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C. Zur Entwicklungsmechanik der Fusulinen.
Nach der Besprechung der wesentlichsten aus den Dünnschliffen zu konstruierenden anatomischen
Verhältnisse d er Fusulinen ist es möglich, bis zu einem gewissen Grade auch dem M e c h a n i s m
u s d e r S c h a l e n b i l d u n g nachzugehen. Wir haben dieser Untersuchung lediglich das
morphologisch in dem vorhergehenden Abschnitt klargelegte Bild zu Grunde zu legen, dessen Einzelheiten
wir vom entwicklungsmechanischen Standpunkte aus als ihrer Form nach physikalisch bedingt
betrachten wollen. Ohne den Anspruch zu erheben, a l l e in Betracht kommenden Faktoren hierbei
zu berücksichtigen, soll gezeigt werden, daß bereits einige wenige Kräfte, die im folgenden näher
besprochen werden, völlig genügen, um die scheinbar so „kunstvolle“ Schale der Fusuliniden in allem
Wesentlichen zu konstruieren. Diese A n a l y s e d e r a u f r e i n m e c h a n i s c h e E i n f
l ü s s e z u r i i c k f ü h r b a r e n E l e m e n t e d e s S c h a l e n b a u e s is t erforderlich,
um einen Anhalt darüber zu geben, wie weit wir aus der Ontogenie der Schale die Phylogenie abzuleiten
versuchen dürfen, und bis zu welchem Grade eine Systematik sich auf die Einzelheiten des
Schalenbaues stützen kann.
I. Die Zentralkammer.
Wenn wir die normale Zentralkammer betrachten, fällt uns die mehr oder weniger kreisförmige
Gestalt aller ihrer Durchschnitte auf. Die K u g e l f o r m , die sich daraus logisch erschließen
läßt, kann lediglich der Wirkung der Oberflächenspannung zugeschrieben werden.
Damit diese Wirkung sich in der uns vorliegenden Weise äußern kann, müssen aber mehrere Bedingungen
gegeben sein. Einmal muß in einem primären Stadium
die Sarkode flüssig — und zwar bis zur Peripherie hin flüssig,
also s c h a l e n l o s B - gewesen s e in , um ihre Gestalt so völlig
der Einwirkung dieser K ra ft entsprechend formen zu können.
Dann muß dieser Flüssigkeitstropfen in einem Medium sich
befunden h a b e n , dessen s p e z i f i s c h e s G e w i c h t so gut
wie gar nicht von dem der Sarkode abwich, da anderenfalls die
Tendenz des Tropfens, in seiner Umgebung niederzusinken oder
emporzusteigen, eine Störung der Kugelform veranlaßt haben
würde (ganz abgesehen davon, daß bei einem Erreichen der
Grenze des Mediums dessen dort wirkende Spannung Einfluß auf
die Gestalt des Tropfens ausüben müßte). Ein freies Schweben
Fig. 32.
Fusulina vulgaris var. globosa (Darwas) z eig t in
centralem Schiefschliff die Kreisform d e r Anfangskammer.
DIM. 3.
im Meerwasser ist demnach für das unbeschalte Anfangsstadium der Fusulinen anzunehmen, im
Gegensätze zu vielen anderen Foraminiferen, deren oft wesentlich anders gestaltete Zentralkammer
(vgl. z. B. Orbitolites) auf eine andere Lebensweise und dementsprechend auch andere physikalische
Bedingungen hinweisen dürfte. Die eine reine Kugelform gestattenden Faktoren ändern sich in dem
Augenblicke, in dem der Beschalungsprozeß sich vollzieht. Da die Anfangsschale, wie im vorhergehenden
Abschnitte gezeigt wurde (Seite 10), im Gegensätze zu der bisher üblichen Auffassung
völlig dicht und porenlos ist, können Pseudopodien lediglich durch die, vermutlich kreisförmige,
Öffnung ausgetreten sein, die an einer einzigen Stelle von der Schale
ausgespart bleibt. Der Bildung einer festen kalkigen Schale ist
e i n S t a d i u m a l s v o r h e r g e h e n d a n z u n e h m e n ,
i n d e m e i n e F 1 ü s s i g k e i t s m e m b r a n di e S a r k o d e
u m s c h l o ß . Ich stimme in diesem Punkte völlig mit.
