
 
		diesen  Aberglauben,  aber  vergessen  dabei,  daß  unsere  vielgerühmte  
 europäische  Bildung  noch  heute  —   bis  in  die  höchsten  Gesellschaftskreise  
 hinauf!  —   von  vielen  ähnlichen  irrationellen  Vorstellungen  
 durchsetzt  ist. 
 Ein  sehr  merkwürdiger  Aberglaube  ist  auch  bei  den  gebildeten  
 Holländern  auf Sumatra und Java noch  heute weit verbreitet. Wenn  
 man  eine  echte  Perle  zusammen  mit  einem  Häufchen  Reiskörner  
 in  eine  Schachtel  einschließt  und  diese  an  einem  ruhigen  Orte  verborgen  
 hält,  so  sollen  die  Reiskörner  nach  einigen  Jahren  verschwunden  
 und  zahlreiche  Perlen  daraus  entstanden  sein.  So  behaupteten  
 mit  der  Sicherheit  des  „echten  Glaub ens“  mehrere  
 sehr  gebildete Damen  und  Herren, welche  öfter abends bei Delprats  
 einen  Besuch  abstatteten.  Ja  sie  brachten  mir  sogar  verschiedene  
 Schachteln  und  Fläschchen  mit,  die  das  handgreiflich  beweisen  
 sollten.  In  jedem derselben  lag eine  große Perle und mehrere  kleine  
 —   Mutter  und  Töchter!  —   und  daneben  einige  Reiskörner.  Vergeblich  
 mußte  ich  als  zoologischer  Sachverständiger  den  Einwand  
 machen,  daß  die  Perlen  nicht  lebendige  Organismen  seien,  sondern  
 tote Produkte  des Muschelmantels,  daß  sie  weder  einen Massen  zum  
 Fressen  der  Reiskörner,  noch  irgendwelche  Möglichkeit  der  Vermehrung  
 durch Teilung oder Knospung hätten.  Ich mußte behaupten, 
   daß  hier  irgendwelche  absichtliche  Täuschung  vorliege.  Aber  
 meine ungläubige  Skepsis  reizte  nur  den Widerspruch meiner  gläubigen  
 Gegner,  und  sie  hielten  umsomehr  an  ihrem  „guten  G lau ben“ 
   fest,  als  sie  sich  darauf  berufen  konnten,  daß  derselbe  in  In-  
 sulinde  allg emein  v e rb re ite t  und  durch  viele  Beispiele  b ew ie sen  
 sei!  B eob achte t  hatte  freilich  den  Vorgang  dieser  wunderbaren  
 Vermehrung  der  Perlen  (die  doch  ein  recht  einträgliches  
 Geschäft abgeben müßte!)  bisher noch  niemand! Indes der „wahre  
 Glaube“  bedarf  keiner  Erfahrung! 
 Ein anderer Aberglaube,  der ebenfalls auf Java und Sumatra weit  
 verbreitet  ist,  und  der  in  Padang  während  vieler  Abende  Gegenstand  
 unserer  heiteren  Unterhaltung  war,  betraf  das  S te in ew e r fen  
 d urch  Geister.  In  verschiedenen  Häusern  (meistens  von  
 strengen oder mißliebigen Regierungsbeamten!)  flogen  abends,  bisweilen  
 sogar bei Tage,  Steine durch  die Fenster in  die  Zimmer,  ohne  
 daß  werfende  Personen  zu  entdecken  waren.  Auch  zahlreiche Diener  
 und  Soldaten,  die  zur  Entdeckung  der  Steinwerfer  rings  um  
 das  Haus  aufgestellt  waren,  vermochten  dieselben  nicht  zu  beobachten. 
   Also  konnten  nur  „G e is te r “ ,  Dämonen  oder  Spirits,  
 diesen Spuk  bewirken.  In  einigen Fällen  wurde über dieses „W u n der“ 
   sogar  von  Regierungsbeamten  ein  notarieller  Akt  aufgenommen! 
