Wirft man einen vergleichenden Blick auf die
hier bezeichnelen drey ilauptformen des Flechtenlagers,
so stellen sie sich uns als Entwickelungs-
stuffen der FlechtensuLstanz dar, von denen die hohem
die tiefem in sich schliefsen. Die hierin aus-
gedrückte Erhebung der einfachem zur zusammengesetztem
oder vollkommenem Gestaltung ist nicht
blofs ideal zu verfolgen, oder auf die ursprüngliche
Bildung der jetzigen Vegetation heziehlich.
Wenn wir im höher organisirten Pilanzenleben die
stuffenwelse Entwickelung, aus der einst die jetzige
Schöpfung in ihrer Mannigfaltigkeit hervorging, nur
sparsam und unvollständig durch noch jetzt sich
wiederholende Metamorphose nachgewdesen sehen,
so tritt sie uns mit abnehmendem Grade der Or-
gauisadon in vermehrter Wiederkehr und zu deutlicherer
Anschauung in den Familien der Flechten,
Pilze und Algen entgegen. Die Beobachtung er-
gieht es, dafs jene Sluffen des Flechtenlagcrs und
die sie abermals theilenden Formen nicht allein als
solche in’s Daseyn treten, sondern auch — die oben
bereits davon getrennten Gruppen unserer bisherigen
Kenntnlfs nach noch mit eingeschlossen —
sow'ohl durch fortschreitende Ausbildung der liefern
zur höhern Form, als rückschreltend durch
Beharrung der Nachkommenschaft auf einer liefern
Bildungsslnffe entstehen. Das pulverige Lager vermag
auf diese Welse zum lauhartigen, das hlattar-
lige zum strauchartigen und fadenförmigen fortzu-
scbreiten, und umgekehrt bleiben nicht allein Flech-
lenarten des laubarligen Lagers, durch nicht eintretende
vollständige Entwickelung, auf der Stuffe
der rindigen Lagerform stehen, sondern gehen auch
durch Degenerationen iu dieses über. Die sämmtllchen
höhern Lagerformen kehren durch Auilösung
ihrer Substanz iu körnige Zellenkouglomerate zum
jmlverigeu Lager als der Urform zurück, um in
dieser zu einem neuen Leben aufeuersteben. Zur
nähern Nacliweisung dieser Metamorjdiose wird
sich im Verlaufe dieses Aufsatzes mehrfache Gelegenheit
finden.
Entstehung, Wachs thum und Veränderungen
des Lagers,
Das Flechtenlager steht in Beziehung auf das
örtliche Verhallen seiner Ent s t eh ung ln einem
doppelten Verhältnisse zu seinem Boden. Das pulverige
oder rindige Lager einer grofsen Menge von
Flechten, die wir parasitisch auf der Rinde der
Bäume und Sträuche vegetiren sehen, entstehet unterhalb
der obern abgestorbenen Lage der Rinde,
die man im gemeinen Leben, wiewohl weniger
richtig, noch mit zur Epidermis zu zählen und so
zu heuennen pflegt *). Sie entspringen sowohl unter
der ganzen obern dünnen Lage des abgestorbenen
Zellgewebes der Rinde, als auch zwischen den
einzelnen Lamellen, aus denen diese, wie z. E. bey
den Birken, oft deutlich zusammengesetzt vorkommt.
Nach dem, allen vegetativen Organismen eigenen
Streben, sich dem Lichte und der freyen Luft
mit ihren obern Theilen entgegen zu dehnen, strebt
auch das unterirdische Lager der Flechten mit zunehmendem
Wachsthume sich frey zu machen von
der Hülle, die für das erste Entstehen Bedingnifs
*) Ich werde mich in der Folge der Kürze wegen
auch dieses Ausdrucks bedienen, ohne dadurch
den strengem Begriff von Epidermis beeinträchtigen
zu wollen.