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gewirkt hätten. So könne durcli Einwirkung auf die Respirationsorgane
aus einem lloplil z. B. endlich ein Vogel geworden sein. Zur
Verdeutlichung, dass dies wohl in einem verständigen Sinne anzunehmen
sein möge, will ich eines Versuches von Schreiber erwähnen*),
welcher mii Proteus angm?ius angeslellt worden war. Bei diesem sonderbaren
Thiere, welches sowohl mit Lungen als mit Kiemen versehen
ist, bildeten sich, als es gezwungen wurde, beständig im Wasser zu
leben, nur die Kiemen aus, und die Lungen verschwanden fast gänzlich,
darauf zwischen nassen Steine^, und Badeschwämmen genährt, geschah
das Umgekehrte. Diese Ausbildung einzelner Theile, meist auf Kosten
anderer, nach dem Gesetze des organischen Gleichgewichts
wie es St. Hi lai r e nennt, ist es, welcher er den grössten Anlheil
an der Fortbildung der Thierformen zuschrieb. Seine Ansichten fanden
den lebhaftesten Widerspruch bei seinem Kollegen und Mitarbeiter
C u v i e r . Derselbe, dem nicht weniger die vergleichende Anatomie und
die Paläontologie, als dem St. Ililaire, Entdeckungen und Ausbildung
schuldet, hielt wie schon früher erwähnt durchaus an der Unveränderlichkeit
der Art fest. Er glaubte nicht an ein üebergehen
der Formen in höhere, wovon niemals sich Beispiele fänden, und
wenn in den jüngern Schichten sich vollkommnere Organismen zeigten,
so müsse man an göttliche Neuschöpfungen glauben, nachdem nicht
durch gewöhnliche Ursachen bedingte Revolutionen die frühere Fauna und
Flora zerstört hätten**). Wo sich dieselben Arten in mehreren auf
einanderfolgenden Schichten zeigten, könne man an eine Einwanderung
von anderswo glauben. Alle diese Wirkungen, weder die „Umwälzung
e n " der Erdrinde noch die Veränderung der Arten, könnten, nicht wie
St. Hilaire annähme, durch Kräfte vollbracht worden sein, die nicht
vom natürlichen Laufe der Dinge abwichen. Schon lange hatte dieser
Streit gedauert, im Geheimen; endlich am 22. Februar 1830 brach er
öffentlich in einer Sitzung der Pariser Akademie aus, und wurde längere
Zeit fortgeführt***). Geoffroy vertheidigt lebhaft die Methode
der Analogieen und die Einheit der organischen Bildung, und lehrt die
*) Oken' s Isis 1821 p. 263.
**) Cuvier, Umwälzungen der Erdrinde, deutsch von Noeggerath.
Bonn 1830.
lieber diesen Streit möge man Göthens Bemerkungen im letzten (40.)
Bande seiner Werke vergleichen.
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Veränderlichkeit und die gemeinsame Abstammung der lebenden Wesen.
C u v i e r verlangt genaue Beweise, weist alles Geahnte und Spekulirte
als unbew^eisbar zurück, und deutet auf die exakte Nalurbeobachtung
als alleinige Quelle unseres Wissens. Er erinnert daran, dass er
längst durch vergleichend anatomische Untersuchungen nachgewiesen
habe*), dass man wenigstens 4 wesentlich verschiedene Grundformen
der Organisation bei höhern Thieren annehmen müsse, welche nicht
auf einen Grundplan zurückgeführt werden könnten, dass diese Formen
folglich nicht auseinander entspringen könnten, und also sich
nicht betrachten liessen, wie aufeinanderfolgende Binge einer Kette,
oder Stufen einer Leiter. In jeder dieser 4 Klassen, welche sich auf
die Säugethiere, Vögel, Beptilien und Fische erstrecken, sei ein gleichmassiger
Plan sichtbar, und die Abänderungen, nach denen man ihre
Abtheilungen und Gattungen unter sich betrachtet, seien unbedeutend,
auf ungleicher Entwickelung, oder Hinzukommen einzelner Theile beruhend.
St. Hilaire läugnete keineswegs die Verschiedenheiten
dieser Gruppen, an deren genauerer Zergliederung er selbst so vielfachen
Antheil gehabt. Er sah wohl ein, dass damit seine Annahme
einer gemeinsamen Abstammung nicht widerlegt sei, da man wohl vermuthen
könnte, dass diese Typen sich aus einander entwickelt hätten,
wonach jeder sich für sich in seiner besondern Bichtung könne vervollkommt
haben, wie ein Baum noch immer in der Hauptrichtung
fortwächst;, nachdem längst Seitenzweige hervorgegangen sind, die in
ihrer Bichtung auch sich weiter bilden. Natürlich war der Streit
C u v i e r ' s mit St Hi lai r e nicht endgültig zu entscheiden, und wenn
der Erstere in den Augen der Meisten als Sieger hervorging, so möge
man bedenken, eine wieviel günstigere Position er vom Anfange an,
auf dem Boden der Thatsachen einnahm.
Die Entscheidung, wer in diesem alten Streite Becht haben möge,
die exakten orthodox^ Naturforscher, oder die Naturphilosophen,
scheint, wenn überhaupt, nur e iner Wissenschaft anheimgestellt werden
zu können, dem vergleichenden Studium der fossilen Beste beider
organischen Beiche. Unaufhaltsam mit Vorliebe gepflegt, schritt dasselbe
vorwärts. Der Streit der Neptunisten gegen die Plutonisten
brach aus, Hut ton und Voigt behaupteten gegen Werner eine Entstehung
der Urschichten und Gebirge durch Feuergewalt; die For-
*} Cuv i e r , Regne animal. I. edit. 1817. 67,
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•iL.