
 
		beblättert zu beträchtlicher Höhe  an anderen  Baumstämmen emporsteigen  
 und  erst  hoch  oben  ihre  Blätter  und  Blüten  entfalten  —  
 meistens  in  so  schwindelnder  Höhe,  daß  der  untenstehende  Beobachter  
 in  dem  grünen  Blätterdach  die  durchflochtenen  Zweige,  
 Blätter  und  Blüten  des  Lianenbaumes  und  des  Stützbaumes,  an  den  
 er  sich  anlehnt,  gar  nicht  unterscheiden  kann.  Der  Durchmesser  
 dieser  nackten,  aber  oft mit  Moosen,  Farnen  und  anderen  Epiphy-  
 ten  dicht  bedeckten  Lianenbäume  steigt  von  wenigen  Millimetern  
 bis zu  20— 3o  Zentimetern  und  darüber,  während  ihre Länge mehr  
 als  io o   Meter  erreichen  kann.  Ein  typisches  Riesenexemplar  einer  
 solchen  kolossalen  Baumliane  steht  unten  in  Buitenzorg  gleich  
 rechts  hinter  dem  Haupteingang  des  botanischen  Gartens,  die  berühmte  
 Entada  scandenseine Leguminose.  Aber  auch  oben  im  Ur-  
 walde  von  Tjibodas  begegnen  wir  überall,  zwischen  Tausenden  von  
 dünneren  Lianentauen,  stärkeren  Stämmen,  die  io— iö   Zentimeter  
 oder  mehr  dick  sind,  sich  dennoch  in  kühnen  Bogen  von  einem  
 Stützbaum  zum  anderen  schwingen  und  deren  Äste  spiralig  umwickeln, 
   als  ob  sie  dünne  Reben  wären.  Zwischen  den  aufstrebenden  
 Stämmen  der  Baumlianen  erblicken  wir  allenthalben  andere,  
 die von  den Zweigen  der Stützbäume wie Luftwurzeln herabhängen.  
 Viele Lianenstämme gleichen  Schiffstauen,  indem sie,  schnurgerade  
 ausgespannt,  in  schräger Richtung  zu  dem  senkrechten  Säulenmast  
 des  Stütsbaumes  emporstreben.  Andere  schwingen  sich  in  anmutigen  
 Bogen  von einem Mast zum  anderen.  Sind diese Girlanden  dann  
 mit  Vogelnestfarnen  und  anderen  Epiphyten  oder  gar  mit  blühenden  
 Orchideen  geschmückt,  so  ergeben  sich  reizende  Dekorationen  
 für den Vordergrund eines Urwaldbildes.  Einmal  sah ich eine ganze  
 Affenherde,  gleich  einer  wohldressierten  Akrobatengesellschaft,  in  
 langem  Gänsemarsch  über  einen  solchen  hochgespannten  Lianen.-  
 bogen  voltigieren,  —   ein  höchst  amüsantes  Bild.  Stürzen  nun  später  
 die  tragenden  Stützbäume  zusammen oder brechen  ihre Äste  ab,  
 so können  sie, zugleich mit den  Lianenkabeln,  die ganze Gesellschaft  
 von  Epiphyten  auf  den  Boden  hinabnehmen,  und  das  gibt  wieder  
 Veranlassung  zu  neuen  Kombinationen  von  Formen  in  dem wirren,  
 phantastischen Gestaltenchaos  des Urwaldes.  Unten  am Waldboden  
 liegen  dann  oft  die  Lianenstricke,  in  vielen  Schleifen  und Windungen  
 locker  zusammengerollt,  über-  und  durcheinander,  gleich  den  
 Windungen  eines  aufgezogenen  Ankertaues. 
