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Vervollliommmnig des Lebens zu dienen. In den niederen Gewächsen
ist sich der Thalhis alles, Wurzel, Bialt und Stengel, und in den niedersten
Pllanzen genügt sich eine Zelle zum Dasein. Indessen giebt
es doch einen gemeinsamen Zweck aller jener verbunden lebenden Theile
es ist der, einen geschlechtlichen Gegensatz zu erzielen, durch welchen
neue Pllanzen hervorgebracht werden. Indessen zweifle ich sehr, dass
die Erhaltung der Art Zweck dieser Zusammenwirkung aller Theile ist,
denn diese war auf einfacherem Wege durcli Abknospung einzelner
und zu mehreren verbundener Zellen zu erreichen, wie denn so viele
Manzen niemals hei uns geschlechtlich forlgepllanzt werden und doch
nicht ausgehen. So z. U. die Trauerweide, die italienische Pappel etc.
Es scheint, dass wo die geschlechtliche P'ortpllanzung verhindert wird,
dass dort die ungeschlechtliche desto lebhafter in ihr Hecht tritt. So
glaube ich nun, dass das gemeinsame Streben der Pflanzen zur Bliithenerzeugung,
dem Zwecke der Vervollkommnung des Pflanzentypus
dient. Wie die Hlumeniheile selbsl verklärte Wiederholungen der vegetaliven
Pllanzentheile sind, so kann sich meiner Ansicht nach ein
Organismus nach und nach nur durch Erzeugung neuer Wesen vervollkommnen
in der Zeit. Ich weiss wohl, dass die meisten Bearbeiter
dieses Feldes entgegengesetzter Ansicht sind, und dass Darwin
z. ß. behauptet, durch geschlechtliche Fortpflanzung würde nur ein
Theil der individuellen Vervollkommnung vererbt, durch ungeschlechtliche
Vermehrung dagegen Alles. Dies ist wohl richtig in Bezug auf
Monstrositäten, Vervollkommnung der vegetativen Theile durch Kultur,
Blumenbildungen durch Bastardirung etc. Aber ich glaube, dass die?
zu der anzunehmenden Vervollkommnung der Pflanzen keine Beziehung
hat, diese kann, nach meiner Ansicht, wenn überhaupt, nur in einem
der Pflanze immanenten Vervollkommnungstriebe beruhen, und darum
sehen wir. dass jene künsilichen Umwandlungen sich nur bei individueller
Vermehrung, niemals bei geschlechtlicher dauernd erhalten. Ich
werde weiter unten ausführlicher nachweisen, dass durch äussere Umstände
erzeugte Gestaltungsverschiedenheiten nur so lange erblich sind,
als diese Bedingungen auch bei den Nachkommen unausgesetzt fortdauern.
Hätten sich die ersten auf unserm Erdballe auftretenden Gewächse
nur ungeschlechtlich vermehrt, und wären sie ausschliesslich
niedere Formen gewesen, so würden wir, behaupte ich, falls nicht
später vollkommnere Gewächse unmittelbar aus der Hand des Schöpfers
ihnen gefolgt wären, noch heute nur jene primitive Vegetation besitzen,
welche überhaupt wahrzunehmen vielleicht das Mikroskop durchaus nöthig
wäre. — Ich bitte jedoch um Verzeihung, dass ich meine Leser
einige Zeilen mit dieser Hypothese unterhalten habe, sie wird, wie ich
versprochen liabe, auf die systematische Behandlung ohne Einfluss sein.
Welcher sonderbare Unterschied zwischen Pflanze und Thier bietet
sich uns dar, wenn wir die Anstalten sehen, mit welchen die Pflanze
diesen Befruchtungsprocess verherrlicht. Beim Thier ordnet sich alles
dem endlich im Gehirn lokalisirten intellektuellen Organe unter, der
Kopf (Schädel) ist das Haupt- und Endglied, das beherrschende Organ
der übrigen. Die Geschlechtsorgane treten zurück, verbergen sich fast,
ihre Region wird der Sitz der Scham, ihre Thätigkeit eine heimliche,
die Frucht entwickelt sich tief verborgen und verhüllt. Die Pflanze
erkennt keine darüberstehenden Organe oder Verrichtungen, die Geschlechtstheile
erscheinen an der Stelle des thierischen Hauptes ofl'en
und unverhüllt, mit dem schönsten Schmuck umgiebt sie die vollkommene
Pflanze, der Vorgang geschieht offen am Tage, die Frucht entwickelt
sich frei! Und mit Recht ist uns die Blume das Symbol der
höchsten Unschuld und Reinheit, sie deutet die Vervollkommnung und
die Unsterblichkeit des Pflanzentypus.
Wir könnten noch lange fortfahren über den allgemeinen morphologischen
Charakter der Pflanze gegen den des Thieres zu sprechen,
diese Umrisse genügen zu einer sichern Trennung der beiden Gruppen,
die in ihren Anfängen so ähnlich sind. Denn die bisher angewandten
Trennungen sind viel weniger bezeichnend. Man hat den Magen angeführt,
welchen nur Thiere hätten. Aber es giebt Thiere ohne Magen
und einzellige Algen, die eben so gut ganz Magen sind, wie einzellige
Thiere. Man hat für Thiere Mund und Nervensystem als charakterisirend
angenommen, aber es giebt genug Thiere ohne Nervensystem,
und mit allgemeiner Nahrungsaufnahme durch die Oberhaut. Diejenigen,
welche die freiwillige Bewegung als Charakteristikum einführten,
sahen nicht, dass die freiwillige Bewegung durch die instinktive in
unfreiwillige ohne Grenze übergeht, und mit Recht sagt Agardh:*)
„Es kann Thiere geben, die keine Bevv^egung zeigen, und Pflanzen, die
sich bewegen." Andere, die den Stickstoffgehalt für die Thiere bezeichnend
hielten, fanden, dass die grosse Klasse der Pilze höchst stickstoffreiches
Gewebe enthält. Andere glaubten, die Cellulose als allgemeinen
den Thieren fremden Baustoff der Pflanzen hinstellen und sie dadurch
trennen zu können, aber die Tunikaten, unzweifelhafte Thiere, besitzen
einen cellulosehaltigen Mantel, Auch hat man das grüne Reich an dem
*) De metarnorphosi algarum Ltmd. 1820 und Nov. act. Acad. natui\
curios. T. XIV. P. IL p. 76i.