
 
		„Kiautschou“  waren  Engländer,  die  aus  dem  östlichen  und  südlichen  
 Asien  nach  Europa  heimkehrten;  und  wie  ich  hörte,  ist  das  
 jetzt  der  gewöhnliche  Fall  bei  den  Dampfern  des  Norddeutschen  
 Lloyd.  Es  ist gewiß kein  geringer Triumph  für unsere angesehenste  
 deutsche  Dampfschiffahrtsgesellschaft,  daß  sie  in  der  scharfen  
 Konkurrenz  auf  dem  wichtigen  Handels-  und  Verkehrswege  nach  
 Ostasien  alle  übrigen  Nationen  überflügelt  und  sogar  die  gefürchtete  
 P.-  and  O.-Linie  völlig  besiegt  hat.  Diese  letztere  —   die  englische  
 „Peninsular-  and  Oriental-Steam-Navigation-Company“  —-  
 war  früher  allmächtig  und  galt noch  im  Jahre  1881,  als  ich  meine  
 Reise  nach  Ceylon  antrat,  für  die  schnellste  von  allen  Linien.  Die  
 meisten  Engländer  zogen  sie  den  anderen  Linien  vor.  Der  Tadel,  
 den  ich  damals  in  meinen  „Indischen  Reisebriefen“  über  die  P.-  
 and  O.-Linie  aussprach,  veranlaßte  eine  öffentliche  Entgegnung  
 eines  Freundes  der  letzteren.  Inzwischen  hat  der  Erfolg  gezeigt,  
 daß  ich Recht hatte.  Die  große Mehrzahl  der englischen  Reisenden  
 zieht  heute  die  Reförderung  auf  unseren  Norddeutschen  Lloydschiffen  
 vor,  die  jenen  an  Geschwindigkeit  und  Sicherheit  nichts  
 nachgeben,  ihnen  aber  in  bezug  auf  freundliche  Redienung  und  
 gute  Reköstigung  weit  überlegen  sind. 
 Die  kleinere  Hälfte  unserer  Passagiere  erster  Klasse  bestand  aus  
 Deutschen  und  Holländern;  diese  hielten  auch  bei  Tisch  gut  zusammen. 
   Dagegen  bestand  zwischen  ihnen  und  den  Engländern  
 größtenteils  eine  scharfe,  auch  räumlich  durchgeführte  Trennung.  
 Die  Ursache  derselben  bildete  nicht  so  sehr  der  ausgeprägte  und  
 gewohnte  englische  Nationalstolz,  als  vielmehr  die  allgemeine  Entrüstung  
 über  den  südafrikanischen  Krieg,  die  sich  nirgends  so  
 eifrig und von  ganzer  Seele  äußerte,  als bei den den  Roeren  stammverwandten  
 Holländern.  Ich  war  erstaunt  über  die  Heftigkeit,  mit  
 der  in  Java  und  Sumatra  täglich  dieäfer Krieg  verurteilt,  jeder  Sieg  
 der  Roeren  und  jede  Niederlage  der  Engländer  von  den  sonst  so  
 ruhigen  Holländern  bejubelt  ward.  Ich  selbst  schreibe  das  nur  
 mit  tiefem  Bedauern;  denn  ich  stehe  seit  mehr  als  vierzig  Jahren  
 in  den  nächsten  Beziehungen  zu  den  wissenschaftlichen  Kreisen  
 Großbritanniens;  ich  bewundere  aufrichtig  eine  Nation,  die  auf  
 so  vielen  Kulturpfaden  den  übrigen  europäischen  Nationen  vorangegangen  
 ist  und  den  Weg,geebnet  hat,  eine  Nation,  der  wir  die  
 wichtigsten  politischen  und  sozialen  Fortschritte  verdanken,  eine  
 Nation,  die  viele  der  größten  Geister  hervorgebracht  hat.  Um  so  
 mehr  bedauere  ich  den  rücksichtslosen  nationalen  Egoismus  der  
 Briten  und  ihr  Streben  nach  einer  Universalherrschaft,  die  keiner  
 anderen Nation  neben  sich Erfolge gönnt  und alles unter ihr  eigenes 
 Szepter  beugen  will  —   und  das  alles  unter  der  hochgetragenen  
 Fahne  einer  christlichen  Kirche,  die  den  A ltru ism u s   predigt  und  
 den  Egoismus  verwirft! 