 Die  auffallende  Ähnlichkeit,  welche  die  ausgespannten  und  gewundenen  
 Baumlianen mit  Schiffstauen  und  Kabeln  besitzen,  wird  
 dadurch  noch  erhöht,  daß  sie,  gleich  diesen,  aus  vielen  einzelnen,  
 um  die Achse  gedrehten  Strängen zusammengesetzt  erscheinen. Tatsächlich  
 ist  auch  die  innere  Struktur  oft  dieselbe.  Wie  bei  einem  
 dicken Ankertau  sind viele Faserbündel derart um die Achse spiralig  
 gewunden,  daß  gleichzeitig  ein  hoher  Grad  von  Festigkeit  und  von  
 Biegsamkeit  erreicht  wird.  Diese  Elastizität  und  Dehnbarkeit  ist  
 deshalb  sehr  wichtig,  weil  die  Festigkeit  der  Lianen  bei  den  Bewegungen  
 der  Stützbäume  (besonders  beim  Sturme)  stark  in  Anspruch  
 genommen  wird.  Viele  Lianen  enthalten  auch  weite,  mit  
 Wasser  gefüllte  Röhren,  so  namentlich  die  großen  Stämme  des  
 kletternden  „wilden  Weines“  (Vitis,  Cissus):  Dieses  Lianenwasser  
 ist  gewöhnlich  ganz  rein,  bakterienfrei  und  trinkbar.  Es  liefert  
 mitten  im  Urwalde,  wo  man  kein  genießbares  Wasser  findet,  ein  
 vortreffliches,  erquickendes  Getränk,  wie  ich  mich  selbst  öfters  
 überzeugte.  Wenn  man  einen  solchen  starken  Lianenbaum  einfach  
 mit  dem  javanischen  Hackmesser  durchschneidet,  so  fließt  in  
 der  Regel  wenig  Saft  aus  den  Schnittenden.  Wenn  man  aber  
 1-—2  Meter  oberhalb  nochmals  durchschneidet  und  dann  das  ausgeschnittene  
 Stammstück senkrecht hält, so fließt eine überraschende  
 Menge Wasser  aus  seinen  Holzröhren.  Aus  einem  Stück  von  ungefähr  
 2  Meter  Länge  und  6— 8  Zentimeter  Dicke  erhielt  ich  etwa  
 ein  Liter  erfrischenden,  reinen  Trinkwassers. 
 Das Wasser  in  den  zahlreichen  kleinen  Bächen,  die  den  Urwald  
 von  Tjibodas  durchrauschen,  ist meistens  stark  verunreinigt  durch  
 die  Erde  und  die  Pflanzenteilchen,  welche  beständig  von  den  abfallenden  
 Ästen  und  Blättern  in  dasselbe  hineingelangen.  Größere  
 A n s am m lu n g e n  .von  stehendem  Wasser  sind  bei  der  starken  Neigung  
 der  abfallenden  Gedeh-Abhänge  selten.  Trotzdem  ist  der Urwald, 
  da fast täglich nachmittags  (und oft auch in der Nacht) mächtige  
 Regengüsse  niederstürzen,  überaus  wasserreich.  Sobald  abends  
 die  Lufttemperatur  sinkt  und  der  Wasserdunst  sich  verdichtet,  
 dampft  der  ganze  Waldboden;  seine  dicke Humusdecke,  auf  welcher  
 die  abfallenden  Blättermassen  und  die  wuchernden  Moospolster  
 sich  schichtenweise  übereinander  ablagern,  saugt  die Wassermassen  
 wie  ein  Schwamm  auf.  Frühmorgens  tropft  der  ganze Urwald  
 von  blinkendem Tau,  und  wenn  man  durch  das  dichte Unterholz  
 geht,  ist man  in  wenigen  Sekunden  völlig durchnäßt.  Dagegen  
 erscheinen  die  Oberflächen  der  meistens  lederartigen  Blätter  tagsüber  
 trocken;  das  auffallende  Regenwasser  fließt  übfer  ihre  schief  
 geneigte,  glatte  Fläche  leicht  ab.  Bei  sehr  vielen  Laubblättern  hat  
 sich  zur  Beförderung  des  Abflusses  eine  besondere  Einrichtung  
 entwickelt,  die  wir  auch  bei  Pappeln  und  einigen  anderen  bei  uns  
 einheimischen  Pflanzen  finden:  die  Blattspitze  läuft  in  eine  fadenförmige  
 Verlängerung  aus.  Mein  lieber Kollege  und Freund Ernst