Flechtenkörper an die Thatsache, dass die Clinosporangien in das Gebiet
der Sprossung gehören, so ist damit auch die Andeutung ihres Zweckes
hinreichend gegeben. In dieses Gebiet gehören auch die von S t a h l als
befruchtende Spermatien aufgefassten Körperchen von Physma. Ferner
aber sind auszuschliessen von den Hyphidien alle die wahren durch Ausstülpung
entstandenen Sprosse der Sterigmazellen, welche wegen ihrer
abweichenden Gestalt und Kleinheit für selbstständige Körper gehalten
wurden. Schon T u l a s n e hat mehrere derselben beobachtet und abgebildet,
die vollkommen den hei Leptogium myoohroum beobachteten (Taf. III,
Fig. 19) entsprechen, ünd endlich sind alle jene anfangendon Verlängerungen
der Fruchthyphen auszuschliessen, welche wegen ihrer den Hyphidien
gleichenden Zartheit und von ihrer ürsprungsstätte leicht erfolgenden Lösbarkeit
die gleiche Anschauung von ihrem Wesen erweckten. Es würde
hieraus folgen, dass das Gebiet des Spermogonium’) einer neuen Bearbeitung
bedürfen würde, wenn dieselbe nicht überflüssig erschiene, da sie
einerseits mit der Erforschung des Fruchtkörpers, andererseits mit der
Ergründung der Morphologie des Clinosporangium verknüpft ist.
Die Wichtigkeit der Entdeckung des Hyphema für die Kenntniss des
lichenisohen Wesens tritt nirgends so auffallend hervor, wie hei der Begründung
der Morphologie der Fruchtsphmre. Das Vorhandensein eines
solchen in staunenerregender üeppigkeit und unvergleichbarer Selbstständigkeit
vegetirenden Gewebes vernichtet von vorneherein alle Möglichkeit zu
einer Aussicht, eine Befruchtung bei den Flechten vorzufindeu. Versetzt
man sich in die alte Anschauung vou dem Flechtenkörper, welche denselben
als aus zwei Systemen zusammengesetzt betrachtete, und nimmt die
Thatsache an, dass in Wahrheit zwischen beiden Gewebesystemen keine
Grenze, dass sie nur Modificationen eines einzigen elementaren Prinoipes
sind, so würde man im Thallus, wie überhaupt im ganzen vegetativen
Leben, den oausalen Zusammenhang beider unaufhörlich fortgesetzt sich
vorstelleu müssen. Das Gonidema geht aus dem Gono-hyphema auf dem
Wege einer Neubildung hervor, alle Anzeichen eines umgekehrten Verhältnisses
fehlen aber, bis wir am äussersten Ende des Lebens die
Spore in der Keimung diesen Vorgang einleiteu zu sehen geneigt sein
möchten. Allein die Spore ist in Wahrheit kein Gonidium, wenn sie auch
ein gonidiales Organ zu nennen ist. Ferner fehlen alle Anzeichen, dass
es einer Gonohyphe, und damit also auch der Keimhyphe möglich se i, in
’) Demnach fehlen in vielen Fällen die Hyphidien, weil sie in Folge eines
anderen Lebensganges des Fruehtkörpers nicht nöthig sind, oder sie wurden
besonderer Umstände halber nicht gefunden.
einen Hyphemafaden mit allen seinen Eigenthümlichkeiten überzugehen,
während der umgekehrte Vorgang als eine über allen Zweifel erhabene
Thatsache dasteht. Schon diese Erkenntniss würde zu der Annahme führen,
dass der für das spätere Hyphensystem nöthige Keim von der Spore in
einem anatomisch gesonderten Theile getragen sein muss. Gerade an
der von dem Fruchtkörper sich entfernenden Thecaspore leuchtete aber
der in dem Flechtenkörper niedergelegte Grundgedanke als eine durch ihre
grossartige Einzigkeit überwältigende Wahrheit hervor, die elementare Spaltung
des lichenisohen Körpers in seine zwei anatomischen Hauptmodifi-
oationen, das Hyphema und das Gonidema, zwischen welche später die
der ersteren sich anschliessende Modification, das Gono-hyphema, nicht als
ein durchaus uothwendiges, sondern als ein nur zu gewissen allerdings
häufigen Zwecken des Fleohtenlebens unentbehrliches Glied eingeschaltet
wird — wozu sollte da die Flechte eine besondere Art von Fortpflanzung
durch einen vorhergehenden geschlechtliohen Akt einzuleiten brauchen ? Man
möchte sich vielleicht, nm meine Verneinung des Bestehens einer Befruchtung
im Flechtenkörper als einen zu weit gehenden Fortschritt abweisen
zu können, sich zu der Anforderung versteigen, für diese Spaltung des
lichenischen Gruudbaues eine Erklärung liefern zu sollen. Abgesehen davon,
dass wir unzählige Male mit Erscheinungen als Factoren in unseren naturwissenschaftlichen
Studien fort und fort rechnen müssen, um die Wissenschaft
zu fördern, ohne jene erklären zu können, würde dies ein äusserst
unbilliges Verlangen sein, da diese Erklärung eine vollständige, erschöpfende
physiologische Erörterung vor allem des Zweckes des Gonidium, des Microgonidium
vorausgeschickt vorfinden müsste. Allein man erkläre auch zuvor,
was Befruchtung in der Natur, was das sexuelle Princip ist, dann wird
auch jene Erklärung möglich sein. Man kennt diesen physiologischen
Process der Thier- und Pflanzenwelt in sehr mannichfachen Variationen,
ohne bisher aber den über das We s e n dieses Vorganges gedeckten Schleier
auch nur lüften zu können. Und daher kann ich nicht die Hofihung aufgeben,
dass erst das Leben der Flechte von der Spore bis wieder zu der
Spore berufen sein möchte, das Princip der Befruchtung in das rechte
Licht zu stellen. Ueberall folgt auf die Befruchtung als eine Vermischung
zweier anatomischer Körper eine anatomische Einheit. Selbst der Pilzkörper
nimmt, trotzdem er eine Hyphenpflanze ist, an diesem Gesetze
Theil. Der Flechtenkörper erscheint aber in allen Wechseln seines Lebens
elementar gespalten, sollte da vielleicht nicht in der Flechtenwelt, als sie
ein „pr imus g r a d u s v e g e t a t i o n i s “ (Li nné ) den erkalteten nackten
Fels zu schmücken begann, die Vorstufe vor der Ausbildung des schöpferischen
Gedankens einer Befruchtung zu erkennen sein?
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