
 
		IOO Im  Urwald  von  Tjibodas 
 Orchideen  gibt  es zwar  auf  den  Bäumen  viel;  aber  selten  trifft man  
 eine  Blüte  derselben.  Die  häufigste  Blume  am Wegesrande  ist  eine  
 hübsche  rote  Balsamine  (Impatiens  latifolia);  ihre  Purpurfarbe  
 wird  um  so  heller,  je  höher  sie  am  Berge  emporsteigt. 
 Einer  der  auffallendsten  und  überraschendsten  Charakterzüge  
 des  Urwalds  von  Tjibodas  ist  der  unglaubliche  Reichtum  an  
 K ryp to g am en,  sowohl  was  die  Zahl  der  Arten  als  die  Masse  der  
 Individuen  betrifft.  Das hängt mit  dem  ununterbrochenen Wasserüberfluß  
 dieser  „Regenwälder“  zusammen,  der  auch  die  so  fabelhafte  
 Entwicklung  der Epiphyten  und Parasiten bedingt.  Auf  jedem  
 Schritt  begegnen  wir  zahlreichen  Arten  von  Farnen  und  Bärlapparten, 
   Laub-  und  Lebermoosen,  Pilzen  und  Flechten. 
 Die  imposanteste  Rolle  unter  diesen  „blumenlosen  Pflanzen“  
 spielt  die Klasse  der  Farne  (Filicinae).  Fast  alles,  was  diese Klasse  
 von  Gefäß-Kryptogamen  auf  unserem  Erdbälle Wunderbares  hervorbringt, 
   finden  wir  in  den  niederen  und  höheren  Regionen  des  
 Tjibodas-Waldes  vereinigt,  und zwar  in solcher massenhaften Fülle,  
 daß  die meisten  anderen  Pflanzen  (abgesehen  von  den  großen  Bäumen) 
   dagegen  ganz  zurücktreten.  Die  zahlreichen  Farnkräuter,  die  
 in  unserem  gemäßigten  Klima  den  feuchten  Wald  schmücken,  
 geben nur  ein schwaches Bild von  dem allgemeinen Charakter dieser  
 herrlichen  Kinder  der  Flora.  Über  alle  Beschreibung  schön  sind  
 die  Baumfarne>  die  hier  in  dem  ewig  feuchten  Regenwalde  am  
 Gedeh  die  günstigsten  Bedingungen  für  ihre  volle  Entwicklung  
 finden.  Sie  vereinigen  in  sich  den  schlanken Wuchs  der Palme  und  
 die  zierlichen  Fiederblätter  der  Doldenpflanzen  (Umbelliferen).  
 Der  einfache,  ungeteilte,  meistens  5—15  Meter  hohe,  braune  
 Stamm  ist  hübsch  gezeichnet,  indem  die  Ansätze  der  abgefallenen  
 älteren  Blätter  rhombische Figuren  bilden.  Oben  trägt  er  die breite  
 und  flach  gewölbte,  schirmförmige  Krone,  zusammengesetzt  aus  
 einer Zahl von  zwanzig bis  dreißig  langgestielten mächtigen Fiederblättern. 
   Während  bei  den  Palmen  die  einzelnen  Blattfiedern meistens  
 einfache,  starre,  lederartig  derbe  Blätter  von  Eiform  oder  
 Lanzettform darstellen,  sind  dieselben  dagegen bei  den Farnbäumen  
 selbst wieder mehrfach  gefiedert  und  in  unzählige  kleine Blättchen  
 symmetrisch  geteilt.  Dabei  ist  ihr  Gewebe  viel  zarter  und  durchsichtiger, 
   so  daß  das  von  oben  einfallende  Sonnenlicht  mehr  oder  
 weniger  hindurchscheint.  Steht man  unter  einem  solchen  Schirme,  
 so meint  man  über  sich  einen  zarten,  hellgrünen  Schleier  zu  haben,  
 „aus  Morgenduft  gewebt  und  Sonnenklarheit“ .  Bewegt  aber  ein  
 Windhauch  leise  die  anmutig  herabgebogenen  Blätter  dieser  glok-  
 kenförmigen  Krone,  so  glaubt  man,  daß  die  schöne,  darin  wohnende  
 Dryade  uns  Kühlung  und Erquickung  zufächelt.  Am  schönsten  
 erscheinen  die  Farnbäume  im  Silberlichte  des  Vollmondes,  
 Unterhalb  der  anmutigen  Krone  hängen  die  abgestorbenen  braunen  
 Blätter  und  Blattstiele  gleich  langen  Haaren  herab,  was  den  poetischen  
 und malerischen  Eindruck  noch  erhöht. 
