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artigen erkennen, was sich nach und nach daraus entwickele*). Damit
verkündet der geistreiche Naturforscher die Idee der vergleichenden
Zoologie. Zngleicli spricht er die Ansicht aus, dass in der organischen
Welt weder Klassen noch Galtungen noch Arien vorhanden seien, welche
nur in unserer Einbildungskraft bestünden, die Natur kenne nur Individuen.
Diese Individuen seinen in gewissen Grenzen veränderlich,
aber sie bildeten in ungeheurer Mannichfaltigkeit den Begriff einer bestandigen
Art.
Dieselbe Auflassung, jedoch mehr ausgebildet finden wir bei Adans
o n , in seinem Buche über die natürlichen Pflanzenfamilien. Er glaubt
obenfalls, dass das organische Reich nur aus einer Reihe unzähliger
Individuen bestehe, die ein inneres Band mif einander verknüpfe.
Zwischen diesen Individuen bemerke der aufmerksame Forscher feine
mehr oder weniger deutliche Unterschiede, die verschieden hervortretende
Zwischenräume und Lücken in der kontinuirlichen Reihe hervorbrächten
, welche aber bei jeder Veränderung beständig blieben.
Diese Unterschiede nennt er Trennungslinien (lignes de séparation)
und glaubt, dass die wichtigsten dieser Linien die Klassen und Familien
von einander trennen, die sekundären die Gattungen, die tertiären
die Arten, und noch unbedeutendere die Varietäten.
Inzwischen war seit L e ibni t z en' s Protogaea die Vorwelt und
die Geschichte der Erde mehr und mehr zum Gegenstande des Studiums
geworden, und die in verschiednen alten Erdschichten gefundenen
Thier- und Pflanzenreste wurden mit den jetzt lebenden Formen
verglichen, und wohl selbst in die systematischen Aufzählungen niit
eingereiht. Die Erscheinung zahlreicher Neuschüpfungen, und Wiederiiolungen
in den verschiedenen Schichten, schien nicht der biblischen
Theorie einer ursprünglichen einmaligen Schöpfung zu entsprechen,
und man bemühte sich auf alle Weise, die gefundenen Versteinerungen
entweder mit jetzigen Formen zu identificu'en, oder sie wie Naturspiele
aus dem exakten Systeme herauszudrängen. Ja die Orthodoxen waren
kühn genug, wie L i c h t e n b e r g bemerkt, zu behaupten, Gott habe die
Welt wie sie jetzt da ist, mit allen ihren Schichten und den Versteinerungen
auf einmal fertig erschatïen. Sehr bald fiel es auf, dass
diese Versteinerungen ebenfalls in ihrem Vorkommen eine deutliche
Stufenfolge zeigen, dass sich in den ältesten Schichten nur die niedersten
Formen des Pflanzen- und Thierreichs in unendlicher Zahl von
Arten und ineinander übergehenden Varietäten zeigten, dass in jungem
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Schicliten stets höher organisirte Wesen auftreten, spät Wirbelthiere,
und blühende Pflanzen, Reste des Menschen endlich mit Sicherheit
gar nicht. Bei genauerer Betrachtung ergab sich, dass diese vorweltlichen
Reste, wenn auch jetztlebenden Wesen .ähnlich, ihnen beinahe
niemals ganz glichen, und somit unzähligen ausgestorbenen Gattungen
angehörten. Dies gab Anlass sie für Versuche der Natur, lebensfähige
Wesen zu erzeugen, zu halten, und noch 1819 bezeichnete C.v. Raum
e r die Versteinerungen als eine „Entwickelungsfolge nie geborner
Embryonen*)." Den bedeutenderen Forschern aber entging nicht, dass
diese Formen oft die in der Reihe jetzt lebender Organismen bestehenden
Lücken auszufüllen schienen, und die vergleichende Anatomie
fand immermehr Nahrung, die Wesen in Bezug auf die Bildung analoger
Theile des organischen Baues zu untersuchen. Vorzüglich fand
dies anfangs in Bezug auf das Knochengerüst statt, und man unterliess
am wenigsten das menschliche Skelet in diese Vergleichung hineinzuziehen.
Die Bildung des Kopfes erregte vor Allem die Forschungsbegierde,
und schon erkennt Pet rus Camper einen allmäligen Uebergang
vom Affen, zum mehr oder weniger entwickelten Menschen, in
der Erhebung der Stirnlinie. Der geistreiche Anatom Thoma s Sömm
e r i n g macht zum hauptsächlichsten Gegenstand seines Studium's das
Gehirn, und erklärt: der Mensch unterscheide sich von den Thieren
hauptsächlich dadurch, dass die Masse seines Gehirns den Komplex
der übrigen Nerven in einem hohen Grade überwiege, w^elches bei den
übrigen Thieren um so weniger statthabe, je tiefer sie in ihrer allgemeinen
Organisation stehen**). Immer gewinnt die Annahme einer
Stufenfolge der thierischen Wesen bis zum Menschen herauf Anhänger.
Der Erste, der diese Ansicht ganz unumwunden aussprach, und zur
Theorie erhob, war L ama r c k , der berühmte Verfasser einer Naturgeschichte
der wirbellosen Thiere. Durch Vergleichung der fossilen
wirbellosen Thiere mit den jetztlebenden, war er zu der Ansicht gelangt,
dass die gesammte jetzige Lebewelt nur eine Fortsetzung der
früheren sei, sowohl im Pflanzen- wie Thierreiche, welche er aber
beide gleich anfangs für streng geschieden ansah. Zuerst trat er mit
dieser Ansicht 1809 in die Oeffentlichkeit in seiner .^Philosophie
logique" einem geistreichen Werke, welches aber als eine Anhäufung
B u f f o n . inHoire naturelle. Ì753. Tome lì . p. 379-
C. v. R aume r , die Gebirge Schlesiens etc. Berlin 1819. 8. p. 165.
Bereits A r i s t o t e l e s spricht diesen Grundsatz klar aus, und fügt hinzu,
dass nnter den Menschen der Mann ein mehr entwickeltes Gehirn besitze a!s
die Frau. De part animal. L. IL c. 8.
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