
 
		Stammes  verwertet  werden  können;  bei  den  nächsten  Verwandten  
 derselben  in  Europa,  deren  Keimesgeschichte  vielfach  cenogene-  
 tisch  verändert  ist,  würden  wir  vergeblich  nach  denselben  suchen. 
 Nun  müssen  wir  uns  wieder  erinnern,  daß  die  Phylogenie  nicht  
 allein  an  sich ein  höchst wichtiger  und  interessanter  Zweig  der modernen  
 Biologie  ist,  sondern  daß  sie  zugleich  der  ganzen Morpholo 
 g ie   und  S y s tem a tik   der  Organismen  eine  neue  erklärende  
 Grundlage  gegeben  hat.  Wie  schon  Lama rck  und  Darwin  mit  
 weitschauendem  Blicke  erkannten,  ist  das  n a tü r lich e   System  
 der  h yp o th e tisch e   Stammbaum  der  Tiere  und  Pflanzen;  ihre  
 wahre „FormVerwandtschaft“  ist zugleich  „Stammverwandtschaft“ .  
 Nun  haben  zwar  die  großen  Fortschritte  der  modernen  Systematik  
 bereits  die  Abstammungsverhältnisse  vieler  größerer  und  kleinerer  
 Pflanzengruppen  befriedigend  aufgeklärt;  allein  über  den  verwikkelten  
 phylogenetischen  Zusammenhang  derselben  (besonders  bei  
 den  Angiospermen,  den  höheren  Phanerogamen)  herrschen  noch  
 sehr  verschiedene  Ansichten.  Gerade  hier  ist  mit  Sicherheit  zu  erwarten, 
   daß  die  Ontogenie  der  T rop en p flan zen   (sowohl  die  
 eigentliche  Keimesgeschichte,  die  Embryologie,  als  die  spätere Verwandlungsgeschichte, 
   die  Metamorphosenlehre)  uns  noch  phylogenetische  
 Aufschlüsse  von  höchster  Wichtigkeit  geben  wird.  Diese  
 sind  um  so  kostbarer,  je  weniger  hier  die  Paläontologie  imstande  
 ist,  die  an  sie  zu  stellenden  Anforderungen zu  erfüllen,  je mehr  aus  
 den  bekannten  Gründen  die  „Versteinerungsurkunde“  höchst  unvollständig  
 ist  und  immer  bleiben  wird. 
 Fassen  wir  alle  diese  Verdienste  der  Tropenbotanik  zusammen,  
 so  können  wir  sagen,  daß  dieselbe  neuerdings  für  die  gesamte  allgemeine  
 Pflanzenkunde  einen  ähnlich  hohen,  unentbehrlichen  
 Wert  erlangt  hat,  wie  für  die  allgemeine  Tierkunde  das  Studium  
 der  niederen  Seetiere.  Seitdem  vor  sechzig  Jahren  Johannes  
 Müller  in  Berlin  zuerst  die  außerordentliche  Bedeutung  des  letzteren  
 darlegte,  seitdem  seine  zahlreichen  Schüler  alljährlich  auf  
 Reisen  an  die  Meeresküste  eine  Menge  der  wichtigsten  Entdeckungen  
 machten,  ist  die  marine  Z o o lo g ie   zu  einer  früher  nicht  geahnten  
 Bedeutung  gelangt.  Nur  im  Meere  finden  wir  noch  heute  
 lebend  eine  große Masse  von merkwürdigen  und  interessanten  Tieren, 
   deren  vergleichende  Anatomie  und  Ontogenie  uns  nicht  nur  
 die wichtigsten  Aufschlüsse  über  ihre  Phylogenie  gegeben,  sondern  
 auch  zur  klaren  Lösung  vieler  schwierigen  und  dunklen  Fragen  der  
 allgemeinen  Zoologie  geführt  hat.  Heute  gilt  kein  Naturforscher  
 mehr  als  „wissenschaftlicher Zoologe“ ,  der nicht  längere Zeit selbst  
 an  der  Meeresküste  gearbeitet  und  sich  dadurch  eine  Menge  von 
 unentbehrlichen  Kenntnissen  erworben  hat,  die  auf  keinem  anderen  
 Wege  erlangt  werden  können. 
