
 
		96 Irrt  Urwald  von  Tjibodas 
 herrlichen  Pflanzengestalten  selbst  gesehen  hat,  vermag mittelst  der  
 Phantasie  aus  jenen  flüchtigen  Skizzen  die  ursprüngliche  Gestalt  
 zu  rekonstruieren. 
 Als  die  zweckmäßigste Methode  zum Festhalten  eines  charakteri-  
 schen  Bildes  erweist  sich  nach  meiner  Ansicht  beim  Urwald  —   
 ebenso wie bei den meisten anderen  Landschaften —  das Aq u a rell;  
 nur  muß  eine  sorgfältige  Zeichnung  der  wichtigsten  Gestalten  des  
 Bildes  und  eine  kritische  Auswahl  der  vorzugsweise  typischen  Formen  
 vorausgehen.  Doch  sind  auch  hier  die  Schwierigkeiten  nicht  
 gering;  besonders  wenn  —   wie  gewöhnlich  —   die  disponible  Zeit  
 beschränkt  und  von  der  Gunst  des  rasch  wechselnden Wetters  abhängig  
 ist.  Ich  habe  selbst  eine  große  Anzahl  solcher  farbiger  
 Aquarellskizzen  angefertigt,  welche wenigstens mir  persönlich  vollkommen  
 das  subjektive  Bild  lebendig  erhalten,  das  ich  beim  unmittelbaren  
 Schauen  dieser  zaubervollen  Natur  und  bei  der  Vertiefung  
 in  dieselbe während  des Malens  in mich  aufnahm. 
 Um  ein  größeres,  völlig  ausgeführtes  Bild  des  Urwaldes  in  Farben  
 zu  erhalten,  ist  allerdings  das  Ölmalen  dem  Aquarell  noch  
 vorzuziehen,  und  ich  habe  sehr  bedauert,  daß  ich  auf  dieser malaiischen  
 Reise  meinen  Apparat  dazu  nicht  mitgenommen  hatte,  entmutigt  
 durch  die geringen Erfolge,  die  ich  damit vor neunzehn Jahren  
 in  Ceylon  erzielte.  Freilich  gehört  viel  Zeit  und Ruhe  dazu,  um  
 ein  gutes Ölbild fertig  zu bringen,  viel mehr,  als dem  Tropenreisenden  
 gewöhnlich  zu  Gebote  steht.  Die  Technik  der Ölmalerei besitzt  
 bekanntlich  vor  derjenigen  des  Aquarells  den  großen  Vorzug,  daß  
 man  nach  Entwurf  des  Bildes  jeden  einzelnen  Teil  desselben  sorgfältig  
 ausmalen,  dann  aber  beliebig  abändern  und  übermalen  kann.  
 Helle  Lichter  müssen  in  Aquarell  sorgfältig  ausgespart werden;  sie  
 lassen  sich  gewöhnlich  nur  unbefriedigend  mit  hellen  Deckfarben  
 auf setzen  oder mit  dem  Messer  auskratzen.  Dagegen  kann  man  sie  
 mit  heller  Ölfarbe  leicht  und  wirkungsvoll  über  die  dunkelsten  
 Schattenpartien  legen.  Das  ist  bei  den  vielen  hellen  Glanzlichtern  
 im  dunkeln  Urwald,  für  die  Wiedergabe  der  hellen  Äste,  Lianen  
 usw.  besonders  wertvoll.  Überhaupt  kann  man  das  Ölbild,  wenn  
 schon  längst  abgeschlossen,  immer  wieder  übermalen,  neue  Farben  
 und  Formen  auf setzen  usw.  Ein  guter  Landschaftsmaler —   besonders  
 wenn  er  botanische  Kenntnisse  besitzt  —   wird  imstande  sein,  
 in einem größeren Ölbilde dem Beschauer  die phantastische Zauberwelt  
 des  Urwaldes  wirklich  annähernd  vor  Augen  zu  stellen.  Da  
 das  Interesse  an  dem  letzteren,  wie  an  den  Wundern  der  Tropennatur  
 überhaupt,  in  jüngster  Zeit  beständig  gewachsen  und  durch  
 die  Ausdehnung  unseres  Kolonialbesitzes  und  die  Zunahme  der 
 Vulkan  Gedeh,  Urwald  von  Tjiboda 
 (Java)