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und doch nuiss hierauf die grösste Vorsicht verwendet werden, damit
man nicht Dinge miteinander vergleiche, die keine Beziehung aufeinander
hai)en. So darf man nicht den PoHen oder Samen höherer Ge-
\v;jci)se mit den Sporen der niedern vergleichen , und ihren Behälter
mit der Fruchtkapsel. Den Vorkeim der Farn darf man nicht mit
dem Samenlappen, sondern höchstens mit dem, ßliithenboden der Phanerogamen
zusammenstellen, und das Mycelium der Pilze für eine
Wurzel zu hallen, wäre noch irrthümlicher, als wenn man Rhizom,
Zwiebel und Wurzel in einen Begriff zusammenwirft.
Dass es keine ahsohiten (sogenannten primären) Charaktere gieht,
die ohne Ausnahme gültig wären, hahen viele Naturforscher für die
Botanik nachzuweisen sich bemüht, worüber mehrmals und in den
wiclitigslen Fällen Nachricht gegeben worden ist. Auch im Thierreiche
giebt es keine sogenannten heiTschenden Charaktere, welche gebieterisch
das Vorhandensein und die Uebereinslimmung einer gewissen
Anzahl anderer nach sich zögen, wie Cuvier glaubte, St. Hilaire
und Mi Ine Edwards haben das Irrlhümliche in dieser Ansicht für
die Klassifikation der Thiere gezeigt. Dagegen giebt es auf beiden
Gebieten allerdings vorher rschende, wichtigere und weniger wichtige
Kennzeichen, und es ist nölhig, dass man ersteren ein grösseres
Gewicht beilegt, als den anderen, so aber, dass jene dennoch durch
ein allgemeines Gegenverhalten dieser überstimmt werden können.
Als solche vorherrschende Charaktere für die Aufstellung der
Phanerogamen-Gruppen (Typen) habe ich bewährt gefunden: den anatomischen
Bau und die Art des VVachsthnms; das gegenseitige Zahlenverhältniss
der Blüthenkreise, zurückgeführt auf seine Elemente; die
Art der Keimung; die Beschaffenheit der Frucht und des Samens die
Nervatur der Blätter.
Als leitende Charaktere für die Anordnung der zu demselben Typus
gehörigen Pflanzenfamilien benutzte ich: Die regelmässige Trennung
der Geschlechter, den Vollständigkeits-Grad der Blüthe, die insertionsverhältnisse,
die Stufe der Trennung aller Theile eines Bluthenwirtels
von einander, das Steigen der Zahlenverhältnisse.
Als durchaus trüglich erweisen sich: Die Zahlen der Theile einer
einzelnen Blüthe ohne Vergleich zu den ähnlichen; der Umriss des
Blattes; Zahl der Eichen, die jedes Fruchtblatt zur Entwicklung bringt;
Getrenntsein oder Verwachsung der Fruchtblätter und Filamente unter
sich; Diclinie und Abortiren in einzelnen Theilen, insofern man darnach,
einen niederem Standpunkt der Pflanze annehmen will; Vorhandensein von
Oeldrüsen, und dergleichen Kennzeichen, die für die Charakteristik
einzelner Familien in ihren Gattungen oft sehr wichig sind.
Da nun aber die sehr ins Auge fallenden Charaktere, der einzelnen
Blüthe, ihre Zahlen, Insertion, Verwachsung der Wirtellheile u. s. w.
bei der Aufstelhmg der grossen Gruppen täuschen, so ist oft, zumal in
einzelnen Nebenzweigen und Variationen der Reihe (denn man darf
sich eine solche natürlich niemals als gerade Linie,'sondern stets feiner
verzweigt vorstellen), ein Hauptführungsmittel die allgemeine Verwandtschaft,
eine der ganzen Reihe durch Ursprung und Vererbung aufgedrückte
gleiche Physiognomie, mit einem Worte der Habitus. Ich habe
denselben slets zu Ratlie gezogen, und (rr lial njich als lelzLes Eut"
scheidendes selten irre geführt. Indessen ist das richtige Verstandniss
desselben schwer, und ohne dasselbe ist er als Führer gefährlicher als
ein Irrlicht. Uebej-all hat sich herausgestellt, dass Klassifikationen, die
dem Habitus blindlings folgten, sehr unnatürlich ausfielen, , weil man
sich nicht Uechenschaft gegeben, inwiefern dieses äussere Ansehen mit
den übrigen Kennzeichen in Verbindung zu bringen sei. Man unterschied
nicht, dass diese allgemeine Verwandtschaft (Habitus) oft durch
Ursachen gegeben sein liann, die gar keine Beziehung zur Organisation
und der wahren Stellung des Gewächses haben. Daher jene neckenden
Aehnlichkeiten aus allen Theilen des Systems, denen kein KlassifikaLor
gerecht werden konnte, da er jede Familie doch nur zwisdien
zwei Aehnlichen unterbringen kann. Insbesondere dadurch dass die
Systematiker bald jenem Wink, bald einem andern nachgingen^ geschah
es, dass das natürliche Pflanzensystem bisher so gefügig und wandelbar
gewesen ist, wie der Thon in der Hand eines Topfers. Indem
man die habituellen Verwandtschaften der natürlichen Familien gegeneinander
untersucht, ergeben sich ausser der allgemeinen Planverwandtschaft
welche alle Pflanzen zu einander zeigen, der Hauptsache nach
vier verschiedene Arten (nicht Grade) der Verwandtschaft, die wir hier
nacheinander kennzeichnen und erläutern wollen.
1. Wahre oder Stamm-Verwandtschaft. Es ist diejenige
Aehnlichkeit5 welcher der Systematilier allein folgen darf, hervorgebracht
durch Vererbung, gleichen Plan, erhalten durch das Gesetz der
Connexionen. Man kann hierbei verschiedene Fälle unterscheiden. Oft
zweigen sich von demselben Grundtypus mehrere Reihen ab, nach verschiedenen
Richtungen, sodann zeigen Beide namentlich an ilu^em Ursprünge
unter sich Verwandtschaft, aber insbesondere zeigt nun der
Grundtypus in sich eine Vereinigung beider Typen jener Reihen. Es
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