 'Sehr erleichtert  ist  den  Zoologen  diese  Aufgabe  seit  dreißig Jahren  
 durch  die Errichtung  zo o lo g is ch e r  Sta tionen  an  der Meeresküste. 
   Während  wir  Älteren  bei  unseren  Reisen  an  dieselbe  genötigt  
 waren,  einen  großen  Apparat  von  Hilfsmitteln  mitzuschleppen, 
   Kisten  mit  vielen  Büchern  und  Instrumenten,  mit  Netzen  und  
 Reagentien  usw.,  findet jetzt  der moderne  junge  Zoologe den  größten  
 Teil  dieses  Apparates  fertig  und  bequem  vorbereitet  in  der  
 zoologischen  Station  vor;  erfahrene  Fischer  sind  an  dieser  angestellt  
 und  bringen  täglich  in  Fülle  das  Arbeitsmaterial,  welches  
 wir  Älteren  uns  mühsam  und  kostspielig  mit  eigener  Hand  erwerben  
 mußten.  Auch  in  anderer  Beziehung  ist  der  Nutzen  der  
 permanenten  zoologischen  Stationen  so  allgemein  anerkannt  und  
 ihre  hohe  wissenschaftliche  Bedeutung  so  gewürdigt,  daß  die meisten  
 europäischen  Regierungen  feste  Plätze  an  denselben  gemietet  
 und  Stipendien  gestiftet  haben,  welche  jungen  Naturforschern  die  
 Mittel  zur  Reise  und  zur  Benutzung  der  Plätze  liefern. 
 Mit  den  b otanischen  T ropensta tion en   verhält  es  sich  ganz  
 ähnlich,  und  es  wäre  zu  wünschen,  daß  bald  die  Munifizenz  der  
 Regierungen  und  der  Akademien  durch  Stiftung  regelmäßiger  Stipendien  
 deren  Besuch  ebenso  erleichterte  und  förderte,  wie  es  mit  
 den zoo lo gischen  Marinestationen bereits  geschehen ist.  Schön  
 wäre  es  auch,  wenn  reiche  Privatleute  diese  Bestrebungen  unterstützten, 
  wie es in Holland zugunsten von Buitenzorg bereits wiederholt  
 und  vereinzelt  zu  ähnlichen  wissenschaftlichen  Zwecken  auch  
 bei  uns  der  Fall  gewesen  ist.  Die  Universität  Jena  wurde  so  1886  
 durch  die  großartige  Schenkung  bereichert,  welche  Dr.  P aul  von  
 R itte r   (in  Basel)  als  Stiftung  für  phylogenetische  Zoologie  gründete. 
   Zahlreiche  junge  Naturforscher  haben  seither  aus  deren  Erträgnissen  
 nutzbringende  Reisen  unternommen,  und  dasselbe  gilt  
 von  der  Stiftung,  mit welcher  der  verstorbene  Graf  C ar l  Bose  (in  
 Baden)  Jena  beschenkt  hat.  Möchten  solche  glänzende  Beispiele  
 doch  öfter  Nachahmung  finden!  Wenn  aus  privaten  Mitteln  künftig  
 —  wie  sicher  zu  hoffen  ist!  —   Stipendien  für  die  Entwicklung  
 und  den  Besuch  der  zoologischen Marine-  und  der botanischen Tropenstationen  
 in  größerer  Anzahl  gestiftet  werden,  so  werden  die  
 edelmütigen  Stifter  sich  durch  deren  Verknüpfung  mit  ihren  Namen  
 einen  schöneren,  fruchtbareren  und  dauernderen  Ruhmestitel  
 erwerben,  als  durch  Errichtung  von  Standbildern  oder  durch  
 Häufung von  Titeln  und  Orden. 
 Bis  jetzt  ist  nun  B u iten zo rg   die  erste  und  einzige  „botanische