
 
		durch  unsere  moderne  Abstammungslehre  und  die  eng  damit  verknüpfte  
 Migrationstheorie,  die  Lehre  von  der Wanderung  und Verbreitung  
 der  Tier-  und  Pflanzenarten.  Das  hatte  zuerst  Charles  
 Darwin  klar  erkannt;  in  seinem  epochemachenden  Hauptwerk  
 „Über  die  Entstehung  der  Arten  durch  natürliche  Zuchtwahl“  
 (1859)  sind  zwei  von  den  vierzehn  Kapiteln  der  geographischen  
 Verbreitung  gewidmet.  In  der  umfassenden  geistreichen  Weise,  
 mit  der  der  große  englische Naturforscher  Tausende  von  Tatsachen  
 einheitlich  zusammenzufassen  und  durch  eine  einfache  gemeinsame  
 Ursache  zu  erklären  verstand,  hat  er  hier  die  verwickelten  Erscheinungen  
 der  Chorologie  oder  „biologischen  Geographie  und  Topographie“ 
   erläutert.  Alle  diese  Tatsachen  erklären  sich  sehr  einfach  
 durch  die Annahme gemeinsamer Abstammung  der Arten,  ihre Ausbreitung  
 durch  Wanderung  und  Entstehung  neuer  Formen  durch  
 Anpassung an  die neuen  Existenzbedingungen  in  den  neubesiedelten  
 Gebieten.  Dabei  sind  besonders  wichtig  die  natürlichen  Schranken,  
 welche  sich  den Wanderungen  aus einem  Gebiete  in  das  andere  entgegenstellen, 
   und  die  Isolierung  oder  Separation  in  abgeschlossenen  
 Gebieten.  Diese Verhältnisse  hat  später  besonders Moritz Wagner  
 erörtert  und  darauf  eine  besondere  „M ig r a t io n s th e o r ie “  
 gegründet.  Daß  diese  letztere  nicht  im  Gegensatz  zum  eigentlichen  
 „D a rw in ism u s “ ,  d. h.  zur „Selektionstheorie“ ,  steht,  sondern  vielmehr  
 in  deren  Rahmen  als  wesentlicher  Bestandteil  einzuschließen  
 ist,  habe  ich  im  vierzehnten  Kapitel  meiner  „Natürlichen  Schöpfungsgeschichte“ 
   zu  zeigen  versucht.  Da  kein  einziger  Gegner  der  
 Deszendenztheorie  eine  andere  Erklärung  für  die  mannigfaltigen  
 Tatsachen  der  C h o ro lo g ie   oder  „Verbreitungslehre“  zu  geben  
 vermocht  hat,  so  erblicken  wir  in  diesen  letzteren  gewichtige  „indirekte  
 Beweise“  für  die  Wahrheit  der  ersteren. 
 Nun  ist  aber  für  diese bedeutungsvollen  Fragen kein  anderer Teil  
 der  Erde  von  so  großem  Interesse  als  unser  schönes  In su lind e ,  
 das  ausgedehnte  Inselgebiet,  dessen  Flächenraum  mehr  als  zwei  
 Millionen  Quadratkilometer  beträgt,  nahezu  das  Vierfache  vom  
 Areal  unseres  neuen  Deutschen  Reiches.  Nicht  allein  an  Zahl  und  
 Größe  seiner  In.seln,  sondern  au$h  an  Reichtum  und Mannigfaltigkeit  
 der Bevölkerung von  Menschen, Tieren  und  Pflanzen übertrifft  
 der malaiische  Archipel weitaus  alle  anderen  Inselgebiete  der  Erde.  
