
 
		Im  Urwa l d   von  T j i b o d a s 
 Am  Schlüsse  des  Jahres  1900  hatte  ich  meine biologischen  Studien  
 im  Laboratorium  von  Buitenzorg  beendigt.  Zu  Weihnachten, 
   das  in  Indien  nicht  besonders  gefeiert  wird,  packte  ich  
 meine  hier  gemachten  Sammlungen  ein.  Da  waren  die  zahlreichen  
 kleinen  Gläser,  die  vorzugsweise  Gliedertiere  (Insekten  und  deren  
 Larven,  Skorpione,  Spinnen,  Tausendfüße  und  Krustazeen)  enthielten; 
   die  Glasröhren  mit  wertvollen  Embryonen  und  Wirbeltieren  
 (Fischen,  Amphibien,  Reptilien,  Säugetieren);  die  ßlech-  
 kästen  mit  den  größeren  Wirbeltieren,  Fischen,  Riesenfröschen  
 (doppelt  so  groß  als  unsere  gewöhnlichen  deutschen  Frösche),  
 meterlangen  Rieseneidechsen  (Monitoren:) r  mächtigen  Schnappschildkröten, 
   javanischen  Schuppentieren  usw.  Als  alle  diese Hunderte  
 von  Objekten  nebst  den  vielen  zu  ihrer  Präparation  nötigen  
 Instrumenten  und  Gläsern  endlich  in  sechs  großen  Kisten  untergebracht  
 waren,  genoß  ich  jenes  wohltuende  Gefühl,  welches  jeder  
 reisende  Naturforscher  am  glücklichen  Abschlüsse  einer  solchen  
 mühseligen  Kampagne  empfindet.  Ich  genoß  es  doppelt,  weil  ich  
 mir sagte,  daß von den  zahlreichen  Seereisen,  die ich im Laufe  eines  
 halben  Jahrhunderts  zum  Zwecke  biologischer  Forschungen  angestellt  
 hatte,  diese  malaiische  nicht  nur  die  weiteste,  sondern  auch  
 die  letzte  bleiben wird. 
 Der  Monat,  den  ich  nun  für  meinen  Aufenthalt  auf  Java  noch  
 übrig  hatte,  sollte  einer  Landreise  durch  den  schönsten  und  interessantesten  
 Teil  dieser  herrlichen  „Smaragdinsel“ ,  durch  das Hochland  
 der  Preanger  Provinz,  und  besonders  einer  gründlichen  Bekanntschaft  
 mit  dem Urwalde  von  Tjibodas  gewidmet werden.  Ich  
 wollte nicht  von  dieser  Perle  der  niederländischen  Kolonien  in Ostindien  
 scheiden,  ohne  wenigstens  ihre  berühmtesten  Punkte  gesehen  
 zu  haben.  Bisher  war  ich  aus  dem  schönen  Buitenzorg  und  
 seiner  nächsten  Umgebung  kaum  herausgekommen.  Selbst  die  
 Hauptstadt  B atavia  hatte  ich  erst  kennen  gelernt,  nachdem  mir  
 von  der  dortigen  „Naturkundigen  Vereinigung“  als  ihrem  Ehrenmitglied  
 die  Aufforderung  geworden,  daselbst  einen  populär-wissenschaftlichen  
 Vortrag  zu  halten.  Dies  geschah  am  17. Dezember  
 1900;  ich  versuchte,  „die Geschichte  und  das Leben  der Protisten  , 
 der  niedersten  einzelligen  Lebewesen,  einem  größeren  Zuhörerkreise  
 zu  erklären  und  die  großartigen  Fortschritte,  die  auf  diesem  
 Gebiete  während  des  letzten  halben  Jahrhunderts  gemacht  worden  
 sind,  zusammenzufassen.  Um  den  Vortrag  anschaulicher  zu  gestalten, 
   hatte  ich  dabei  eine  größere  Anzahl  von  Abbildungen  ausgestellt; 
   auch  jene  Tafeln  aus  meinen  „Kunstformen  der  Natur  ,  
 auf  denen  sowohl  von  Urpflanzen  (Protophyten)  als  von  Urtieren  
 (Protozoen)  die  zierlichsten  und  merkwürdigsten  Gestalten  zusammengestellt  
 sind.  J 
 Der  Präsident  der  „Koninklijke  Natuurkundige  Vereenigmg  ,  
 Major  Johann  Müller  —   Chef  des  topographischen  Bureau  von  
 Niederländisch-Indien  —   gewährte  mir  zugleich  die  liebenswürdigste  
 Gastfreundschaft  in  seinem  Hause  und  machte  mich  in  der  
 kurzen  Zeit  von  drei  Tagen  mit  den  interessantesten  Teilen  von  
 Batavia  bekannt.  Unter  der  trefflichen  Führung  dieses  wissenschaftlich  
 hochgebildeten  Genieoffiziers  besuchte  ich  das  reiche  
 Museum  von  Batavia,  das  eine  Fülle  der  interessantesten  ethnographischen  
 Objekte  enthält:  Kleider  und Waffen  der  verschiedensten  
 Völker des malaiischen Archipels,  schöne Modelle  ihrer Wohnungen  
 und  Schiffe,  seltsame  Fetische  und  andere  Idole  des  Aberglaubens,  
 grauenhafte  Marterinstrumente,  historische  und  archäologische  
 Merkwürdigkeiten  aller  Art;  auch  eine  wertvolle  Bibliothek,  die  
 viele  indische  Raritäten  enthält.  _ 
 An  einem  anderen  Vormittage  besuchte  ich  das  ausgezeichnete  
 In s titu t  Pasteur.  Hier werden  nicht  nur  die  in  Insulin de  besonders  
 häufig  von  tollen  Hunden  gebissenen  Personen  nach  Pasteurs  
 Methode  geimpft  und  geheilt:  von  hier  wird  auch  in  großem Maßstabe  
 die  Kuhpockenlymphe  zur  Impfung  der  Kinder  nach  allen  
 Teilen  des  malaiischen  Archipels  und  darüber  hinaus  nach  Neu-;.  
 Guinea,  dem  Bismarck-Archipel,  den  Karolinen  usw.  versandt.  Bewunderungswürdig  
 ist  die  Sorgfalt  und  Sauberkeit,  mit  welcher  
 hier  alle  Einrichtungen  für  Vakzination  getroffen  und  alle  septischen  
 Einflüsse,  dem Tropenklima  zum Trotze,  ausgeschlossen  sind.  
 Geräumige Kühlkammern,  deren  doppelte hohle Wände  täglich mit  
 Eis  gefüllt  werden,  enthalten  zahlreiche,  mit  Lymphe  gefüllte  Flaschen  
 auf  niederer  Temperatur.  In  sauberen  Ställen  sind  die  Kühe  
 untergebracht,  welche  die  Lymphe  liefern.  Andere  Ställe  enthalten  
 die  Kaninchen,  Hunde  und  Affen,  an  denen  die  unentbehrlichen  
 Versuche  angestellt  werden. 
 Die  segensreiche  Wirksamkeit,  welche  dieses  musterhaft  eingerichtete  
 und  geleitete  „Institut  Pasteur“  nicht  nur  in  dem  ganzen  
 Gebiete  von  Insulinde,  sondern  weit  über  dessen  Grenzen  hinaus