
 
		suchsgarten  durchwanderte,  befestigte  sich  in  mir  die  schon  aus  
 dem  Studium  seiner  Schriften  gewonnene  Überzeugung,  daß  die  
 moderne  Entwickelungslehre  die  große  organische  Natur  nur  als  
 ein  einziges,  umfassendes  Ganzes,  als  ein  überall  zusammenhängendes  
 „Lebensreich“ begreifen und verstehen kann.  Der B io lo g e ,  
 welcher  sich  ihre  Erforschung  zur  Lebensaufgabe  setzt,  wird  sich  
 zwar  infolge  der  notwendigen  Arbeitsteilung  darauf  beschränken  
 müssen,  nur  einen  einzelnen,  mehr  oder  minder  großen  Teil  des  
 ungeheuren  Gebietes  vollständig  zu  beherrschen;  er  wird  aber,  um  
 nicht  in  ganz  einseitige  und  verkehrte  Anschauungen  zu  verfallen,  
 genötigt  sein,  daneben  immer  noch  einen  beträchtlichen  Anteil  seines  
 Interesses  und  seiner  Arbeitskraft  dem  ganzen  großen Wunderbau  
 des  organischen  Lebens  zuzuwenden;  in  diesem  bleiben  
 Tier-  und  Pflanzenentwicklung  stets  innig  verknüpft. 
 Professor  Melchior  Treub  (sprich:  Tröb),  welcher  seit  dem  
 Jahre  1880  Direktor  des  botanischen  Instituts  von  Buitenzorg  ist  
 und  durch  zielbewußte,  energische  Tätigkeit  dasselbe  zu  seiner  
 jetzigen  bewunderungswürdigen  Höhe  emporgehoben  hat,  zeichnet  
 sich  auch  durch  weiten  Blick  und  philosophische  Auffassung  der  
 Verhältnisse  vor  vielen  angesehenen  Biologen  der  Gegenwart  aus;  
 er  ist  stets  von  der  hohen  Bedeutung  jener  wichtigen  Beziehungen  
 überzeugt gewesen  und hat  es  infolgedessen  durchgesetzt,  daß  jetzt  
 ein  besonderes  zo o lo g isch e s   L ab o ra to rium   neben  den  botanischen  
 Gebäuden  errichtet  wird.  Dieses  stattliche,  jetzt  im  Bau  
 begriffene  Lokal  wird  noch  vor  Ablauf  des  Jahres  1901  den  reisenden  
 Zoologen  Europas  geöffnet werden;  wäre  ich  ein  Jahr  später  
 gekommen, hätte ich es mit einweihen können.  Es wird zunächst  
 drei  Arbeitsplätze  für  zoologische  Untersuchungen  jeder  Art  enthalten, 
   ferner ein Museum,  in welchem  die einheimischen Tiere von  
 Java  gesammelt  sind,  und  zwar  vorzugsweise  jene  Formen,  die  für  
 die  Pflanzenwelt  direkt  und  indirekt  Bedeutung  besitzen.  In  erster  
 Linie wird  es  sich  dabei  natürlich  um  die  fomrenreiche Klasse  der  
 Insekten  handeln,  deren Hunderttausende  von  Arten  zum  größten  
 Teile  in  bestimmten  Beziehungen  zu  gewissen  Pflanzen  stehen.  
 Wenn  schon  in  Europa  die  genaue  Kenntnis  der  nützlichen  und  
 schädlichen  Insekten  für  Land-  und  Forstwirtschaft  von  höchster  
 Bedeutung  ist,  so  muß  das  natürlich  in  sehr  erhöhtem  Maße  hier  
 in  Java  der  Fall  sein,  wo  die  erstaunliche  Zeugungskraft  der  Tropensonne  
 unter  den  üppigsten  klimatischen  Bedingungen  ebenso  in  
 der  Tierwelt  wie  in  der  Pflanzenwelt  die  höchsten  Aufgaben  des  
 organischen  Lebens  zur  Lösung  bringt. 