 Viel  derber  als  diese  wundervollen  Fiederblätter  der  Alsophilen  
 sind  die  kolossalen  Blätter  eines  stammlosen  Farnkrauts,  An-  
 giopteris  Teysmanniana;  sie  erreichen  über  vier  Meter  Länge;  ihre  
 steifen  Blattstiele  werden  io   Zentimeter  dick.  Auch  viele  andere  
 Farnkräuter —   bald  unseren  europäischen  Arten  ähnlich,  bald  sehr  
 verschieden  gestaltet  —   imponieren  uns  durch  gewaltige  Dimensionen. 
   Daneben  fehlt  es  aber  auch  nicht an  solchen,  die viel  zarter  
 und  kleiner  sind.  Das  winzige  Monogramma  gleicht  einem  Gras-  
 büschelchen.  Betrachtet  man  aber  die Rückseite  der  feinen,  fadenförmigen  
 Blättchen,  so sieht man die Reihe der braunen Sporangien,  
 welche die Farnnatur verrät.  Steigen wir weiter am Gedeh aufwärts,  
 so nimmt immer mehr die Zahl und Mannigfaltigkeit der S ch le ie r fa 
 rn e   zu  (Hymenophylleen).  Sie  können  leicht mit  gewissen Moosen  
 verwechselt werden;  die  kleinsten  unter  ihnen  sind  kleiner  und  
 schwächer  als  die  riesengroßen  Laubmoose,  die  sich  über  sie  erheben. 
   Sn  liefern  die  Farne  mehrfache  Beweise  für  den  Satz,  daß  
 die reiche Gestaltungskraft des Tropenwaldes  in  einer ünd derselben  
 Klasse  nicht  allein  die  größten  und  gewaltigsten,  sondern  auch  die  
 kleinsten und zartesten Gestalten hervorzubringen vermag.  Wir finden  
 diesen  Satz  hier  auch  für  die  Moose  und  Flechten,  die  Orchideen  
 und Liliazeen,  die  Palmen  und Feigen  und viele  andere Pflanzengruppen  
 bestätigt. 
 Ein  großes  stammloses  Farnkraut  von  eigentümlicher  Trichterform  
 nimmt an  der Physiognomie des Urwaldes  von Tjibodas  einen  
 bestimmenden  Anteil;  das  ist  der  seltsame  V o g e ln e s tfa rn   (Asple-  
 nium  nidus  avis).  Die  regelmäßig kreisrunde Krone  desselben wird  
 durch  sehr  zahlreiche,  einfache,  zungenförmige  Blätter  gebildet,  
 welche  über  zwei  Meter  Länge  erreichen  und,  in  zierlichem  Bogen  
 aufsteigend,  außen  nach  abwärts  gekrümmt  sind.  In  dem Trichter,  
 welchen  die  dichtgedrängten  Riesenblätter  bilden, sammelt  sich  das  
 Regenwasser  und  das  abfallende Laubwerk  der  Bäume.  Durch Zersetzung  
 desselben wird reichliche Humuserde  gebildet,  und in dieser  
 hausen nicht nur Insekten,  Spinnen und Tausendfüße, sondern auch  
 kolossale,  hellviolette Regenwürmer  von  3o  cm  Länge  und  i V2 cm  
 Dicke.  Die  Nährwurzeln  des  Farnkrautes  selbst  wachsen  in  dies  
 von  ihm  gebildete  Humusbeet  hinein.  Die  braunen,  abgestorbenen  
 Blätter  hängen  unter  der  hellgrünen  Krone  frei  herab;  auch  wenn