   Bisweilen  begnügten  sich  die  unsichtbaren  Geister  nicht mit  
 dem Werfen  von  Steinen,  sondern  benutzten  dazu  auch  iople, ( i i-   
 ser  und  andere  Hausgeräte,  was  natürlich  noch  viel  wirkungsvoller  
 war-  oder  sie  beschmierten  kleine,  in  der  Wiege  liegende  Kinder  
 mit  Blut  und  dergleichen  mehr.  Zum  Beweise,  daß  das  alles  wahr  
 sei,  und  daß  es  sich  hier  um  übernatürliche  Vorgänge  handle,  
 wurden  mir  mehrere  Zeitungsblätter  gebracht,  in  denen  dieselben  
 schwarz  auf weiß  gedruckt zu lesen waren; —   und  Zeitungen  lugen  
 bekanntlich  niemals! 
 Da  gegenwärtig  wieder  in  mehreren  Ländern  ^ le id e r   auch  in  
 Deutschland  —   der  S p ir itism u s   spukt  und  in  den  Lehren  des  
 O k ku ltismu s  sogar  eine  wissenschaftliche  Maske  sich  vorbindet,  
 werden  ihm  jene  ballistischen  Wunder  von  Insulinde  vermutlich  
 als  neue  „Beweise  für  die  Echtheit  der  Geheimwissenschaft  willkommen  
 sein.  Schade  nur,  daß  auch  hier,  wie  bei  dem  ähnlichen  
 Spuk  von  Resau“  und  anderen  Geistergeschichten,  die  nüchterne  
 kritische  Untersuchung  in  vielen  Fällen  den  überzeugenden  Beweis  
 des  Betruges  führen  konnte.  Die  steinwerfenden  Personen  waren  
 meistens  einige  von  den  Dienern  des  Hauses  selbst,  oder Nachbarn,  
 die mit großer Geschicklichkeit und verblüffender Geschwindigkeit  
 die  Steine  durch  die  Luft  schleuderten.  „Geschwindigkeit  ist keine  
 Hexerei!“  Das  schöne Geschlecht spielte dabei  wie bei den  spiritistischen  
 Aktionen  unserer  „Medien“  —   eine  hervorragende Rolle.  
 Indessen  auch  bei  diesen  „Wundern“  gelang  es  mir  nicht,  meine  
 gläubigen  Gegner  von  den  natürlichen  Vorgängen  bei  denselben  zu  
 überzeugen;  sie  blieben  dabei,  daß  in  vielen  Fällen  die  Erscheinungen  
 nicht  aufgeklärt  und  nur  durch  Annahme  übernatürlicher 
 Kräfte zu begreifen  seien.  . 
 Wenn  solche  abergläubische  Vorstellungen  sogar  noch  heute  bei  
 den  hochgebildeten  Kulturvölkern  von  Europa  nicht  auszurotten  
 sind,  so  darf  man  sich  nicht wundern,  daß  sie  im  Geistesleben  der  
 Naturvölker  von  Insulinde  eine  mächtige  Rolle  spielen.  Überall  in  
 ihrem  sozialen  und  Familienleben,  in  ihrer  Medizin  und  Religion,  
 in  Handel  und Wandel  spuken  „G e is te r “  und  bestimmen  die  Geschicke  
 der  Menschen  auf  wunderbare  Weise.  Oft  wohnen  diese  
 Dämonen  im  Körper  von  wilden  Tieren,  Tigern  und  Panthern,  Affen  
 und  Halbaffen,  Krokodilen  und  Schildkröten.  Bei  den  feierlichen  
 Aufzügen,  die  ich  während  meines  Aufenthalts  in  Java  und  
 Sumatra mehrfach  bei Gelegenheit  hoher  Feste  beobachten  konnte,  
 erscheinen  diese  Tiere,  kolossale  Drachen  und  andere  tierische Fabelwesen, 
   in  den  wunderbarsten  Formen. 
 Das  glanzvollste  Fest, welches  während  der  Zeit  meines  dortigen