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jede niedere Thierklasse dem Embryo eines höhern Thieres in einer
bestimmten Phase seiner Entwickelung gleichen, und das niedere Thier
ist dann in seiner Vollendung nicht weiter gelangt, als bis zu der ihm
eigenen Stufe, in der nun noch alle Anlagen zu höherer Entwickelung
liegen. Dies ist jene von Kielmayer angebahnte Lehre, nach welcher
alle niederen Thiere als II eni m u n g s - B i l d u n g e n zu betrachten
sind, übereinkommend mit den Klassenbildungen Oken' s und seiner
Nachfolger, wo die niederen Gewächse auf der Stufe der Ausbildung
einzelner Organe stehen geblieben sein sollen (Wurzler, Stengler,
Lauber etc.) In dieser Rohheit konnte jene Lehre nur stehen bleiben,
in der ersten Zeit mangelhafter Beobachtungen. Doch die vergleichende
Anatomie machte unaulhaltsam Fortschritte, und man sah ein, dass
allein in der Betrachtung der analogen Theile des Baues, nicht in oberlliichlicher
Schätzung des Körperumrisses auf solchem Wege ein Ziel
erreicht werden könnte. Insbesondere waren es die Arbeiten des geistvollen
Geof f roy St. Hi lai re, welche auf diesem Felde die Wissenschaft
förderten. Indem derselbe z, B. die Skelete des Vogels und
Fisches mit dem menschlichen verglich, fand er, dass ihre Verschiedenheit
allerdings viel geringer zu sein schien, wenn des höherstehenden
Thieres Theile vor der vollkommenen Entwickelung mit den entsprechenden
Theilen des ausgebildeten niederen Thieres verglichen
wurden. Nachdem dieser ausgezeichnete Naturforscher dies vorzugsweise
am Schädel gezeigt, und eine Reihe derartiger Beziehungen an
einzelnen sich vertretenden Organen und Knochentheilen nachgewiesen,
versuchten dasselbe andere an andern Theilen des Organismus. Tiedem
a n n glaubte bei Vergleichung des sich ausbildenden Nervensystems des
menschlichen Foetus mit demjenigen niederer Thiergruppen dasselbe
wahrzunehmen, und Ser res bestätigte und vervollkommnete diese Untersuchungen.
Andererseits fanden Me r k e l , Rolando, von Baer,
R a t h k e u. A. nicht minder auffallende Analogieen, zwischen den vorübergehenden
Zuständen, der Blutumlaufs-Geräthe bei den Embryonen
von Vögeln und Säugethieren, und zwischen ihrem' bleibenden Bau,
bei Fischen und Reptihen. Beim ungebornen Menschen findet z. B. noch
eine unmitlelbare Verbindung des Lungenherzen mit dem Arterienherzen
statt, wie sie bei dem erwachsenen Reptil vorhanden ist.
Die Theorie der Hemmungsbildungen vervollkommnete sich durch
diese und ähnliche Untersuchungen immer weiter, und S e r r e s stand
nicht an, sie in allen ihren Konsequenzen zu vertheidigen. Die Thierreihe
und die Einheit ihres Planes schien damit festgestellt, denn nach
dieser Annahme waren gewissermassen alle Thiere nur ein und dasselbe
Thier, dessen Theile früher oder später auf gewissen Stufen der
Entwickelung angehalten, jedesmal die Merkmale einer andern Klasse,
Familie, oder Gattung erkennen Hessen.
Ich habe die Entwickelung der Hemmungstheorie weiter verfolgt,
als man es an diesem Orte erwarten durfte, und setze nur noch hinzu,
dass die fortschreitende Wissenschaft ebenso wie in Bezug auf die
Pflanzenmetamorphose gezeigt, dass rege Phantasie und Anticipation
der Erscheinungen hier Manches geschaffen hat, was sich bei genauerer
Untersuchung nicht bewährt.
Der hauptsächlichste Träger jener Lehre von der gemeinsamen Abstammung
aller Thierformen war in dieser Epoche Geoffroy St.
H i l a i r e , welcher keineswegs die ebenverlassene Metamorphosen-Lehre
mit solcher Schroffheit seinen Ansichten zu Grunde legte, als es von
seinen Nachfolgern, insbesondere durch Serres geschah. Er beschränkte
sich darauf, aus der durch ihn so ausserordentlich geförderten
vergleichenden Anatomie den Schluss zu ziehen, dass nicht allein
aus ursprünglich sehr ähnlichen Anfängen sich verschiedene Formen
entwickelLen, und dass in dem Organisationsplan des niedern Thieres
allemal die Möglichkeit der Ableitung höherer Formen aus demselben
angedeutet sei. In den meisten Thierklassen, ja beinahe durch die
ganze Reihe, bewies er, dass gewisse Theile z. B. im Gerüst, wenn
auch anders geformt, und feiner ausgebildet, doch auch schon bei den
niedriger stehenden Organismen ihre Analoga haben, und dass letztere
dann sehr häufig schon die Andeutung jener ausbildenden Veränderung
zeigen, die erst in viel höher entwickelten Thieren wirklich ausgeführt
ist. Er zeigt, dass diese analogen Theile immer dasselbe Stellungsverhältnis
zu andern Theilen behalten, wie z. B. in allen hermaphroditischen
Blumen die Fruchtblätter und nicht die Staubblätter den mittelsten
Platz einnehmen. St. Hilaire nennt dies das Gesetz der
Connexionen oder festen Beziehungen. Im Uebrigen theilte er die
oben erwähnten Ansichten Lamarck' s über die allmälige Entwickelung
der höhern organischen Formen aus unvollkommen in der Vorzeit,
nur in einem Punkte sich noch besonders unterscheidend: Lam
a r c k glaubte, wie wir gesehen haben, an eine besonders aus sich
heraus wirkende Thätigkeit des Organismus, um den äussern Verhältnissen
sich zu akkomodiren, St. Hi laire nahm an, dass es die äusseren
in den verschiedenen Erdepochen wechselnden physischen Einflüsse
(namentlich der qualitativ und quantitativ verschiedene Zustand
der Atmosphäre) gewesen seien, welche fortbildend auf die Organismen
K r a u s e , Morphologie. 6
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