 Außer  einigen  Landsleuten  hatte  mir  der  freundliche  Zufall  
 auch  noch  mehrere  andere  angenehme  Reisegefährten  auf  der  
 „Kiautschou“  zugeführt;  unter  anderen  zwei  geniale  Künstler:  den  
 berühmten  Maler  Wassili  Wereschtschagin  und  den  jugendlichen  
 Prager  Radierer  und  Holzschnittzeichner  Emil  Orlik.  Der  letztere  
 kehrte von einem einjährigen Aufenthalte in Japan  zurück und zeigte  
 mir  zahlreiche  interessante  Skizzen  und  Studien,  die  er  in  diesem  
 merkwürdigen Lande  der aufgehenden Sonne gezeichnet hatte. We-  
 re sch ts ch a g in   befand  sich  auf  der  Heimreise  von  den  Philippinen, 
  wo er Studien  für neue Kriegsbilder gesammelt hatte. Großes  
 Aufsehen  erregten  bekanntlich  vor  zwanzig  Jahren  die  Bilder  aus  
 dem letzten russisch-türkischen Kriege,  in denen  er durch drastische  
 Schilderung  der  Kriegsgreuel  die  Propaganda  des  Friedens  zu  fördern  
 sucht,  ferner  vor  fünfzehn  Jahren  die  realistischen Bilder  aus  
 der  heiligen  Geschichte,  in  der  er  die  wichtigsten  Lebensmomente  
 Christi  in  dem wahren  ethnographischen  und  geographischen  Charakter  
 von  Palästina  darstellt.  Die  außerordentliche  Vielseitigkeit  
 dieses  fruchtbaren  Malers  mußte  ich  später  auf  Kollektivausstellungen  
 in  Berlin,  München  und  Frankfurt  a.  M.  wiederholt  bewundern. 
   Die  Natur treue  insbesondere,  mit  der  er  zahlreiche  Porträts  
 und  Genrebilder  des  Orients,  großartige  Landschaften  und  
 Architekturen  Indiens  ausgeführt  hatte,  erregten meine  aufrichtige  
 Bewunderung.  Sie  vermehrte  sich  noch,  als  ich  1897  in  Moskau,  
 in  der  reichen  Galerie  Tretjakoff,  eine  Anzahl  anderer  hervorragender  
 Gemälde  von  ihm  kennen  lernte.  Es  war mir  daher  sehr  
 interessant,  auf  unserer  gemeinsamen  Seefahrt  mit  diesem  großen  
 Künstler  persönlich  mehrere’ Wochen  zu  verkehren,  und  in  seinen  
 aufrichtigen  Äußerungen  über  Natur-  und  Menschenleben  mich  an  
 jener Reife  des Urteils  und an  jenem umfassenden Blick des Geistes  
 zu  erfreuen,  welche  die  Frucht  ausgedehnter  Reisen  in  fremden  
 Ländern  und reicher persönlicher Erfahrungen  sind.  Bei Wereschtschagin  
 kommt  dazu  noch,  daß  er  größtenteils  Autodidakt  ist,  und  
 daß  seine  Großmutter  eine  Tatarin  war.  Er  war  mit  neunundfünfzig  
 Jahren  noch  jetzt ein  schöner,  stattlicher Mann, mit langem  
 grauen Barte, höchst lebendigen Augen und sehr angenehmer Unterhaltungsgabe. 
 Die Bekanntschaft mit vielen  gebildeten und  erfahrenen Männern  
 verschiedenster  Art,  welche  man  auf  solchen  weiten  Reisen macht,  
 und  besonders  der  ungezwungene,  allseitig  anregende  Verkehr  an