
 
		gegnen  wir  komplizierten  Gesellschaften  von  Epiphyten.  Niedere  
 Algen  wohnen  auf  Moosen  und  Farnen,  diese  auf  kleinen  Blütenpflanzen, 
   die  ihrerseits sich  auf größeren  ansiedeln.  Man beschreibt  
 oft  diese  Ansiedler  als  „Schmarotzer“ ;  allein  echte  „Parasiten“  
 sind  nur  diejenigen,  welche  von  ihren  Wohnpflanzen  nicht  nur  
 Wohnung,  sondern  auch  Nahrung-beziehen. 
 Den Reichtum  des  Urwaldes  an  Epiphyten  sieht man  am  besten,  
 wenn  ein  alter  Baum  zusammengebrochen  oder  vom  Sturm  umgerissen  
 ist.  Um  die Hunderte  von  verschiedenen  Pflanzenarten,  die  
 sich in  vielen  tausend Exemplaren  auf  demselben angesiedelt haben,  
 voneinander  zu  sondern  und  zu  ordnen,  würde  man mehrere  Tage,  
 um  sie  zu  studieren  und  zu  bestimmen, mehrere W ochen brauchen.  
 Das gilt  zunächst nur  von  den  größeren, mit bloßem  Auge  leicht  zu  
 unterscheidenden  Formen.  Wenn  man  aber  erst  mit  Lupe  und  
 Mikroskop  auch  alle  die  kleinen  und  kleinsten  Formen  bestimmen  
 wollte,  die  einzelligen  Urpflänzchen  (Protophyten),  die  winzigen  
 Algen,  Pilze,  Flechten  und  Moose,  die  in  den  unzähligen  Lücken  
 der Rinde  und  des Holzes,  zwischen  den Blättern  und Wurzelfasern  
 versteckt  sind,  so  würde  eine  noch  viel  längere  Zeit  dazu  erforderlich  
 sein.  Ein  einziger  solcher  Urwaldbaum  beherbergt  eine  ganze  
 Flora;  und  dieser  Flora  entspricht  eine  ebenso  reiche  epiphytische  
 Fauna,  zusammengesetzt  aus mehreren  hundert  Arten  von  Insekten,  
 Spinnen,  Tausendfüßen,  Schnecken, Würmern  usw. 
 Die mächtige Entwicklung der Epiphyten im  tropischen Urwalde,  
 mit der  die  schwache Ausbildung  derselben  in  unseren europäischen  
 Wäldern  gar  nicht  zu  vergleichen  ist,  hängt  zusammen  mit  ihren  
 ganz verschiedenen Durchleuchtungs-Verhältnissen und mit dem  
 dadurch  bedingten  Streben  nach  möglichster  Ausnutzung  des  Raumes. 
   In  unseren  schönen  deutschen  Buchenwäldern  ist  der  Boden  
 oft  ausschließlich  mit  dem  abgefallenen  roten  Laube  bedeckt.  Die  
 wenigen  kleinen  Pflänzchen,  die  sich  daraus  erheben,  suchen  vergeblich  
 einen  der  schwachen  Lichtstrahlen  zu  erhaschen,  welche  
 oben  durch  das  dicht  geschlossene  grüne  Blätterdach  brechen.  Der  
 weite  Schattenraum  zwischen  den  aufstrebenden  hellen  Säulenstämmen  
 bleibt  leer.  In  dem  mystischen  Halbdunkel  dieser  „heiligen  
 Hallen  empfinden  wir  die  ganze  Herrlichkeit  unseres  deutschen  
 Hochwaldes.  Und  dasselbe  gilt  von  den  dichten  Beständen  unserer  
 schönsten Tannenwälder,  wo noch  tieferes Dunkel  herrscht  und  der  
 ganze Waldboden  mit  hoch  auf geschichteten  Tannennadeln  gepolstert  
 ist;  hier  finden  wir  kein  Unterholz,  nur  hier  und  da-  ein  bescheidenes  
 kleines  Pflänzchen,  das  sich mit  diesem  einsamen Schattenstand  
 begnügt. 