L. R h u m b l e r überein, der („Die Doppelschalen von Orbitolites“
1902,1. c. Seite 262) der Ansicht is t, daß „bei fast allen ähnlichen
Zellenabscheidungen, deren Genese genauer bekannt i s t , die
Schalensubstanz, ehe sie ihre definitive Festigkeit e rhä lt, einen
flüssigen'Ä- wenn auch sehr zähflüssigen Zustand durchmacht, was
ja ohnedies der Fall sein muß, wenn sie sich als ein direktes Umwandlungsprodukt
Fu sulina vulgaris, Medialschnitt zeigt die Öffnung
d e r Anfangskammer. Vergr. 1 : 20. (Vgl. DIM. 1.)
der an sich flüssigen kolloidalen Sarkode darstellt.
Is t nu n die Schalensubstanz während der Kammerbildung
flüssig oder zähflüssig, so muß sie die durch ihre Vermittlung zusammengehaltenen
Einzelkämmerchen in ihrer Gesamtheit wie
mit einer elastisch gespannten Deckschicht umkleiden. Diese elastische Spannung der Deckschicht
leitet sich als physikalische Notwendigkeit entweder her aus der Oberflächenspannung
derselben gegen das äußere Wasser h in , oder sie is t durch das gallertige
Durchgangsstadium der Schalensubstanz vor dem Festwerden gegeben, wenn
etwa die Schalenmasse bereits auf einem früheren Stadium des Vorquellens der
Sarkode abgeschieden und dan n , dem anwachsenden Volumen der Sarkode
entsprechend, auseinander getrieben werden sollte, wie dies von M. S c h u l t z e
(1854, 1. c. Seite 30) für Polystomella wahrscheinlich gemacht worden is t“ .
Die Zellorgane des Protoplasmas brauchen unbedingt e i n e s c h a l e n f
r e i e St e l l e . Sowie kontraktile Vakuole, Zellmund etc. einen beliebigen
P u n k t der Kugeloberfläche bevorzugt haben, wird dieser in- der Schalenbildung
aufgehalten werden. Diese Differenzierung einer Stelle wird auch den
A ustritt von Pseudopodien, sowie bei zunehmender Sarkodemenge dasÜberfließen
Flg. 34.
F u sulina indica, Medialschnitt
zeigt die Fo rm u n d Lage der
Öffnung der Anfangskammer.
• Vergr. 1 :2 0 (Vgl. DIM. 1).
dieses Überschusses hierher verlegen. Die Bewegung dieser Pseudopodien, die ja oft in einem Winkel
zu der öffnungsaxe beansprucht werden, muß die gleiche Tendenz äußern, wie die Oberflächen des
ausgeflossenen Sarkodezuwachses: es wird nämlich die nächste Umgebung der Öffnung etwas eingedrückt
werden, so daß jeder durch sie gelegte Durchmesser eine nierenförmige Gestalt aufweist
(Textfigur 34 und Tafel I I Fig. 4, 5, 6, 7, 8). J e nach der Schnelligkeit des Beschalungsvorganges
und des Sarkodezuwachses wird diese Abplattung oder Eindellung mehr oder weniger ausgeprägt
erscheinen (vgl. Textfigur 33).
II. Die erste Umgangskammer.
Verfolgen wir nun den weiteren Verlauf der Schalenbildung, so ist zunächst die Frage nach
den bei der Anlage der ersten Umgangskammer wirksamen Tendenzen zu beantworten. Von dem
Momente an, in dem die Dehnungsfähigkeit der die Zentralkammer umgebenden Membran nicht mehr