
 
		Der  Dampfer  „O ld en b u rg “ ,  der mich  in  dieser  Zeitspanne  von  
 Genua  durch  das  Mittelmeer,  das  Rote  Meer  und  den  Indischen  
 Ozean  bis  Singapur  tragen  sollte,  gehört  zwar nicht  zu  den  größten  
 und  schönsten  Schiffen  in  der  prachtvollen  Flotte  des  „Norddeutschen  
 Lloyd“ ,  aber  er  war  mir  von  zwei  Kollegen,  welche  ihre  
 Indienreise  auf  demselben  ausgeführt  hatten,  warm  empfohlen  
 worden,  und  der  Komfort  im  Inneren  des  Schiffes  ist  in  der  Tat  
 vortrefflich  und  läßt  nichts  zu  wünschen  übrig.  Wenn  ich  daran  
 denke,  wie  mangelhaft  es  mit  der  Bequemlichkeit  der  Dampfschiffe  
 noch  vor  vierzig  Jahren  bestellt  war,  wie  viel  damals  der  
 geduldige  Reisende  unter  den  notwendigen  Übeln  jeder  längeren  
 Seefahrt  zu  leiden  hatte,  muß  ich  den  Kulturfortschritten  des modernen  
 Dampferverkehrs  meine  höchste  Anerkennung  zollen.  Besonders  
 gilt  das  von  der  tadellosen  Sauberkeit  und  der Vermeidung  
 der  üblen  Gerüche,  welche  durch  das  Zusammenwirken  von  Küchenluft, 
  Maschinendunst, Kabinenduft  usw.  entstehen,  und welche  
 den  Ausbruch  der  Seekrankheit  oft  mehr  fördern  als  die  stampfende  
 und  rollende  Bewegung  des  Schiffes.  Überall  auf  unserem  
 Schiffe,  und  ganz  besonders  in  den  Lokalitäten  des  ersten  Platzes,  
 ist  für Überfluß  an Wasser  undWaschgelegenheit gesorgt.  In  einem  
 bedeutenden  Punkte  geschieht  sogar  des  Guten  zu  viel,  nämlich  im  
 Essen  und  Trinken  —*  allerdings  eine  der  wichtigsten  Angelegenheiten  
 bei  jeder  längeren  Seefahrt.  Eine  schwere  Aufgabe  stellen  
 die  sechs  Mahlzeiten  der  Schiffsordnung  (drei  große  und  drei  
 kleine)  der  gastronomischen  Tätigkeit;  sie  erfordert  zu  ihrer  befriedigenden  
 Lösung  (die  nötige  Siesta  inbegriffen)  fast  ein Drittel  
 der  ganzen  Tageszeit.  Ein  anderes  Drittel  §l||zum  mindesten  —   
 verlangt  der Schlaf.  Demnach bleibt nur ein Drittel für die übrigen  
 Lebensfunktionen;  unter  diesen  bilden  Lesen  und Arbeiten  nur  den  
 kleinsten  Teil,  den  größten  Teil  dagegen  Unterhaltung,  Spiel,  Musik, 
   Gymnastik,  Deckpromenade  usw. 
 Was  die  „A rb e it “  während  einer  mehrwöchentlichen  Seefahrt  
 betrifft,  so  pflegt  sich  der  fleißige  Reisende  schon  lange  vorher  
 auf  die  ungestörte  Muße  und  Ruhe  zu  derselben  zu  freuen  und  
 betritt  das  Deck  mit  den  besten  Vorsätzen.  Leider  aber  ist  es  eine  
 seltsame,  der physiologischen  Untersuchung würdige Tatsache, daß  
 der  Dampferpassagier  seine  löbliche  Arbeitslust  von  Tag  zu  Tag  
 mehr  einbüßt.  Der  beständige  Anblick  des  Meeres,  der  für  den  
 aufmerksamen  Beobachter  niemals  einförmig  wird,  das  einschläfernde  
 Wiegenlied  seiner  rollenden Wogen,  der wonnevolle  Genuß  
 der  reinen  Seeluft,  dazu  das  eintönige  Geräusch  der  schnaubenden  
 Maschine,  die  Unterhaltung  mit  den  Passagieren  —   das  alles  zusammen  
 versetzt  den  Geist  in  eine  behagliche,  zum  Faulenzen  und  
 Nichtstun  geneigte  Stimmung;  woher  soll  da  die  Sammlung  zu  
 ernster  und  zusammenhängender  geistiger  Arbeit  kommen?  Vollends  
 in  der  Tropenzone,  wo  die  hohe  Temperatur  allein  schon  das  
 „ dolce  far  niente“   in  besonderem Maße  begünstigt. 
