechanische  
 Ursachen.  Hierbei  erzählte  mir  die  „Oberin  des  Krankenhauses  in  
 X.“ ,  daß  sie  vor  zehn  Jahren  durch  die  Lektüre  der  „Natürlichen  
 Schöpfungsgeschichte“  des  Jenenser  Professor  Ernst  Haeckel  veranlaßt  
 worden  sei,  über  diese  und  andere  Erscheinungen  nachzudenken  
 ;  infolgedessen  sei  bei  ihr  allmählich  die  alte  Vorstellung  
 von  einer  „übernatürlichen  Schöpfung“  der  Arten  verdrängt  worden  
 durch  die  Überzeugung  von  ihrer Entwicklung  aus  natürlichen  
 Ursachen.  Als wir  uns  in  Lugano  verabschiedeten  und  dabei unsere  
 Karten  austauschten,  war  die  Überraschung  beiderseits  nicht  ge-  
 ring. 
 In  Genua  am  Morgen  des  3.  September  erfuhr  ich  auf  der  
 Agentur  des  „Norddeutschen  Lloyd“ ,  daß  der  Dampf er ^„Oldenburg“ 
 ,  mit  dem  ich  meine  Reise  nach  Insulinde  antreten  sollte,  
 bereits  im  Hafen  liege;  ich  beeilte  mich,  an  Bord  desselben  zu  
 rudern,  um  die mir  zugeteilte  Kabine  in Augenschein  zu nehmen :—  
 meine  ständige  Wohnung  für  die  nächsten  vierundzwanzig  Tage.  
 Ich  wurde  auf  das  Angenehmste  überrascht,  als  ich  eine  der besten  
 Kabinen  des  stattlichen  Schiffes  für mich  sauber  eingerichtet  fand,  
 Bett  und Waschtisch,  Spiegel  und  Fenster  reizend mit  Blumen  geschmückt, 
   mit  Rosen  und  Amaryllis,  Ziergräsern  und  Farnkräutern. 
   Da  ich  von  früher  Jugend  an  ein  großer  Blumenfreund  gewesen  
 und  geblieben  bin,  machte  mir  diese  geschmackvolle  Dekoration  
 ganz  besondere  Freude;  ich  verdankte  sie  der  freundlichen  
 Aufmerksamkeit  des  Schiffsarztes  Dr.  S ch u b e r t,  der  sich  für  
 wissenschaftliche  Zoologie,  insbesondere  mein  Lieblingsstudium,  
 das  Leben  und  die  Entwicklung  der  Seetiere,  lebhaft  interessiert;  
 und  da  er  bei Tisch  mein  Nachbar war,  trug  seine muntere Gesellschaft  
 nicht wenig  dazu  bei,  mir  die  dreiwöchentliche  Seefahrt  angenehm  
 zu  machen.