
gliedert; die fünf oberen, in zwanzig Ecken geteilt, bilden Galerien,
indem die innere Wand jeder Terrasse nach oben frei vorspringt
und die äußere Balustrade der nächsthöheren Terrasse darstellt.
Zwischen diesen beiden Steinmauern eingeschlossen, wandert man
in fünf verschiedenen Höhen um den ganzen Bau herum und bewundert
die Tausende von kunstreich gearbeiteten Steinfiguren,
welche die Wände bedecken. Diese Skulpturen stellen die ganze
B u d dh a-M y th o lo g ie in Hunderten von Gruppenbildern dar —
das Leben und die Geschichte des indischen Gottes und seine Beziehungen
zu den Fürsten, welche den Buddhismus schützten und
förderten; ferner Affen, Büffel, Schlangen und andere Tiere, welche
im Buddha-Mythus eine Rolle spielen usw. Überall sind Nischen
angebracht, in denen die Statue des Gottes sich wiederholt. Die
drei oberen Terrassen sind, und zwar in abnehmender Zahl, mit 32, 2 4 und 16 glockenförmigen Kuppeln (Dagoba) geziert, von
denen jede im Innern eine Kolossalstatue des Gottes enthält und
darüber einen kegelförmigen Aufsatz trägt. Den Abschluß des
Ganzen bildet die große Kuppel, die sich in der Mitte der obersten
Terrasse erhebt und eine vier Meter hohe Riesenstatue von Buddha
umschließt. An den vier Seiten der Pyramide findet sich unten ein
Bogentor, durch welches man auf einer Treppe zu den Galerien
aufsteigt.
Von den kolossalen Dimensionen dieses Riesentempels und der
erstaunlichen Menge seiner Bildwerke gibt es eine Vorstellung,
wenn wir hinzufügen, daß allein in der untersten Galerie sich
4o8 Basreliefs finden, fast in jedem eine Gruppe von sieben Personen,
eine sitzende Mittelfigur und auf jeder Seite derselben drei
Figuren mit Lotosblumen und Moskitofächer. Die Innenseiten der
folgenden Galerien enthalten 470 Basreliefs mit mehreren Tausend
Figuren. Alles in allem sind i 5o4 Basrelief tafeln gefunden, von
denen 988 mehr oder weniger gut erhalten. Die Zahl der noch vorhandenen
Buddhabilder beläuft sich auf 441. Sie stellen den Gott
meistens sitzend mit untergeschlagenen Beinen dar, aber mit fünffach
verschiedener Haltung der Hände. An der Südseite erscheint
Buddha als Lehrer, an der Westseite als Denker, an der Nordseite
als Verheißer, an der Ostseite als Opferempfänger; in den drei
oberen Galerien teils als Prediger, teils als Erkenner. Die ruhige
Haltung, die göttliche Hoheit, der sanfte, wohlwollende Gesichtsausdruck
predigen die Seligkeit des Nirwana.
Die künstlerische Ausführung dieser vielen Tausende von Steinfiguren
verdient um so mehr Bewunderung, als das spröde Material,
ein harter, vulkanischer grauer Trachyt, der Bearbeitung große
Schwierigkeiten entgegensetzte. Nicht minder bewunderungswürdig
ist auch die Bautechnik; die Hunderttausende von sorgfältig behauenen
Bausteinen sind weder durch Mörtel noch durch eiserne
Klammern verbunden; sie sind so kunstreich ineinander gefügt, daß
sie sich gegenseitig tragen und stützen. Der gewaltige Riesenbau
könnte noch Jahrhunderte unverändert fortbestehen, wenn nicht
die ungeheure Last sich allmählich selbst in den unterliegenden
Hügel einsenkte und wiederholt Erdbeben an seiner Zerstörung arbeiteten.
Leider wirkt auch die Zerstörungswut der Menschen, wie
gewöhnlich, dabei mit; den meisten Buddhastatuen ist der Kopf
abgeschlagen, vielen auch Arme und Hände; im nahen Wärterhause
sah ich eine ganze Grabkammer voll abgehauener Buddhaköpfe.
Auf die lehrreiche und sehr interessante Mythologie des Buddha,
welche in dieser großartigen Sammlung von Steinbildwerken dargestellt
ist, und die meinem Verständnis durch die eingehende Erklärung
des Sachverständigen Dr. Groneman nähergerückt wurde,
kann ich hier nicht eingehen, ebensowenig auf die vielen merkwürdigen
Einzelheiten, welche die reiche Bildergalerie enthält, und auf
ihre mannigfach verschiedene Deutung. Wer sich darüber näher
unterrichten will, findet Belehrung in den Schriften des Dr. Groneman
; desgleichen vortreffliche photographische Abbildungen in den
großen Werken von Yzerman, Lehmann u. a.
Der allgemeine Eindruck, welchen das gigantische Bauwerk von
Boro-Budur mir hinterließ, ist derselbe, den meine beiden Freunde
und Schüler, Richard Semon und Willy Kükenthal, in ihren mehrfach
erwähnten Reisebeschreibungen niedergelegt haben. Wie Semon
richtig bemerkt, ist es offenbar der charakteristische T e r rassenbau
der Sawahs, der javanischen Reisfelder, welche schon
vor Jahrtausenden die Insel bedeckten und den Künstler beim Entwurf
des Tempelplanes zur Verherrlichung in Steingebilden anregten.
Ich stimme aber auch Semon bei, wenn er hinzufügt, daß
die künstlerische Gesamtwirkung des Ganzen dem ungeheuren Aufwand
an Mitteln und Arbeit nicht entfernt entspricht. Die Terrassengliederung
ist nicht genügend, um Leben in die schwerfällige
Masse des gewaltigen Steinhaufens zu bringen, und die zahllosen,
an sich schönen Einzelheiten, die Tausende von kleinen Kuppeln,
Spitzen, Figuren verschwinden in der ungefügen Masse der flachen
Pyramide.
Von den genialen Schöpfern dieser und vieler anderen Tempel
in Java, von den zahllosen Künstlern, welche ihre sorgfältige Ausschmückung
in jahrelanger Arbeit bewirkten, wissen wir so gut wie
nichts. Nur das steht fest und ist auf den ersten Blick klar, daß