Die Fortpflanzung- seitens des Apothecium
von Leptog^inm myoehroum.
Das morphologische Problem, welches bisher in dem als Apothecium
bezeichneten Abschnitte des Flechtenkörpers ungelöst vorlag, sollte nach
einem früheren Plane in späteren Jahren in einer mehrere Gattungen der
hauptsächlichsten Familien der Lichenen umfassenden einheitlichen Darstellung
als gelöst oder wenigstens der Lösung sehr nahe gerückt behandelt
werden. Von dem festen Vorsatze, alle nicht vollkommen gereiften Ent-
deokiingeii der Lichenologie vorziienthalten, so lange bis denselben durcli
andere vorangegangeiie eine möglichst sichere Grundlage in der Wissenschaft
bereitet ist, geleitet, war ich genöthigt, sehr werthvolle Beobachtungen
aus der Pruchtsphmre der Flechten, lediglich weil sie wegen
ihrer überraschenden Eigenartigkeit wenig günstige Aufnahme zu erwarten
hatten, Jahre hindurch der Oeffentliohkeit zu entziehen. Der Wisseusohaft
wurde aber in Wahrheit, wie die nächsten Jahre sicherlich lehren
werden, durch diese Zurückhaltung eine unabsehbare Fülle von Segen
bereitet, so dass ich es nie bereuen werde, die frühzeitige Mittheilung
solcher Aggregate von Beobachtungen unterlassen zu haben.
Vor allem lag in der Tendenz dieser Arbeit die zwingende Nothwendigkeit,
meine Darstellung des Wesens der Fle chte, welche an einer
Art als ein Muster für alle späteren Untersuchungen geliefert werden sollte,
auch anf das Gebiet des Pruchtlebens von Leptogium myoohroum auszudehnen.
Dieser Nothwendigkeit jedoch würde ich mich vielleicht aus den
oben geschilderten Rücksichten entzogen haben können, wenn nicht die
Zeitverhältnisse dieselbe noch viel nachdrücklicher auferlegt hätten, so dass
es mir fast zur Pflicht wurde, diese Erweiterung meiner Aufgabe vorzunehmen.
Diese Pflicht erwuchs mir aber nach zwei Seiten hin, als zugleich
Corni i seine Entdeckung der Keimung von sogenannten Pilzspermatien
und S t a h l seine Befruchtungstheorie für die Lichenen veröffentlichten.
Das übereinstimmende Vorkommen zweier Organe, des Apothecium und
des Spermogonium, bei Flechten und Pilzen, welches bekanntlich die Lehre
S c h w e n d e n e r ’s mitbegründete, konnte nicht mehr in Frage gestellt
und damit zugleich diese Lehre nicht heftiger erschüttert werden als durch
einen Anhänger derselben, nämlich S t a h l , da er den Spermatien endlich
die Rolle, welche die überwiegende Mehrzahl der Lichenologen als denselben
zufallend angenommen hatte, bestimmt ertheilte. In den als sexuellen
Organen aufgefassteii Bildungen des Flechtenkörpers fand nämlich St ahl
wohl in Bezug auf den anatomischen Bau Anklänge an die Ascomyceten,
der eigentliche geschlechtliche Akt entfernt die Flechten aber, wie sich
S t a h l bewusst wird, bedeutend von den genannten Pflanzen. Weniger
wurde diese Erschütterung durch den Widerspruch der letzteren Beobachtungen
mit denen C o r n u ’s verursacht, da noch die Bestätigung ahzuwarten stand.
Da nun Leptogium myoohroum in den Kreis der von S t a h l untersuchten
Flechten gehört, sogar selbst einer Untersuchung unterzogen wurde, so
lag es für mich nahe genug, mit der Ausdehnung meiner Forschungen auf
die Fruchtsphsere dieser Art die Prüfung der Richtigkeit jener Beobachtungen
vorzunehmen. Zugleich liess sieh aber erwarten, dass auf diesem,
wenn auch indirekten, Wege die Entdeckungen C o r n u ’s in ein glänzendes
Licht gestellt werden konnten, indem diese Prüfung die Natur der Spermatien
gleichfalls zu ergründen bestrebt sein musste.
Um ein morphologisches Gebiet, wie das der Fruchtsphsere der Flechten,
welches zu den schwierigsten der Botanik gehören dürfte, auf welchem
vorzudringen sich mehrere Forscher vergeblich oder mit äusserst geringen
Erfolgen bemüht hatten, aufzuklären, um ein möglichst helles Lieht auf
diesen dunkelsten Theil der gesammten Plechtenmorphologie zu werfen,
ist es natürlich dui-chaus nothwendig, das wenige und dürftige Licht, welches
der Wissenschaft bisher zufloss, recht sehr auszunutzon. Es wäre ein des
wahren Naturforschers unwürdiges Benehmen, frühere Arbeiten über das
betreffende Gebiet, weil sie mit eigenen Beobachtungen im schärfsten
Widerspruche stehen oder vielleicht gar als unverständlich e r s c h e i n e n ,
unbeachtet zu lassen. Wie sonderbar auch gewisse ältere Beobachtungen
erschienen, fanden doch meine Forschungen in ihnen wahre Perlen. Ausser
der genauen Kenntniss der diesen Gegenstand betreffenden Literatur ist
aber ein anderes Haupterforderniss für die Lösung des höchst schwierigen
Problems die genaueste Kenntniss des anatomischen Baues der in Betracht
kommenden Körper, also sowohl des Spermogonium, als auch des Apothecium.
Man sollte glauben, dass gerade die letztere Nothwendigkeit, ehe
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