
— 114
Schutz des Keimlings dem Verderben unterworfen. Andere Pflanzen
erzeugen wenige, aber last nur keimfähige Samen. Einige ersetzen
durch die Menge von Blüthen die geringe Zahl von Eichen^ welche
jede einzelne von ihnen in ihren Fruchlblällern zur Entwicklung bringt,
und es scheint, als ob die Samen am sichersten ihre nothige volle
Ausbihlung erhielten, je weniger jedes Fruchtblatt erzeugt, woher es
auch kommt, dass manche Früchte nur einen Samen bringen, obwohl
viele Eichen vorhanden wv^ren, die dem einen wichen. Keine Pllanzenfamilie
ist durch zahlreiche Blüthenstände und grosse Blüthenzahl
günstiger im Kampfe ums Dasein gestellt, als die Kompositen, und in
der That zeigt sie die grosste Variation der Formen. Natürlich wirkt
dies auf die Verbreitung des ganzen Grundtypus zurück, da die ähnlichen
nicht weniger gut gegen Aussterben gesichert sind. Solche durch
Blumen - , Karpell- oder Samen-Reichthum stark vertretene Familien
sind namentlich die Labiaten, Personaten, Papilionaceen, Rosaceen,
Ranunkulaceen, Gramineen, Orchideen. Die Familien, welche vorwaltend
baumartige Gewächse enthalten, sind meisteniheils weniger artenreich,
da hier oft Jahre vergehen, ehe geschlechtliche Fortpflanzung
e i n t r i t t , doch sind die Galtungen durch starke individuelle Forlpflanzung
(im eigenen VVeiterwachsthum) und dadurch längere Dauer gegen
das Aussterben sicher gestellt.
Fragt man nach der Ursache jener Formabwandlungen des Urtypus
der Pflanze, so muss ich darin, wie in so vielen andern Dingen,
meine Unwissenheit bekennen, ich habe aber schon angedeutet, dass
ich sie in einem der Pflanze innewohnenden Variationstrieb, in einem
weitwirkenden iiisiis formativusy wenn man einen Ausdruck fordert,
suche. Ich glaube nicht, dass die äussern Verhältnisse die allein wirkenden
Umformer waren, wie St. Hi lai r e und Da rwi n annehmen.
Wir werden weiter unten sehen, welche mächtige Umwandlungen der
Gestalt äussere Lebensverhältnisse in ziemlich gleicher Weise in den
verschiedensten Gewächsen hervorrufen, aber wir werden zugleich finden,
dass diese Formveränderungen nicht bleiben, wenn jene Einwirkungen
aufhören, und dass selbst ein langdauernder Einfluss sich bald
wieder in den Abkömmlingen verliert.
III. di r ^ m d l l m m m n Q ^p m m i ^ i ^ m .
Die organisirten Wesen unterscheiden sich von den leblosen Gestalten
(Krystallen) dadurch, dass sie einer Vervollkommnung fähig sind.
115
Möge man die träge Materie betrachten wie man will, man kann sich
nicht denken, dass sie von Ewigkeit ihres Bestehens anders geworden
wäre. Aichemistische Träumereien lehren allerdings, dass die edlen
Metalle durch einen schwierigen und langsamen Vervollkommnungsprocess
aus unedler Materie erhalten werden könnten, aber Niemand
vermag es einzusehen, warum überhaupt das Goid vollkommner sein
solle als das Rlei. In der organischen Welt dagegen, der Sphäre des
Veränderlichen, kann an dem Grundgesetz Niemand im Ernste zweifeln.
Jeder hält den Menschen für vollkommner als alle übrigen Thiere,
jeder gesteht nach ihm dem Afl'en die erste Stelle unter den Säugethieren
zu, jeder hält diesen Typus im Allgemeinen für höher stehend
als den der Fische und ordnet die Wirbellosen den Wirbelthieren unter.
Im Pflanzenreiche nicht anders. Niemand zweifelt daran, dass die
Malve ein vollkommneres Gewächs ist, als der Sauerampfer, dieser aber
einen erhabenen Platz einnimmt, gegen ein Moos, welches seinerseits
wieder die dürre Flechte weit überragt.
Der Begriff ist sehr relativ, und man kann jeden Organismus für
an sich höchst vollkommen halten, da er alle ihm obliegende Thätigkeiten
so erfüllt, dass er lebt und sich fortpflanzt. Dennoch ergiebt
die allgemeine Vergleichung der Weise, wie jeder Organismus die ihm
obliegenden Verrichtungen erfüllt, mit derjenigen anderer Lebewesen,
einen Unterschied, welcher so klar sich darstellt, dass kein Naturforscher
ihn übersehen kann. Wie bereits erwähnt, war es Milne-
E d w a r d s , welcher zuerst das dieser Vervollkommnung zu Grunde
liegende Gesetz der DilTerencirung der Organe und der Lokalisirung
ihrer Verrichtungen aussprach. In dem Grade wie die Theile eines
Organismus sich unähnlicher werden, trennen, wie sie sich in die verschiedenen
Lebensverrichtungen so theilen, dass endlich jeder nur ein
Geschäft allein behält, je abhängiger also ein Theil vom andern wird,
desto vollkommner ist das Ganze, So fertigt sich der Indianer sämmtliche
Bekleidungsstücke und Wirthschaftsutensilien selbst, aber mangelhaft,
während im staatlichen Beisammenleben jeder sein einziges Handwerk
betreibt und die übrigen Bedürfnisse von seinen Mitbürgern geliefert
erhält. Werden dadurch die Produkte schon ungleich vollkommener
, so ist dies im höchsten Grade der Fall, wo in Fabriken jeder
Theil des Handelsartikels von einem besonderen Arbeiter verfertigt wird.
Betrachtet man die Thiere oder Pflanzen des ganzen Reiches oder
einer jeden Gruppe für sich, so bemerkt man überall jene allmälige
Vervollkommnung der Organismen durch Difl'erencirung, und wir wert
'-'i'.i'