 Er  hat  daher  naturgemäß  für  unsere moderne  Chorologie  und  die  
 darauf  mitgestützte  Deszendenztheorie  eine  ganz  besondere  Bedeutung  
 gewonnen  und  auf  zahlreiche  Naturforscher  eine  vorzügliche  
 Anziehungskraft  ausgeübt.  Die  merkwürdigen  Tatsachen  dieser  
 „M a la iisch en  C h o ro lo g ie “ waren es,  die vor vierundvierzig JahHeimkehr  
 und  Rückblick 
 ren  den  verdienstvollen englischen Naturforscher A lf r e dW a lla c e ,  
 unabhängig  von  Darwin,  zu  dem  wichtigen  Grundgedanken  der  
 S e lek tion s th e o r ie   führten,  und  zugleich  zu  jener  Scheidung  des  
 östlichen  austral-malaiischen  und  des  westlichen  indo-malaiischen  
 Archipels,  welche  ich  schon  früher  besprochen  habe.  In  einem  besonderen  
 größeren  Werke  über  ,,Island  life  hat  Wallace  später  
 (1880)  die  vielen verwickelten  Probleme eingehend  erörtert, welche  
 die  geologischen  und chorologischen  Veränderungen  dieses wunderbaren  
 Inselgebiets  uns  stellen. 
 Daß  ich  in  meinen  anspruchslosen  „Malaiischen  Reisebriefen  
 dieses  Gebiet  kurz  als  „ In su lin d e “  bezeichnet  habe,  ist mehrfach  
 getadelt  worden,  und  ein  Kritiker  fand,  daß  ich  diesen  Namen  
 „nicht mit besonderem Geschmacke“  geschaffen  habe.  Diesen Vorwurf  
 muß  ich  deshalb  ab lehnen,  weil  jene  kurze  und  bequeme  Bezeichnung  
 für  den  ostindischen  oder  malaiischen  Archipel  nicht  
 von mir herrührt,  sondern  seit fünfzig Jahren daselbst im Gebrauch  
 ist.  Viele  Hotels  in  den  größeren  Städten  von  Java  und  Sumatra  
 führen  den  Titel  ,,Insulinde  ,  und  in  vielen  holländischen  Erzählungen  
 und Dichtungen wird  dieser Name  ebenfalls  gebraucht.  Dagegen  
 ist die später  statt dessen vorgeschlagene Bezeichnung  „ In d o nesien“ 
   nicht  in  weiteren  Gebrauch  gekommen.  Der  Autor  des  
 Namens  ,,Insulinde“  ist  der  bekannte  holländische  Schriftsteller  
 und Politiker  Eduard Douwes D ek k er,  welcher  1860  unter  dem  
 Pseudonym M u lta tu li  den  berühmten  Tendenzroman  „Max  Havelaar“ 
   veröffentlichte.  Dieser  merkwürdige  Roman  enthält  eine  
 höchst lebendige Schilderung der javanischen Verhältnisse,  die Dekker  
 als  dortiger  Regierungsbeamter  (zuletzt  Assistentresident  von  
 Lebak)  in  den  Jahren  i 84o— 1857  gründlich  kennen  lernte.  Die  
 Enthüllungen,  die  er  darin  über  das  Leben  der  unterdrückten  Eingeborenen  
 in  diesem  tropischen  Paradiese  machte,  über  die  grausame  
 Tyrannei  der  indischen  Fürsten  und  die  herzlose Habgier  der  
 mit  ihnen  verbündeten  holländischen  Kaufleute,  erregten  damals  in  
 Holland  ein  ähnliches  Aufsehen  wie  in  Nordamerika  acht  Jahre  
 früher  der  berühmte  Roman  von  Harriet  Beecher-Stowe:  „Onkel  
 Tom’s  Hütte“ .  Wie  dieses  letztere  Buch  sehr  viel  zur  Aufhebung  
 der  Sklaverei  beitrug,  so  auch  „Max  H a ve laa r“  zur  Beseitigung  
 vieler  schwerer Mißstände in  der Regierung  der indischen Kolonien.  
 Im  übrigen  war Multatuli  ein  zu  großer  Id e a lis t,  um  durch  seine  
 späteren  Schriften  bedeutende praktische Erfolge  zu  erzielen;  seine  
 späteren  unglücklichen  Lebensverhältnisse  (insbesondere  die merkwürdigen  
 Beziehungen  zu seinen zwei Frauen)  sind jedoch geeignet,  
 für  den  aufopfernden  Altruisten  vielfach  herzliche  Teilnahme  zu  
 H a e c k e 1,  Insulinde.  3. Auf 1.