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Wer eiiuMi allgemeinen Ueherhlick über das Reich der Vegetabilien
besilzl, wird leicht bemerken, dass auch das soeben dargelegte
Gesetz der Sondernng der einzelnen Blülhenwirtel mit dem der allmaligen
Vervollkommnung übereinsLimmt, denn in der That haben alle
neueren SystenuUiker, durch' die Vergleicliung der übrigen Verbältnisse
und auch wohl durch den Naturforscherblick geleitet, die Gewächse
als die vollkommensten bezeichnet, in denen alle jene Wirte! getrennt
sind. Von diesem Gesetze finden natürlich einige niemals fehlenden
Ausnahmen statt, bei denen in Familien mit freier Anheftung einzelner
Theile wieder naclilrägliche Verwachsungen bei einzelnen Gattungen
stattfinden, gleichsam als Rückbildungen zu früheren Zuständen, als
z. H. bei Sainohis unter den Prinuilaceen, und bei Maesa aus den
Ardisiaceen. Diese Erscheinungen finden, obwohl vereinzelt, überall statt,
und sind eben so wenig gegen die Regel beweisend, als z. B. das nachträgliche
Wiederverwachsen bei der Fruchtausbildung in einigen Pomaceengattungen.
Ganz vereinzelt ist der P'all, dass sich zuerst nur der Kelch, nicht
zugleich die Rorolle vom Germen lost, bei l oder 2 Bruniaceengattungen.
Nachdem nun ganz im Allgemeinen der Gang bezeichnet worden
ist, in welchem nach und nach die morphologischen Verhältnisse der
Blüthe sich aus unbedeutenden Anfängen entwickelt haben, erscheint
es zweckmässig noch einen Blick rückwärts zu werfen und die Art
und Weise aufzufassen, in welcher dieses geschehen ist. Wir nehmen
hierbei wahr, dass die Ausbildung darin bestand, dass die von Anfang
an vorhandenen und zur Fortpflanzung durchaus unentbehrlichen Keimbläschen
nach und nach immer mehr schützende Hüllen erhielten , so
dass endlich ein Eichen dargestellt wurde, welches nun von neuem
eingeschlossen, durch blattartige Hüllen in einen Fruchtknoten vervollkommnet
wairde. Um ihn ordneten sich darauf die männlichen Organe,
welche nach und nach ebenso vervollkommnet worden wareri^
und ein neuer Blattwirtel entwickelte sich, diese Organe zu schützen.
Noch einmal und wohl öfter wiederholte sich dieser Vorgang, während
die Theile sich selbst verfeinern; eine lange Stufenleiter wahrlich! von
jenen ersten Anfängen. Sollte das unter so sorgsamem Schutze geborne
neue Individuum nicht in aller und jeder Hinsicht ein vollkommneres
sein, als dass an der ersten besten Stelle des Thallus Erzeugte der
Verborgenblühenden? Und muss sich nicht der Organismus unter solchen
Anstalten vervollkommnen? Auch ist es gewiss, dass jene Stufenleiter
nicht eine zufällige ist, denn schon der niedrige Organismus
äussert eine Vorbildung, Anticipation, Prophezeihung des höheren, den
er vorbereitet. Warum ahmen die Moose Blumen nach, warum stellen
sich Karpelle, Brakteen, Blätter schiitzeiid um das nackte Eichen oder
den Fruchtknoten und bilden eine Blume, ohne ihren wahren Ursprung
und ihre Natur zu besitzen?*)
Man könnte es wie einen Luxus ansehen, den die Natur mit diesen
Blüthenhüllen, die sie ausserdem so prächtig färbt, treibt. Indessen
liegen denselben ganz spezielle Geschälte ob, wie man mit Sicherheit
aus ihrer besonderen chemischen Wirksamkeit, die denen der Laubblätter
fast entgegengesetzt ist, schliessen kann. Die mitunter erhebliche
Wärme der Blüthen, ihre Honigabsonderungen, die schnelle Entw
i c k l u n g prächtiger Gerüche und Farben, die grosse Reizbarkeit dieser
Theile, lassen auf einen höchst gesteigerten Lebensprocess in ihnen
schliessen. Gewiss sind diese Funktionen, die sich hier auf bestimm.te
Theile centralisiren, nicht überflüssig, und wahrscheinlich entbehren
auch die niederen Gewächse derselben bei ibi'er Fortpflanzung nicht
ganz. Man spricht gewissen unvollkommenen Thieren nicht alles Empfindungsvermögen
ab, obwohl sich keine Nerven bei ihnen nachweisen
lassen; so werden auch in unserem Falle andere Theile die Funktionen
der Blüthenhüllen übernehmen. Es geschieht dies nach einem Grundsatze
der E n t l e h n u n g oder Ve r t r e tung, den man überall in der
Natur herrschen sieht. Sobald ein Organ fehlt, übernimmt ein anderes
seine Funktionen mit und so häufen sich zuletzt bei den einfachsten
Organismen alle Thätigkeiten auf die einfache Zelle. Anfangs schützt
das Gewebe des Thallus die junge Blüthe, später thun es die Blätter,
die Axe höhlt sich aus, zum Blüthenboden, die Brakteen bilden eine
Hülle und das Perigon ahmt diese Bildung verfeinert nach. Letzteres
vereinigt die Funktionen von Kelch und Blume, und erreicht darum
nicht jene duftige Zartheit^ welche die Blumenkrone, wo sie selbst erscheint,
in ihrem Kontext zur Erscheinung bringen kann.
Bisher wurde^ um die Darstellung nicht zu verwirren, von einem
sehr wichtigen Vervollkommnungsgesetze ganz abgesehen, da wir blos
die Morphologie im Auge hatten, von der Wi ede rholung und Verm
e h r u n g der Organe. Es braucht nur oberflächhch auf die reichen
*) Ich habe hier keine Rücksicht genommen auf die ein- oder mehrfache
ümkleidung der Eichen, weil über diesen Gegenstand die Akten noch nicht gesclilossen
sind. Eine einfache Eihaut besitzen die Coniferen, PiperaceeUj fast
alle dicotylischen Monopetalen, auch ümbelliferen und Ranunculaceen. Eine
doppelte Eihaut ist sämmtlichen iVIonocotylen, den meisten Polypetalen und den
Incompletifloren eigen, aus welchem Grunde zum Tlieii B r ongni a r t die letztern
imter die Polypetalen vertheilte. Der wirkliche Zusammenhang dieser Verhältnisse
ist noch unerforscht.
K r a u s e , Morphologie etc. 9