
 
		selben  in  mehreren  flüchtigen  Aquarellskizzen  festzuhalten  versuchte, 
   fuhr  Wereschtschagin  mit  dick  gefülltem  violetten  Pinsel  
 nochmals  über  meine  Felsen  und  sagte:  „So  etwas  sollte  man  
 eigentlich  nicht malen;  wenn  man  es  aber malt,  kann  man  es  nicht  
 toll  genug machen!“ 
 Nachdem  wir  am  27.  März  glücklich  den  Suezkanal  passiert  
 hatten,  begrüßte  ich  in  der  strahlenden Morgenfrühe  des  folgenden  
 Tages  in  P o rt  Said wieder mein  geliebtes  Mittelmeer. 
 Die  Empfindungen,  mit  denen  ich  an  meine  Insulindefahrt  zurückdenke, 
   kann  ich  nicht  besser  ausdrücken,  als  mit  den  Worten  
 meines  Kollegen  R ich a rd   Semon,  der  am  Schlüsse  seiner  ausgezeichneten  
 Reise  nach  Australien  sagt: 
 „Wenn ich  jetzt zurückblicke  und mich  frage: Was  ist mir  diese  
 Reise  gewesen?  so  denke  ich  nicht  der  greifbaren  Förderung,  die  
 meine  wissenschaftlichen  Arbeiten  durch  Gewinnung  eines  reichen  
 und in  vieler Beziehung  sehr eigenartigen Materials  erfahren haben.  
 Viel höher schätze ich  die große Anregung auf allen Gebieten naturwissenschaftlichen  
 Denkens,  die  den  reisenden  Forscher  veranlassen, 
   unendlich  Vielem  Beobachtung  und  Nachdenken  zu  widmen,  
 das für ihn zu Hause, wo er allein den Weg  seiner  Spezialforschung  
 zu wandeln  gewohnt  ist,  nicht vorhanden  ist.  Nicht  Zersplitterung*  
 sondern  einseitige  Spezialisierung  ist  die  Hauptgefahr,  die  heute  
 die Vertreter  der  so  hoch,  aber  deshalb  so  spezialisiert  entwickelten  
 Naturforschung  bedroht  . . .   Da  wirkt  denn  die  Reise  ins  große  
 Meer  allgemeiner  Naturerkenntnis  auf  den  jungen  Forscher  wie  
 die Meerfahrt  des  Lachses  auf  das  Fischlein,  das  in  seinem  kleinen  
 Fluß  groß  geworden  ist,  sich  dort  heimisch  weiß  und  kaum  ahnt,  
 daß  es  draußen  auch  noch Wasser  gibt,  bevor  es  seine  große  Reise  
 ins Weltmeer  angetreten  hat. 
 Ebenso  wichtig  als  der  Gewinn,  den  der  Forscher  aus  einer  
 solchen  Reise  zieht,  ist  aber  die  Förderung,  die  der  Mensch  als  
 Mensch  erfährt,  die  reiche  Fülle  ästhetischer  Genüsse,  die  Übung  
 des Auges  und  aller  Sinne,  die  Ausdehnung  des Horizonts  und  der  
 Urteilsfähigkeit  durch  die  Vervielfältigung  der  Vergleichungsobjekte  
 . . .   Wallace  sagt  scherzend,  allein  der  Genuß,  Durian  zu  
 essen,  lohne  eine  Reise  in  den  Osten.  Er  hat  darin  schon  recht;  
 aber  noch  mehr  lohnt  es  sich,  der  Gesellschaft  der  eignen  Verwandten  
 und  alten  Freunde  zeitweilig  zu  entsagen,  um  dafür  
 draußen  fremde,  uns  durch  keinerlei  Bande  verknüpfte  Menschen  
 kennen  zu  lernen,  die  hochherzig  und  ohne  jedes  eigennützige 
 Motiv  den  fremden  Wanderer  bei  sich  aufnehmen  und  seine  Bestrebungen  
 opferwillig  unterstützen.  Solche  Erfahrungen,  die  auf  
 einer langen Reise  in  fremden Ländern  jeder machen wird,  der  sich  
 ihnen  nicht  künstlich  verschließt,  sind  geeignet,  uns  den  Glauben  
 an  eine  eingeborene  Güte  der  menschlichen  Natur  viel  eindringlicher  
 zu  Gemüte  zu  führen,  als  wenn  wir  im  abgegrenzten  Kreise  
 der Heimat bleiben, wo  die  Selbstlosigkeit  der Motive  sich  unserem  
 Auge  weniger  überzeugend  darsteilt.  Vor  einer  zu  optimistischen  
 Beurteilung  des  menschlichen  Charakters  wird  der  Reisende,  der  
 unter  schwierigen  Verhältnissen  mit  allen  möglichen  Sorten  von  
 Menschen  in  Berührung  kommt,  ebenfalls  geschützt  sein.  Er wird  
 sich  gewöhnen,  objektiv  zu beobachten,  daß  unter  den Weißen  und  
 Schwarzen,  Australiern  und  Deutschen,  Männern  und  Weibern,  
 immer  dieselben Leidenschaften,  Schwächen  und Tugenden  wiederkehren, 
   immer  dasselbe  Thema,  aber  verschieden  gesetzt,  verschieden  
 variiert,  überall  widerklingt,  wo  Menschen  leben,  lieben  und  
 hassen.  Das  Gemeinsame  der  Menschennatur  in  all  ihren  Verkleidungen  
 heraus  zu  erkennen  und  das  Charakteristische  jeder  einzelnen  
 Variation  zu  erfassen,  ist  ein  weiterer  Genuß,  der  der  verständnisvollen  
 Versenkung  in  ein  großartiges  Kunstwerk  oder  eine  
 wunderbare  Landschaft  ebenbürtig  ist.“ 
 Ähnliche  Betrachtungen  hat  auch  Charles  Darwin  am  Schlüsse  
 seiner  berühmten  „Reise  eines  Naturforschers  um  die  Welt“  angestellt, 
   jenes  ersten Werkes,  das  die  Augen  der wissenschaftlichen  
 Welt  auf  diesen  großen  Beobachter  und  Denker  lenkte.  Ich  danke  
 meinem  gütigen  Schicksal,  das  mir  noch  in  so  vorgeschrittenem  
 Alter erlaubte,  den Spuren jener verdienstvollen Reisenden zu folgen  
 und  in  Insulinde  eines  der  schönsten  und  lehrreichsten  Gebiete  
 unserer  herrlichen  Mutter  Natur  mit  eigenen  Augen  kennen  zu  
 lernen.