 Um  so  gerechtfertigter  wird  es  sein,  dem  Genüsse  dieser  Seereise  
 einen  Blick  zu widmen  und der regelmäßigen Tageseinteilung,  
 die  damit  verknüpft  ist.  An  das  Frühaufstehen  von  Jugend  an  gewöhnt, 
   erscheine  ich  auch  jetzt  schon  bald  nach  fünf  Uhr  auf  
 Deck, wenn die meisten Passagiere noch  in tiefem Schlafe liegen.  Ich  
 versenke  mich  in  die  geheimnisvolle  Dämmerung,  die  auf  dem  
 Meere  liegt, und aus der bald die goldene Sonne siegreich auftaucht.  
 Dem  erquickenden Morgenbade,  Punkt  sechs  Uhr,  folgt  eine  kleine  
 Deckpromenade.  Nachdem  der  Stabstrompeter  der  Schiffskapelle  
 um  7V2  Uhr  die  Langschläfer  geweckt  hat,  bläst  er  sie  eine  halbe  
 Stunde  später  zum  Frühstück  zusammen.  Dieses  ist  so  reich  ausgestattet, 
   daß  seine  Speisekarte  zu  Hause  einem  opulenten  Mittagessen  
 gleichkommen würde.  Die  Vormittagsstunden  von  9-S1  Uhr  
 sind  die einzigen  vier  Stunden  des Tages,  die  ernstlich  für  „geistige  
 Arbeit“  in  Frage  kommen  könnten.  Da  werden  denn  auch  verschiedene  
 Versuche  unternommen,  Briefe  und  Reiseerinnerungen  
 zu  schreiben, durch Lektüre von Reisebüchern sich auf das Schauen  
 der  kommenden  Wunderländer  vorzubereiten  usw.  In  der  Regel  
 erlahmt  aber  dieser  löbliche  Eifer  sehr  bald.  Schon  um  elf  Uhr  
 wird  wieder  Bouillon  mit  sehr  appetitlichen  belegten  Brötchen  serviert, 
   und  die  Schiffskapelle  unterhält  uns  eine  halbe  Stunde  lang  
 durch  Militärmusik.  Um  ein  Uhr  folgt  das  „Tiffin“ ,  das  zweite  
 Frühstück,  und  diesem  eine  Siesta  von  ein  bis  zwei  Stunden.  Der  
 Nachmittag  ist dann  vorzugsweise  der  Lektüre  gewidmet,  behaglich  
 ausgestreckt  im  langen,  rohrgeflochtenen  Singapurstuhl.  Zur  Erquickung  
 wird  um  vier  Uhr  wieder  Kaffee  oder  Tee  mit  Kuchen  
 und  anderen  Zutaten  gereicht,  oder  an heißen Tagen  (wie  im Roten  
 Meer)  Eis  oder  kühle  Limonade.  Doch  wird  dadurch  nicht  der  
 unverwüstliche  Appetit  beeinträchtigt,  dessen  Hauptaufgabe,  das  
 Diner  oder  sogenannte  „Mittagessen“ ,  von  7— 8  Uhr  abends  erledigt  
 wird,  gewöhnlich  unter  der  Mithilfe  ermunternder  Tafelmusik  
 und in  großer Toilette.  Die Damen erscheinen  in glänzendem  
 Gesellschaftskostüm,  die  Herren  in  schwarzem  Rock  oder  weißem  
 Tropenjaket.  Dem  Diner  folgt  dann  meistens  ein  einstündiger  
 Abendspaziergang  auf  dem  luftigen  Deck,  dann  wieder  Musik.  
 Unterhaltung,  Spiel  oder  Lektüre,  und  um  zehn  oder  elf  Uhr  
 kriechen  die  meisten  Passagiere  so  befriedigt  von  ihrem  Tagewerk