 Die  Fülle  von  merkwürdigen  Tierformen,  welche  der  große 
 Garten  von  Buitenzorg  (ganz  abgesehen  von  jenen wichtigen bionomischen  
 Beziehungen)  dem  Zo ologen  liefert,  ist  übrigens  schon  
 seit  einer  Reihe  von  Jahren  von  europäischen  Naturforschern,  die  
 mehrere  Monate  hier  arbeiteten,  ausgebeutet  worden.  So  hat  namentlich  
 hier  Professor L u dw ig   von G r a f f   (aus Graz)  das  reiche  
 Material  für  seine  große  Monographie  der  Landplanarien  gesammelt. 
   Von  meinen  eigenen  Schülern  haben  Professor R ich a rd   Se-  
 mon  und  W. K ü k en th a l  hier  gearbeitet.  Professor  Max W eber  
 aus  Amsterdam  hat  hier  im  Jahre  1898  mit  seiner  Gattin  Anna  
 Weber  van  Bosse  die  Vorbereitungen  zu  der  großen  S ib o g a -  
 Expedition  ausgeführt,  welche  die  faunistische  Erforschung  des  
 ganzen  malaiischen  Archipels  während  einer  langen  Fahrt  von  
 12000  Seemeilen  (ein  ganzes  Jahr  hindurch)  erzielte.  Professor  
 Emil  Selenka  (in  München),  welcher  mit  seiner  Gemahlin  zwei  
 große  Reisen  durch  Insulinde  ausführte  und  in  seinen  „Sonnigen  
 Welten“  anziehend  schildert,  hat  ebenfalls  in  Buitenzorg,  wie  in  
 Sumatra  und  Borneo,  wertvolles  Material  für  seine  embryologi-  
 schen  Forschungen  erbeutet.  Außerdem  haben  auch  verschiedene  
 andere  Zoologen  aus  Holland,  Rußland,  Deutschland,  Österreich,  
 England usw.  bereits  den Anfang zu  einer näheren Erforschung der  
 reichen  Fauna  von  Buitenzorg  gemacht. 
 Da  das  neue  zoologische  Laboratorium  noch  nicht  fertig  war,  
 hatte mir  Professor  Treub  ein  besonderes  geräumiges  Arbeitszimmer  
 in  demjenigen  Teile  des  großen  botanischen  Instituts  eingeräumt, 
   welcher  für  das  Studium  der  Pflanzenkrankheiten  (Phytopathologie) 
   bestimmt  ist.  Schon  im  Frühjahr  1900,  als  ich  den  
 Plan zu meiner Javareise gefaßt und Dr. Treub mitgeteilt, hatte derselbe  
 mich  in  freundlichster  Weise  eingeladen,  während  meiner  
 Anwesenheit  in  Buitenzorg  bei  ihm*  im  Garten  zu  wohnen  und  
 längere  Zeit  das  Laboratorium  beliebig  zu  benutzen.  Nach  allem,  
 was  ich  davon  bisher  gehört  und  gelesen  —•  und  besonders  auf  
 Grund der eingehenden Mitteilungen meines Freundes  und Kollegen  
 Dr. Ernst  S tah l,  Professors  der  Botanik  in Jena  — ,  hatte  ich mir  
 viel,  sehr  viel  von  dem  hiesigen  Aufenthalt  versprochen. 
 Nachdem  ich  denselben  ein  paar  Monate  genossen,  mußte  ich  
 bekennen,  daß  meine  hochgespannten  Erwartungen  in  jeder  Beziehung  
 nicht  allein  erreicht,  sondern  übertroffen  waren.  Schon  
 am ersten Morgen nach meiner Ankunft,  als ich am  16. Oktober um  
 sechs Uhr  beim herrlichsten  Sonnenschein mit  Professor Treub  den  
 ersten  Rundgang  durch  den  schönsten  Teil  des  Gartens  machte,  
 überwältigte  mich  der  Eindruck,  daß  —  wenn  irgendwo  auf  der  
 Erde  —   hier  in  Buitenzorg  der  „Garten  des  Paradieses“   in  Wirk