 Ganz  anders  im  tropischen  Urwald,  wo  das  „Unterholz“  ein  
 hohes,  undurchdringliches  Dickicht  bildet  und  mehr  als  tausend  
 verschiedene Pflanzenarten über- und durcheinander wachsen,  jeden  
 Kubikmeter  Raum  ausnutzend.  Unten  am  Boden  wie  über  demselben, 
   zwischen  den  Sträuchern  und  Stämmen  und  hoch  oben  in  den  
 Kronen  der  Bäume,  finden  wir  die  denkbar  größte  Raumausnutzung. 
   Der  ausgezeichnete  Monograph  der  javanischen  Natur,  der  
 deutsche  Arzt  Junghuhn,  hat  diese  Erscheinung  in  dem  Satze  
 ausgedrückt,  daß  der  Urwald  einen  „Abscheu  vor  dem  leeren  
 Raum“  habe,  einen  horror  vacui.  Als  die  Ursachen  derselben  erkennen  
 wir  einesteils  die  dürftigere  Belaubung  der  Baumkronen  
 und  anderenteils  die  stärkere  Durchleuchtung  des  ganzen Waldes.  
 Die  Strahlen  der  senkrecht  durchfallenden  Tropensonne  bedingen  
 nicht  allein  an  sich  eine  viel  größere  Lichtfülle,  sondern  sie  dringen, 
   wegen  der  spärlicheren  Blattentwicklung  in  den  Baumkronen,  
 leichter  nach  unten  in  die  Tiefe  und  liefern  Licht  genug,  um  auch  
 unten  am  Boden  die  üppigste  Vegetation  zu  ermöglichen.  Wir  finden  
 daher  auch  in  den  meisten  tropischen  Urwäldern  nicht  jenes  
 „tiefe Dunkel“ ,  welches  in  poetischen  Schilderungen  derselben  eine  
 Rolle  spielt,  sondern  vielmehr  ein  eigentümliches  gebrochenes  
 „Helldunkel“ ,  zusammengesetzt  aus  Tausenden  von  kleinen  Lichtstrahlen, 
   die  zwischen  den  Bäumen,  Ästen  und  Blättern  hindurch  
 ihren Weg  bis  zum  Boden  finden.  Von  der  glatten Oberfläche  der  
 glänzenden Blätter werden  dieselben  stark reflektiert. 
 In  auffallendem  Gegensätze  zu  der  schwächeren  Laubentwicklung  
 steht  die viel  stärkere H o lzb ild u n g   des Urwaldes.  Zahlreiche  
 Pflanzengattungen,  die  in  unserer  gemäßigten  Zone  nur  durch  
 krautartige  Pflanzen  vertreten  sind,  erscheinen  hier  als  Sträucher  
 oder  Bäume mit  holzigem  Stamme.  Am  auffallendsten  ist  dies  bei  
 den  Lianen,  die  auf  die  besondere  Physiognomie  des  Urwaldes  
 einen  so  bestimmenden  Einfluß  üben.  Wir  fassen  hier  unter  dem  
 Begriffe  „Lianen“  alle  kletternden  und  klimmenden,  rankenden  
 und  schlingenden,  würgenden  und  windenden  Pflanzen  zusammen.  
 In  unserem  Mitteleuropa  ist  deren  Zahl  und  Massenentwicklung  
 überhaupt  sehr  beschränkt,  und  nur  wenige  Gattungen  haben  verholzte  
 Stengel,  wie  der  Efeu,  die Waldrebe,  das  Geißblatt.  In  den  
 Tropen  dagegen  treffen  wir  mehr  als  zweitausend  verschiedene  
 Lianenarten  an,  und  die  große  Mehrzahl  derselben  hat  verholzte  
 Stämme. 
 Die „Lianenb äume“  spielen in der landschaftlichen Physiognomie  
 des  tropischen  Urwaldes  namentlich  deshalb  eine  so  hervorragende  
 Rolle,  weil  ihre  holzigen  Stämme  meistens  nackt  und  un